Vom Marktplatz der Stadt Rodach in Oberfranken, in der ich aufgewachsen bin, führten bis 1945 zwei Straßen nach Thüringen, nach Heldburg und nach Hildburghausen. Während des Krieges bin ich mit meiner Mutter auf dem Fahrrad mehrmals unterwegs gewesen im Heldburger Unterland. Einmal sind wir auch mit dem Pferdewagen zum Straufhain, einer Burgruine bei Seidingstadt, gefahren. In dieser fröhlichen Runde hätte sich damals, im Sommer 1942, als ich fünf Jahre alt war, niemand vorstellen können, dass solche Reisen drei Jahre später nicht mehr stattfinden würden. Deutschland hatte 1945 den Krieg verloren, Rodach lag nun in der amerikanischen Besatzungszone, der Straufhain in der russischen. Dazwischen wuchs jetzt eine Grenze, die uns fremd war und die mit den Jahren dichter und dichter wurde.
Die beiden Straßen, die von Rodach nach Thüringen führten, endeten nun im Nichts! Auf der Heldburger Straße, wo der Rodacher Stadtwald endete, war ein Schlagbaum errichtet worden. Daneben lagen zwei von Moos überwachsene Grenzsteine, die dem Besucher anzeigten, dass hier das Herzogtum Sachsen-Coburg-Gotha aufhörte und das Herzogtum Sachsen-Meiningen anfing. Auf der Thüringer Seite sah man die Veste Heldburg liegen, eine Nebenburg der Meininger Herzöge. Die Hildburghäuser Straße aber war auf dem letzten Kilometer zur Grenze von Gras, Unkraut und kleinen Sträuchern überwuchert, da sie nicht mehr befahren wurde. Auch hier gab es einen Schlagbaum, wo ich immer hilflos stand und hinüberstarrte nach Adelhausen. Die Leute auf der anderen Seite konnte man jetzt nur noch aus der Ferne beobachten, wie sie aus ihren Häusern traten, die Straße überquerten und in anderen Häusern verschwanden. Rauch stieg aus den Schornsteinen, Hunde bellten irgendwo in den Gehöften, sprechen konnten wir mit den Thüringern nicht mehr. Wenn wir winkten, winkten sie nicht zurück, das war ihnen verboten worden, denn wir waren der „Klassenfeind“, sie dagegen gehörten zur „sozialistischen Staatengemeinschaft“, die von Eisenach bis Wladiwostok am Pazifik reichte.
Nach dem Krieg, als Thüringen nicht mehr erreichbar war, begannen wir uns einzurichten in unserem Rodach, das nunmehr auf drei Seiten von der innerdeutschen Grenze umgeben war, nur die Landstraße und die Zugverbindung nach Coburg waren offen. Die Grenze verwuchs nun mit unserem Leben, als hätte es sie schon immer gegeben. Ungläubig lauschten wir den Erzählungen der Erwachsenen, dass sie nach Meiningen und Rudolstadt ins Theater gefahren waren. Wann sollte denn das gewesen sein? Für uns dagegen war Rodach die „Stadt im toten Winkel“, wie unser Bürgermeister das nannte. Fuhren wir zufällig nach Nürnberg oder Würzburg, dann merkten wir, dass es jenseits von Rodach ein freieres Leben gab, das nicht von Schlagbäumen verstellt war.
Gewarnt wurden wir Kinder auch davor, in die Grenzwälder zu ziehen. Der Reith, der drei Kilometer von unserem Haus entfernt lag, sollte äußerst gefährlich sein, von dort sollten wir fernbleiben! Dort gäbe es nur Russen und Wölfe, und auf neugierige Kinder würde sofort geschossen! Die Erwachsenen, das spürten wir, hatten Angst, wir nicht. Wir stießen vor zur geheimnisumwitterten Waldwiese und darüber hinaus bis zu jenem Zaun, hinter dem Thüringen lag. Wölfe haben wir nicht gesehen, Russen auch nicht.
Manchmal sprachen die Erwachsenen auch über schreckliche Zwischenfälle, leise und verstohlen, weil das nicht für Kinderohren bestimmt war. Da hatte sich, noch vor dem Mauerbau 1961, ein früherer Bewohner des Dorfes Holzhausen in Thüringen, der nach Rodach geflohen war, im Stadtwald erhängt. Vom Waldrand aus hatte er sein Dorf sehen können, zugleich aber hatte er gewusst, dass er nie wieder dorthin zurückkehren konnte. Und ein Rodacher Kommunist, der immer vom DDR-Sozialismus, den er nicht kannte, geschwärmt hatte, war nach 1961 den umgekehrten Weg gegangen und in den „Arbeiter- und Bauernstaat“ übergesiedelt, was er bitter bereuen sollte. Berlin-Reisende aus Rodach erzählten, sie hätten ihn Jahre später zufällig in Ostberlin getroffen: Er hätte nur noch geweint!
