Ein Steig, ein Bayernwalddenkmal, ein Rad- und Wanderweg, sogar ein „Kunst- und Literaturwanderwegsystem“ sind nach Adalbert Stifter benannt. Seit kurzem auch das einzige diesem Dichter gewidmete Museum, „Stifter und der Wald“, auf deutschem Boden: die Gedenkstätte Rosenberger-Gut in Lackenhäuser. Um genau zu sein: Das Museum gab es schon. Seit Mitte September aber ist es, wohlgemerkt: mustergültig, zum Literaten-Memorial umgestaltet. Das zeitgerechte, geschmackvolle Design übertrifft ästhetisch und inhaltlich alle Erwartungen an eine Einrichtung mit dem Schwerpunkt Heimatschrifttum. Womit Adalbert Stifter (1805 – 1868) keineswegs als Heimatschriftsteller abgestempelt werden soll. Seine Bedeutung als spätromantischer Schriftsteller von Rang reicht weit über die Grenzen seiner sowohl böhmisch als auch österreichisch, nicht zuletzt bayrisch geprägten Herkunfts-Landschaft hinaus. Stifter selbst ließ keinen Zweifel aufkommen, dass ihm seine Wurzeln, die nun einmal im Dreisesselgebiet im Bayrischen und Böhmer-Wald liegen, zu dem werden ließen, was ihn über die Enge eines standortgebundenen Schriftstellers hinauswachsen ließ. „Meine ganze Seele hängt an dieser Gegend“, schrieb er. Und: „Wenn ich irgendwo völlig genese, so ist es dort.“ Dieses Stifter-Zitat hat sich das im Böhmerwald liegende Museum im nahen Schwarzenberg als Werbeslogan zu Eigen gemacht. Doch lag Stifters „zweite Heimat“ in Lackenhäuser. Darauf wird der Besucher beim Betreten der schon äußerlich schmucken Gedenkstätte in den Räumen des „Ladenstöckls“ im Seitenflügel des Rosenberger-Guts hingewiesen. Im Erdgeschoß wird er über die Hausgeschichte informiert. „In den beiden Obergeschoßen erhält er Einblick in das Leben von Adalbert Stifter, seine Aufenthalte im Rosenberger-Gut und sein künstlerisches Werk“.
Wie und wann kam der Verfasser der Romane „Abdias“ (1842), „Witiko“ (1865/67; dessen 3. Band weitgehend hier entstand) oder „Der Nachsommer“ (1857), vieler Erzählungen und Essays in die Abgeschiedenheit von Lackenhäuser, etwa 50 km von Passau entfernt? In dem 1818 errichteten Gutsgasthof der Händlerfamilie Rosenberger stieg der durch den angrenzenden Wald streifende Dichter gern ab. Mit Franz Xaver, dem Sohn des Erbauers Matthias Rosenberger, freundete er sich an.1855 empfahl der Arzt Stifter einen längeren Kuraufenthalt. Des Patienten Wahl fiel auf „die Lakerhäuser“, wie Stifter den bevorzugten Ort seines Bayernwald-Aufenthaltes nannte. Im „Ladenstöckl“ fühlte er sich wohl. Mehrmals gewährte ihm hier sein Gönner Herberge. 1856, 1860, 1862, 1863 logierte Stifter hier über einen längeren Zeitraum. Monatelang blieb er in den Jahren 1864 bis 1866, gesundheitlich schon schwer angeschlagen, bei den Rosenbergers.
Der letzte Aufenthalt im Gut des Lackenhäuser Freundes ist mit einem dramatischen Ereignis verbunden. 1867, kurz vor seinem Tod, verarbeitete er es in dem autobiografischen Text „Aus dem Bairischen Walde“. Die Münchner Autorin und Regisseurin Petra Morsbach nahm es diesen Sommer als Sujet für den 56-minütigen Film „Der Schneesturm“. Ein solcher hatte den geschwächten, depressiv gewordenen, bald von Selbstmordgedanken zermürbten Dichter davon abgehalten, seine unversehens erkrankte Frau in Linz aufzusuchen. Im Museum ist der eindrucksvolle Film, der ein starkes Porträt des gealterten, siechen Adalbert Stifter zeichnet, in voller Länge zu sehen.
Läuft der Film in einem engen abgedunkelten Raum – der Niedergeschlagenheit des Protagonisten gemäß –, sind die anderen Räume, im unteren Bereich ist es das ehemalige Gewölbe, mit Ausnahme des der Stifter`schen Frauen-Problematik gewidmeten, hell und weit. Um unters Dach zu einer chronologisch geordneten Stifter-Werk-Schau mit in Glas-Nischen liegenden Erstausgaben zu gelangen, nimmt man gern eine schmale, steile Treppe. Am Beispiel des Erzählbandes „Bunte Steine“ (1853) wird demonstriert, welchem Wandel die Ausgaben des wohl populärsten Buches Adalbert Stifters allein vom Cover her unterliegen. Eine im Regal in einer noblen Lounge fein zusammengestellte Stifter-Bibliothek lädt zum verweilenden Lesen, zumindest An-Lesen ein. Namentlich die Kinder verlockt eine Schreib-Werkstatt mit Stempelstation zum Erproben der Schrift, die Stifter benutzte: die „Kurrent“. Museums-Leiterin Monika Süß, die bereitwillig ihr reiches Wissen an große und kleine Besucher weitergibt, hat Freude an den „lustigen Seiten“, die sie den ertragreichen Lackenhäuser-Aufenthalten Adalbert Stifters abgewinnen kann. Darunter ist die Geschichte von den Semmeln, die sich der berühmte Lackenhäuser Kurgast aus Linz hatte regelmäßig schicken lassen, um sich auch beim täglichen Frühstück heimisch zu fühlen. So eine Semmel-Attrappe kann man sich, verbunden durch ein Kabel, ans Ohr halten und solchen Schnurren lauschen, die jede VIP-Biografie würzen.
Höhen und Tiefen, Lustiges und Tragisches, Erhebendes und Niederdrückendes kennzeichnen des „Böhmerwalddichters“ Lebensgang von Oberplan über Kremsmünster, Wien und Linz mit den inspirierenden Abstechern an den bayrischen Dreisesselberg. Die Architekten haben dieses Moment aus der Stifter-Vita, neben anderen belegbaren Episoden,sinnfällig gemacht – durch die Veranschaulichung des Dichter-Ausspruchs „Waldwoge steht hinter Waldwoge, bis eine die letzte ist und den Himmel schneidet“. Wie schön, dass alle Texte in Deutsch und Tschechisch gehalten sind.
„Stifter und der Wald“, Museum im Rosenberger Gut, neu gestaltet seit September 2014, D – 94089 Neureichenau, Lackenhäuser 146, geöffnet Mi 9 – 12, Sa 13 – 17, So 11 – 18 Uhr. Ermäßigte Eintrittspreise für Kinder und Jugendliche, Schwerbehinderte, Schüler und Gruppen. E-Mail: stifter-museum@outlook.de
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