- Ein wissenschaftliches Konstrukt. Die moderne Gesellschaft ist stark wissenschaftsgeprägt. Kommt die Forschung zu neuen, die Gesellschaft betreffenden Erkenntnissen, kann sie der Gesellschaft und ihrer Politik Themen aufzwingen und Sachzwänge vorgeben. Die Klimakrise ist solch ein wissenschaftliches Konstrukt. Ohne Klimaforschung würde man einzelne Katastrophen registrieren, sie aber Zufällen oder wahrnehmungsnäheren Phänomenen wie Siedlungen in Risikogebieten, Flussbegradigungen, Bodenabsenkungen durch Grundwasserentnahme und Bodenverdichtung (so in küstennahen Großstädten wie New Orleans, Tokio, Jakarta), Monokulturen in Land- und Forstwirtschaft, also verfehlter Land- und Wassernutzung (auch der Hauptfaktor bei der Abnahme der Biodiversität) zuschreiben. Auf die Idee, Emissionen zu reduzieren, käme niemand. Mit der wissenschaftlich registrierten Klimaerwärmung werden lokale Ereignisse hingegen Teil einer globalen Entwicklung.
Wissenschaft ist heute hoch spezialisiert und mit Verallgemeinerungen aus Einzelforschungen angesichts einer Unzahl von Einflussfaktoren, Rückkopplungen, unvorhergesehenen „Nebenfolgen“, Zufällen vorsichtig. Szenarien oder Klimaprojektionen gelten nur unter den getroffenen Annahmen und gleichbleibenden Nebenbedingungen. Die Klimaforschung diskutiert durchaus offen ihre Unsicherheiten, wie den Einfluss der Wolken (der Treibhauseffekt wird zu 60-70% von Wasserdampf bewirkt), der Sonnenaktivität, die Wechselwirkung Wolken-Aerosole, die Wirkung des Ozeans, Rückkopplungseffekte. Nicht einbeziehbar sind unvorhersehbare Ereignisse. So würde ein Vulkanausbruch wie der des Tambora (1815), der zu mehreren Jahren der Abkühlung mit Missernten, Hungersnöten führte, alle Prognosen hinfällig machen. Überhaupt sind die meisten Prognosen falsch. Auch der IPCC passt ständig seine Szenarien an. Allerdings ändert das nichts daran, dass die Klimaerwärmung nach jetzigem Stand Konsens in der Wissenschaft ist – eine eher seltene Einigkeit, die allerdings zur Selbstverstärkung und Einseitigkeiten neigt: Mit der Klimaforschung sind Karrieren, Geld, Macht verbunden, und der IPCC kann sich kaum noch etwas anderes als eindringliche Warnungen leisten. Mögliche positive Auswirkungen werden fast völlig ausgeblendet: Mildere Winter sind ja nicht nur negativ, und es wird auch Gewinnerregionen geben.
So wichtig es bleibt, auf die Grenzen jeder Wissenschaft zu verweisen – für neue Erkenntnisse ist sie und nur sie in der Gesellschaft zuständig. Die Gesellschaft muss wissenschaftliche Warnungen ernstnehmen: Mit der Klimaerwärmung steigt die Wahrscheinlichkeit von Extremereignissen (Überschwemmungen, Hitzewellen, Dürren mit Gefährdung der Ernährungssicherheit, Starkregen, Wirbelstürme), und bei dem befürchteten Meeresspiegelanstieg drohen Küstenregionen unbewohnbar zu werden. Die globale Klimaerwärmung kommt zu den lokalen Übernutzungen hinzu. Sie aber sind kaum zu vermeiden: Die Bevölkerung wuchs seit den 1950er Jahren von 2,5 Milliarden auf inzwischen 8 Milliarden Menschen, die mit ihrem Bedarf an Nahrung, Wasser, Land, Energie, Rohstoffen lokal und global die Umwelt belasten. Die Bevölkerungszunahme und fehlende freie Landflächen verhindern auch, dass die naheliegende und historisch oft erzwungene Reaktion auf Klimaänderungen, die Auswanderung, heute eine Lösung bietet, vielmehr Millionen Umweltflüchtlinge als zusätzliche Belastung befürchtet werden. Am stärksten von Katastrophen bedroht sind dabei ärmere Länder mit hohem Bevölkerungswachstum, großem Ressourcenmangel, großen Ungleichheiten, gesellschaftlichen und staatlichen Konflikten.
