Silvia Bovenschen – Lug & Trug & Rat & Streben

Kraehe auf der Zugspitze, Foto: Stefan Groß

Sollbruchstellen, eingebaute Schwächen… bei modernen Haushaltgeräten heutzutage schon irgendwie gang und gäbe. „Ob es die auch im menschlichen Sein gab …? Eine künstlich verknappte Lebenszeit …? Wer könnte dieses Sollen wollen?“

So lässt Silvia Bovenschen eine ihrer Protagonistinnen zu Beginn ihres letzten Romans sinnieren. Agnes Lupinski sitzt auf ihrem Stuhl in der Küche eines schon etwas in die Jahre gekommen Hauses in einer Gegend, die auch nicht zu den besten zählt. Über ihr trampelt ihre Tante Alma herum und unten im Souterrain residiert der alte Zausel Herr von Bärentrost, Großschwager und Bruder des Ex-Mannes von Alma, der nur noch seine Haushälterin und Betreurerin Irmgard an sich heranlässt, ansonsten aber dem realen menschlichen Erdendasein abgeschworen hat. Einzig die Füße der am Fenster vorbeidefilierenden Personen regen ihn zu Gedankensequenzen an, die er stoisch in seinen Heften festhält und sich mit diesen gelegentlich auch auseinandersetzt. „Der nahe Tod. Im Alter gibt es eine Verschärfung im Wissen und Glauben.“, notiert er. Um einige Sequenzen später die „weltweiten Geistdeformationen“ oder den Mangel an intelligenter Fantasie anzuklagen.

Auch das letzte Werk der ehemaligen Habermas-Schülerin Silivia Bovenschen handelt vom menschlichen Ende. Wohlweißlich befasste sich die im Oktober letzten Jahres verstorbene Autorin, die nicht nur hervorragend denken, sondern im Resultat davon, auch schreiben kann, intensiv mit der Vergänglichkeit. Dennoch ist „Lug & Trug & Rat & Streben“ kein apokalyptischer Roman. Hoffnung gibt es, auch wenn Alma meint: „Dieser Welt, da war sie sich sicher, war mit Büchern nicht mehr zu helfen.“ Aber vielleicht ist doch noch nicht alles verloren. Denn an Max, ihrem elffjährigen Enkel, der von Zeit zu Zeit bei seiner Tante Agnes und auch bei ihr vorbeischaut, erfährt sie eine andere Jugend, nicht die, die in ihrer digitalen Gleichzeitigkeit von allem die kostbare Zeit vergessen lassen. Und auch der mysteriöse Mr. Odin, der plötzlich die alte, rumplige Dachgeschosswohnung beziehen möchte, bringt frischen „Fahrtwind“ in das verstaubte Haus und seine Bewohner, die sich letztendlich auf einen Trip zu dubiosen Gestalten und Mischwesen in eine noch viel suspektere Gegend aufmachen.

„‘Donnerwetter‘, raunt Alma, ‚Donnerwetter, da geht ja alles durcheinander, ganz schön bunt diese Mischung, er beherrscht die raumzeitliche Wechselartistik von Irgendwann zu Jetzt, und er tobt wie ein Wilder durch die Zeiträume und die Bildwelten‘“. Sivia Bovenschen verpackt ihren Roman in einem kulminierenden Mummenschanz, einem großen Verwirrspiel. Ein Text, der zwar recht gut zu lesen, aber vielleicht nicht im ersten Ritt ebenso zu verstehen und zu ergreifen ist. Aber so schreibt sie schon immer. Das Durchschnittliche und Triviale war noch nie ihr Ding. Ihre originellen und kunstvoll aneinandergereihten Gedanken/Sätze kann man schon fast als „Ereignis“ werten. Ein wirklicher Erzählfluss, große Bögen entstehen nicht. Eher handelt es sich um eine Folge von Gedanken, Aphorismen und Essays. Zum Anstreichen gibt es für den Liebhaber geistreicher Sätze jedenfalls genug. Und genau diese Einzelsequenzen machen das Buch so lesens- und vor allem nachdenkenswert.

Silvia Bovenschen ist mehr Philosophin als Romancière. Ihren handelten Personen mangelt es ein wenig an Eigenleben, oft wirken sie wie Projektionen der Philosophin. So generiert sie zum Beispiel den kleinen Max als einen fast aus der Zeit gefallenen jungen Burschen, der mir, obwohl er ein ums andere Mal beteuert, die Älteren und ihre mitunter verschrobenen Äußerungen nicht zu verstehen, zu cool und abgeklärt erscheint.

Trotzdem liegt unter dem Bovenschen bizarren Versatzstück eine tiefe Wahrheit. Ihre „Parodie unserer Ängste“, als der ich den Text bezeichnen möchte, birgt eine große Wahrheit über unsere Zukunft. Man muss die Geschehnisse dieses Buches „sortieren, die turbulenten Ereignisse in eine sinnvolle Reihenfolge bringen“, damit einem die Bilder, Gesichter und Laute, die Surrealitäten nicht „ungeordnet durch den Kopf schwirren“. Fazit: „Lug & Trug & Rat & Streben“ entpuppt sich als gut lesbares, mitunter aber nicht leicht zu verarbeitendes „Schriftgeisterschiff“ mit wunderbaren Einzelsequenzen, viel Weisheit und Tiefe zwischen den Zeilen und einer geradezu überbordenden Fülle an intelligenter Fantasie. Zurück bleibt die große Frage: „Was will ich wie lange ertragen?“

 

Silvia Bovenschen
Lug & Trug & Rat & Streben
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main (Januar 2018)
208 Seiten, Gebunden
ISBN-10: 3103973551
ISBN-13: 978-3103973556
Preis: 20,00 EURO

 

Finanzen

Über Heike Geilen 597 Artikel
Heike Geilen, geboren 1963, studierte Bauingenieurswesen an der Technischen Universität Cottbus. Sie arbeitet als freie Autorin und Rezensentin für verschiedene Literaturportale. Von ihr ist eine Vielzahl von Rezensionen zu unterschiedlichsten Themen im Internet zu finden.

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