Jahre später, als ich Oberschüler in Coburg war, kam ich doch noch auf die andere Seite der innerdeutschen Grenze. Ich besuchte in den Sommerferien 1954 und 1955 meinen Onkel, der bei Meiningen Landarzt war. Er hatte zwei Söhne, die auch Ärzte werden wollten. Der ältere Sohn hatte 1954 gerade Abitur gemacht, durfte aber als Sohn bürgerlicher Eltern an keiner DDR-Universität studieren. Da mein Onkel diese Entscheidung nicht akzeptierte, suchte er mit seinen beiden Söhnen und mir alle sechs DDR-Universitäten wegen des verweigerten Studienplatzes auf, es war aber alles vergeblich! Immerhin machte ich 1954 eine DDR-Rundreise, was ich eigentlich nicht gedurft hätte, denn meine Aufenthaltserlaubnis galt nur für den Landkreis Meiningen. Mit dem jüngeren Sohn fuhr ich 1955 nach Eisenach auf die Wartburg, die ich erst 1990 wieder betreten sollte. Er wurde 1956 als überzeugter Jungsozialist zum Medizinstudium zugelassen und bekam später eine Professur in Dresden.
Im Sommersemester 1958 nahm ich ein Studium der Literaturwissenschaft an der Freien Universität in Berlin-Dahlem auf. Dort waren auch DDR-Studenten immatrikuliert, die entweder als „Republikflüchtlinge“ nach Westberlin gekommen waren oder solche, die noch immer in Ostberlin und den Randgebieten der Stadt wohnten und täglich zum Studium nach Westberlin fuhren. Erstaunlicherweise gab es an der Freien Universität auch Vorlesungen und Seminare über die DDR-Staatsreligion Marxismus-Leninismus, um über das Gesellschaftssystem, von dem Westberlin umgeben war, aufzuklären.
In den Semesterferien 1959 fuhr ich mit meinem Moped nach Nienburg in Niedersachsen, wo wir, eine Gruppe von Studenten, im Auftrag des Landesmuseums Hannover ein germanisches Gräberfeld aus der Völkerwanderungszeit freilegten. Nach acht Wochen Grabungsarbeit fuhr ich für zehn Tage nach Leipzig, um meine Tante zu besuchen, die als Bibliothekarin an der Deutschen Bücherei arbeitete. Einige Wochen zuvor hatte ich vom Schicksal des Leipziger Schriftstellers Erich Loest erfahren, der wegen „konterrevolutionärer Gruppenbildung“ zu siebeneinhalb Jahren Zuchthaus verurteilt worden war. Deshalb wollte ich mir in der Deutschen Bücherei drei seiner frühen Romane ausleihen, bekam sie aber nicht ausgehändigt, da ihr Verfasser „Verbrechen“ gegen den sozialistischen Staat begangen hätte, wie mir gesagt wurde. Das erzählte ich verärgert meiner Tante, die mir vorschlug, doch einfach die Ehefrau Annelies Loest aufzusuchen, die in der Oststraße nur zwei Häuser weiter wohnte. An einem verregneten Oktoberabend schlich ich ins übernächste Haus, klingelte im ersten Stock, wurde freundlich empfangen und durfte die drei erbetenen Romane mitnehmen. Von Helmstedt aus, wo mein Moped untergestellt war, fuhr ich dann die Autobahn zurück nach Westberlin. Die drei Bücher schickte ich im Dezember 1959 von einem Ostberliner Postamt zurück nach Leipzig, mit fingiertem Absender. Ich wollte Annelies Loest Unannehmlichkeiten ersparen. Dass dieser harmlose Besuch der erste Schritt zu meiner Verhaftung 1961 war, hätte ich mir damals nicht vorstellen können.