- Begrenzte Anpassung. Die Politik hat auf allen Ebenen auf die drohende Klimaerwärmung reagiert, zahlreiche Programme, so nationale Anpassungsstrategien gestartet, Informationszentren, Koordinationsorgane institutionalisiert, unterstützt unzählige Forschungsprogramme für eine nachhaltige Entwicklung in allen Bereichen – allerdings vor allem in reichen Ländern, die sich vielfache Vorsorge leisten können. Aber auch sie kommen schnell an Grenzen: Schon an die Landwirtschaft traut sich die Politik nur vorsichtig heran, die ökologisch ruinöse und moralisch verwerfliche Fleischwirtschaft steht nicht zur Disposition, genauso wenig Flugreisen noch weniger das Auto, und bei zunehmendem Verkehr und etwa in Deutschland fehlenden hunderttausenden Wohnungen lässt sich auch die Zersiedlung und Versieglung der Böden nicht stoppen. Selbst Katastrophen bewirken wenig: So sollen im Ahrtal, das zu eng für die vorhandene Bebauung ist und wo es schon 1804, 1910 ähnlich verheerende Hochwasser wie 2021 gab, die zerstörten Bauten mit wenigen Ausnahmen wieder aufgebaut werden. Angesichts der Seltenheit solcher Ereignisse eine durchaus verständliche Reaktion: Wenn man Jahrzehnte oder Jahrhunderte lang eine Region mehr oder weniger unbeschadet besiedelt und mit Technik die Natur erfolgreich an die Gesellschaft angepasst hat, schreibt man diese Situation – in der Naturkatastrophen überhaupt Naturveränderungen nicht vorgesehen sind – als natürlich in die Zukunft fort. Und zu dieser Situation gehört auch das Klima, das sich meist nur langsam, kaum wahrnehmbar ändert.
Klimaänderungen gab es schon immer und wird es immer geben. Sie können zu schweren sozialen Krisen führen, wobei bisher Abkühlungen, so die Kleine Eiszeit (14-18 Jh.) mit Hochwasser-, Sturmkatastrophen, extrem kalten Wintern, Hungersnöten, Epidemien problematischer als Erwärmungen waren. Allerdings ist die heutige Klimaänderung nach jetzigem Stand besonders schnell und wird sich nicht aufhalten, bestenfalls verlangsamen lassen. Angesichts dessen sollte man meinen, dass die zu erwartenden regionalen Veränderungen und Anpassungsstrategien auch die politische Diskussion beherrschen. In der Öffentlichkeit wird Anpassung zwar kurzzeitig nach Katastrophen oder Hitzewellen diskutiert, die Hauptrolle spielt jedoch das globale Kohlendioxidproblem.
- Emissionsreduktion als einfache Lösung. Das scheint „an sich“ wenig sinnvoll, lassen sich weltweite Vorgaben doch nur umsetzen, wenn außer der EU (mit ihrem 7,3% Anteil am globalen Kohlendioxidausstoß; BRD 1,8%, Schweiz 0,1%) die anderen großen Verursacher (China 32,9%, USA 12,6%, Indien 7%, Russland 5,1%) mitspielen – was sie bekanntlich nicht tun. Wenn aber nur Europa aus fossiler Energie aussteigt, nützt das wenig, zumal dann auch die Wahrscheinlichkeit steigt, dass andere Länder mehr verbrauchen. Man rechtfertigt die ambitionierten Reduktionsziele mit der Vorreiterrolle, die man spielen will, und stellt sich so als aktiv Handelnde dar. Wie so oft reagiert die Politik jedoch nur auf eine Situation, in die sie durch gesellschaftliche Vorgaben und die eigene Logik geraten ist.
Die entscheidende Vorgabe kam von der Wissenschaft. Forschungsergebnisse erreichen allerdings nur dann die Öffentlichkeit, wenn sie, was selten vorkommt, von den Massenmedien aufgegriffen werden, und dazu müssen sie Sensationelles allgemeinverständlich präsentieren. Und so erreichten die Warnungen der Wissenschaftler die Gesellschaft in vereinfachter, auf die Treibhausgase zugeschnittener Form. Da Naturkatastrophen heute nicht mehr als hinzunehmende Gefahr, sondern vermeidbares Risiko gelten, überhaupt das Sicherheitsbedürfnis extrem angestiegen ist, soll nun die Politik mit Hilfe von Wissenschaft und Technik das Klima konstant halten. Große Teile der Gesellschaft glauben immer noch, man könne bei gutem Willen Welt und Gesellschaft steuern. Die Angst vor der drohenden „Klimakatastrophe“ wurde damit zum politischen Problem. Gegen Angst kann man nicht argumentieren und sie nicht wegbefehlen. Wenn sie von größeren Bevölkerungsgruppen kommuniziert, sei es wirklich gefühlt oder auch nur behauptet wird, muss die Politik auf die angstauslösende Bedrohung reagieren.