Im November 1959 zog ich ins Studentendorf Berlin-Schlachtensee. Auch von dort aus fuhr ich jeden Samstagmorgen nach Ostberlin, um Bücher zu kaufen. Inzwischen hatte ich auch eine DDR-Studentin kennen gelernt, die Philosophie, also Marxismus-Leninismus, studierte und in Leipzig noch Vorlesungen bei Ernst Bloch gehört hatte, bevor er 1957 zwangsemeritiert wurde und die Karl-Marx-Universität nicht mehr betreten durfte. Sie war begeistert von seiner Philosophie und empfahl mir dringend, sein dreibändiges Hauptwerk „Das Prinzip Hoffnung“ zu lesen. Über Elisabeth bekam ich auch Beziehungen zu anderen Ostberliner Studenten, als sich im Sommersemester 1960 der Würzburger Geschichtsprofessor Rudolf Buchner bei mir meldete. Er käme in einigen Tagen mit seinen Studenten nach Berlin, ob ich ihnen nicht eine Diskussionsrunde mit DDR-Studenten vermitteln könnte. Das gelang, wir diskutierten drei Stunden in meinem Zimmer im Studentendorf über Gegenwart und Zukunft beider deutscher Staaten. Die Ostberliner kamen noch dreimal, dann verließ ich Berlin und setzte mein Studium im November 1960 in Mainz fort.
Das Studium in der Landeshauptstadt Mainz am Rhein war für mich eine völlig neue Erfahrung! Hier verlief alles ruhiger und überschaubarer als an der Freien Universität. Außerdem gab es hier ein Studienfach „Vergleichende Literaturwissenschaft“, welches es sonst nur noch in Aachen und Tübingen, also in der Französischen Besatzungszone, gab. Dort waren wir im Sommersemester 1961, im Seminar über „Theorie der Literatur“, nur zwölf Studenten. Und es gab die Studentenzeitschrift „nobis“, die älteste in Westdeutschland, wo ich im Juni/Juli 1961 sieben DDR-kritische Artikel veröffentlichte, die von der „Staatssicherheit“ in Leipzig als „staatsgefährdende Hetze“ eingestuft wurden und mir ein halbes Jahr nach der Veröffentlichung dreieinhalb Jahre Zuchthaus einbrachten. Als ich am 6. September 1961 zur Leipziger Buchmesse einreiste, hätte ich nie geahnt, was mich erwartete. Ich lief ohne jedes Angstgefühl durch Leipzig, besuchte für zwei Stunden den berühmten Literaturprofessor Hans Mayer, war auf der Buchmesse im Hansahaus am Alten Markt, versuchte, Annelies Loest in ihrer Wohnung zu erreichen, die aber nicht anzutreffen war, und notierte mir am Schwarzen Brett in der Universität einen Anschlag, worin zu einer Pflichtvorlesung für alle Studenten über „Die humanitäre Funktion des antifaschistischen Schutzwalls“ aufgerufen wurde. Dass das, was ich da tat, das Strafdelikt „Sammlung von Nachrichten“ war, erfuhr ich eine Stunde später von Leutnant 3/5 (so meldete er sich am Telefon) der „Staatssicherheit“, der mich am 9. September gegen 11.00 auf dem Karl-Marx-Platz hatte festnehmen lassen.
Mit meiner unerwarteten Verhaftung an dem Tag, als ich zurückfahren wollte zu den Ausgräbern nach Nienburg, musste ich alles aufgeben, was mein Leben bisher ausgemacht hatte: Meine Eltern und Geschwister, mein Studium in Mainz, meine Freunde. Ich betrat jetzt die mir völlig unbekannte Welt der politischen Gefangenen. Der Offizier, der mich ein Vierteljahr lang verhörte, hieß Rudolf Körner, wie ich 1992 aus den Akten erfahren sollte, und war 32 Jahre alt. Er stammte, wie er mir erzählte, aus der „Arbeiterklasse“ und war überzeugt, dass die Geschichte „gesetzmäßig“ verliefe, weshalb jetzt auch in der DDR die „Arbeiter und Bauern“ herrschten, die den „Sozialismus“ aufbauten. Mir versuchte er fortwährend irgendwelche „Auftraggeber“ oder „Hintermänner“ nachzuweisen, die mich dafür bezahlt hätten, DDR-feindliche Artikel zu schreiben.
Am 23. Januar 1962 wurde ich als „Westagent“ zu dreieinhalb Jahren Zuchthaus verurteilt. Am 12. April kam ich ins Zuchthaus Torgau an der Elbe, wo es 300 Nichtarbeiter gab. Die „Staatssicherheit“ hatte nach dem Mauerbau 1961 derart viele „Staatsfeinde“ verhaftet, dass die Gefängnisse restlos überfüllt waren und es für Hunderte von Gefangenen keine Arbeit gab. Nach Zwischenstationen in Altenburg und Leipzig traf ich am 2. September 1962 im berüchtigten Zuchthaus Waldheim ein und blieb dort fast zwei Jahre, bis ich 1964 freigekauft wurde. Am nächsten Morgen wurden wir frisch eingelieferten Häftlinge vom Zellenhaus, das wir „die Bremen“ nannten, ins Arbeitshaus geführt, das direkt gegenüber lag. Ich arbeitete dann als Kontrolleur im Prüffeld, wir produzierten Kleinmotoren für Küchenmaschinen und Autoheizungen. In unserer karg bemessenen Freizeit lasen wir DDR-Zeitungen oder Literatur aus der Zuchthausbibliothek, die mit deutscher Klassik üppig ausgestattet war. Hinter der „Bremen“ lag der Kultursaal, wo wir alle zwei Wochen DEFA-Filme vorgeführt bekamen oder politische Vorträge anhören mussten, die unserer „Umerziehung“ dienten.