Die einfach klingende Lösung, die die Wissenschaft anbot, die Emissionsreduktion, nahm die Politik schnell auf, denn das kannte sie schon: 1989 hatte sie zum Erhalt der Ozonschicht den Ausstieg aus der FCKW-Produktion – ein auf wenige Länder begrenztes und schnell vergessenes Problem – beschlossen. Die Klimaproblematik aber blieb seit den 90er Jahren durch globale Institutionen wie die UN, den IPCC und zahlreiche Konferenzen in der Weltpolitik. Für die Politik war das zunächst ein eher angenehmes Thema: Auf weltpolitischer Ebene konnten sich die Spitzenpolitiker angesichts langer Reaktionszeiträume (Klimaneutralität bis 2050) als verantwortungsbewusst präsentieren, auf Konferenzen übergeordnete globale und nationale Reduktionsziele festlegen, ohne sich groß um eine Umsetzung kümmern zu müssen. Politisch ist man für einige Wahlzyklen, aber nicht über Jahrzehnte verantwortlich.
Der Konzentration auf Emissionen kam des Weiteren entgegen, dass die Umstellung des Energiesystems auf erneuerbare Energien wegen der Endlichkeit fossiler Energieträger langfristig so oder so notwendig ist. Billige Energiebeschaffung aber ist für die energieintensiven Wohlstandsgesellschaften das eigentliche Problem. Die „Energiewende“ konnte mit der Emissionsproblematik zusätzlich plausibilisiert werden – allerdings mit ihr auch die Atomkraft trotz der Wahrscheinlichkeit „normaler“ Katastrophen und ungelöster Entsorgung wieder als Zukunftsenergie gelten. Fossile Energieträger sind jedoch nicht so knapp, wie lange prognostiziert, so dass die Umstellung jetzt wegen der politisch festgelegten Emissionsziele forciert werden muss – mit den entsprechenden sozialen und wirtschaftlichen Kosten für diejenigen, die ihre Reduktionsziele, getrieben durch ihre nationale Öffentlichkeit, ernstnehmen müssen.
Wissenschaftliche, von den Massenmedien aufgenommene Warnungen, Sicherheitsbedürfnis und Angst vor der Klimakatastrophe, Weltpolitik und notwendige Energiewende verbanden sich zur scheinbar einfachen Lösung der Emissionsminderung, die die Gesellschaft und ihre Politik jetzt nicht mehr loswerden.
- Vordringlichkeit des Gegenwärtigen. Ausgenommen die Forstwirtschaft, bei der es um einfach kalkulierbare Wachstumszyklen geht, gab es bisher weder für wirtschaftliches noch politisches Handeln Langfristplanungen über Jahrzehnte. Sie werden heute angesichts der globalen und langfristigen Folgen des Wirtschaftens nötiger und angesichts einer zunehmend komplexen Weltgesellschaft zugleich unmöglicher.
Pläne sind stets unterkomplex. Sie fußen auf ausgewählten Kausalbeziehungen und können sich selbst nicht einbeziehen: Die Situation mit Planung ist eine andere als die Situation vor der Planung. Bei kurzfristigen und beschränkten Planungen sind diese Grenzen oft vernachlässigbar. Mit langen Zeithorizonten und der Komplexität steigt hingegen die Regelungsdichte und mit ihr die Wahrscheinlichkeit unvorhergesehener Folgen, die weitere Regelungen erzwingen, der bürokratische Aufwand steigt, eventuell startet man Entbürokratisierungsprogramme – mit neuen Regelungen.
Schon innerhalb der Gesellschaft sind die Zeiträume, an denen sich die verschiedenen Bereiche orientieren nicht aufeinander abgestimmt, was die Politik, orientiert an ihren eigenen Zeitvorgaben, durch ständige Interventionen auszugleichen versucht. Hinzu kommen nun natürliche Zeiträume. Klimaforscher rechnen in Jahrzehnten, ohne die Funktionsbedingungen und Zeitperspektiven anderer Bereiche wie Wirtschaft oder Politik zu beachten. Schon die wirtschaftliche und soziale Entwicklung hat man nicht geplant steuern können, und jetzt muss man noch das Klima hinzunehmen!
Damit wird das ständige Hin und Her der Politik, die sich um den jeweils gerade gesellschaftlich problematischen Bereich kümmern muss, verstärkt: Nach einem Extremwetterereignis, das heute immer auf die Klimaerwärmung zurückgeführt wird, mahnen Klimaforscher, Klimaaktivisten, Massenmedien endlich durchgreifende Maßnahmen an, die Politik verspricht Abhilfe. Geht sie zur Umsetzung über, wird sofort vor wirtschaftlicher und sozialer Überforderung gewarnt, die Politik beruhigt, schwächt die Pläne ab oder verteilt Gelder, was wiederum den Staat finanziell zu überfordern droht. Die einen treibt die Angst vor der „Klimakatastrophe“, die anderen vor Wohlstandsverlusten, und die Politik entscheidet je nach Stimmungs- und Problemlage.
Eine Klimatechnokratie ist deshalb eher unwahrscheinlich. Zwar sind der Politik das Thema und die Selbstfestlegung auf Emissionsreduktion vorgegeben, doch bei der konkreten Umsetzung reden die verschiedenen gesellschaftlichen Interessengruppen mit. Der Zusammenhang zwischen individueller oder auch nationaler Emissionsreduktion und globalem Klima ist viel zu indirekt, um die Gegenwartssorgen zurückzustellen. Das Klima ist deshalb auch keine moralische Frage: Die Einzelne hat, egal wie sie sich verhält, keinen Einfluss auf das Weltklima (wenn man unbedingt etwas für seine persönliche Kohlendioxidbilanz tun will, dann kann man das allerdings zufällig mit moralischer Rücksicht verbinden, denn eine vegane Ernährung und der Verzicht auf Kinder sind individuell die wirkungsvollsten, aber eben vernachlässigbaren Emissionsreduktionsmaßnahmen). Wahrscheinlich wird man die ehrgeizigen Ziele – man kennt das von den zentralwirtschaftlichen Fünf-Jahres-Plänen – durch interpretatorische Tricks erfüllen oder weiter hinausschieben. Los wird man sie allerdings nicht mehr.
Mit der Konzentration auf die Kohlendioxidreduktion wird die ökologische Problematik – Verknappung von Ressourcen (Nahrung, Wasser, Boden, Energie), Umweltverschmutzung, Zerstörung oder Veränderung der Natur – nur unzureichend erfasst und von der eigentlichen Herausforderung, der Anpassung, abgelenkt. Auch kann sich nicht jede und nicht jedes Land Rücksichten auf das Weltklima leisten. Für die Mehrheit der Menschen dominieren andere Sorgen, und selbst in den reichen Ländern darf Klimapolitik den erreichten Wohlstand nicht gefährden. Langfristige wissenschaftliche Warnungen und globale Reduktionsziele „passen nicht“ zu den sozialen Gegebenheiten. Sie könnten die Gesellschaft spalten und durch Fehlsteuerung von Aufmerksamkeit und Geldern überfordern. Dies umso mehr, als auch bei einer Anpassungspolitik ungewiss bleibt, ob das wirtschaftlich und sozial Mögliche auch das ökologisch Nötige berücksichtigt. „Dass man viel falsch machen kann“, so Niklas Luhmann lapidar, „besagt noch nicht, dass man es auch richtig machen kann.“ Die weiter wachsende Weltbevölkerung, die zunehmende Komplexität der Probleme und die voraussehbar eintretenden unvorhergesehenen Ereignisse können durchaus pessimistisch stimmen: Ökologische Überlastung, zu hohe Komplexität oder „schwarze Schwäne“ drohen an Kipppunkte zu führen.
Man mag deshalb die Antiquiertheit des kurzfristig orientierten Menschen oder die organisierte Unverantwortlichkeit beklagen: Individuell ist, wie für jedes Leben, so auch für den Menschen, das Gegenwärtige vordringlich, lebt man jetzt, in der Gegenwart und, abhängig vom Alter, in der mehr oder weniger entfernten nächsten Zukunft, denn: „In the long run we are all dead“. Man macht sich Sorgen um das nächste Hochwasser, das nächste Unwetter, die nächste Hitzewelle – weshalb eine Anpassungspolitik auch eher zur condition humaine passt –, aber nicht ernsthaft um die Kohlendioxidbilanz 2050 oder 2100. Sonst könnte man auch die nach den Milankovic-Zyklen in 10.000 Jahren bevorstehende Eiszeit oder gleich das Ende der Menschheit in fernen Zeiten als Referenzpunkt nehmen. Weder sie noch die „Klimakatastrophe“ sind aber das eigentlich Angsterregende, sondern dass jeder die individuelle Apokalypse, der Untergang der eigenen, und das bedeutet auch: der Welt überhaupt in überschaubaren Zeiträumen bevorsteht.
Sigbert Gebert, Dr. phil., Dipl.-Volksw., geboren 1959, studierte Philosophie, Politik, Soziologie und Volkswirtschaft in Freiburg (Brsg.) und Basel. Lebt als Privatgelehrter in Freiburg und Zürich. Veröffentlichungen u.a. „Sinn – Liebe – Tod“ (2003), „Die Grundprobleme der ökologischen Herausforderung“ (2005), „Philosophie vor dem Nichts“ (2010), zahlreiche Aufsätze/Essays zu philosophischen, psychologischen, soziologischen, politischen Fragen.