Am 5. Februar 1964 hatte ich ein langes Gespräch mit zwei hohen Offizieren der „Volkspolizei“, die aus Ostberlin angereist waren. Offensichtlich wollten sie erkunden, ob ich „reif“ wäre für eine vorzeitige Entlassung. Wie ich Jahrzehnte später erfuhr, hatte sich die DDR-Schriftstellerein Anna Seghers, über die ich später in Mainz meine Dissertation schreiben sollte, für meine Freilassung eingesetzt. Als ich auf die unhygienischen Zustände in den Zellen verwies (kein fließendes Wasser, ein Kübel für unsere Notdurft), wurde mir hämisch verkündet, daran etwas zu ändern, lohnte sich nicht, da bis 1970 ohnehin alle DDR-Bürger „umerzogen“ wären und man dann keine Zuchthäuser mehr brauchte.
Die Entlassung aus Waldheim kam völlig unerwartet! Am 21. August wurden wir von der „Staatssicherheít“ abgeholt und ins Gefängnis nach Berlin-Hohenschönhausen gebracht. Dort belehrten uns Offiziere, dass wir mit Bussen an die „Staatsgrenze West“ bei Wartha/Herleshausen gefahren werden würden. Bei Jena hielten wir und zwei Rechtsanwälte stiegen zu: Dr. Wolfgang Vogel/Ostberlin und Jürgen Stange/Westberlin. Von denen erfuhren wir dann, dass wir freigekaufte Häftlinge wären. Noch auf DDR-Gebiet stiegen wir in zwei Westbusse mit Hanauer Nummer, die uns ins Schloss Büdesheim in Mittelhessen brachten. Um Mitternacht hielten wir noch einmal auf einer Anhöhe und bekamen eine Tüte mit Milch, Apfelsinen, belegten Brötchen und Zigaretten in die Hand gedrückt. Warmer Nachtwind strich über die Felder: Da standen wir nun: „Staatsfeinde“, der Freiheit entwöhnt, aber voller Zuversicht!
Am nächsten Morgen wurden wir alle befragt und bekamen Westgeld ausbezahlt. Mit einer Taxe ließ ich mich nach Hanau fahren, wo meine Eltern und meine drei Schwestern lebten. Niemand war zu Hause, aber am Gartentor stand unsere Boxerhündin und wedelte vor Freude mit ihrem Stummelschwanz. Ich streichelte ihren Kopf, und sie leckte mir die Hände. Da hätte ich fast geheult! Ich kam mir vor wie Odysseus, der nach zehn Jahren Irrfahrt aus der Ägäis nach Ithaka zurückgekehrt war.
In der Woche nach meiner Heimkehr erhielt meine Mutter einen Brief aus Waldheim, dass nun der neue Besuchstermin fällig wäre. Anscheinend hatten die Genossen in der Verwaltung noch nicht gemerkt, dass ich längst entlassen war. Noch im September fuhr ich zu den Ausgräbern in Nienburg, die immer noch mit Schaufel und Pinsel „Sachsenforschung“ betrieben. Auch in Bonn waren wir Ex-Häftlinge damals zu Gesprächen eingeladen und besuchten den Bundestag. Unvermutet standen die CDU-Politiker Konrad Adenauer und Heinrich Krone vor uns. Als sie von unserem Schicksal erfuhren, gaben sie uns allen die Hand.
Im Mai 1965 nahm ich mein Studium in Mainz wieder auf, merkte aber bald, dass ich mich kaum auf die Vorlesungen konzentrieren konnte, meine Gedanken schweiften ständig ab nach Waldheim. Deshalb wurde ich im Spätsommer 1966 für acht Monate Deutschlehrer in Schweden. Ich lebte in Västergötland und hatte zwei Städte zu betreuen. Die schwedische Sprache lernte ich rasch, schon im Januar 1967 trat ich im Nationaltheater von Oslo auf. Mir wurden Fragen auf Norwegisch gestellt, die ich auf Schwedisch beantwortete.
Die Jahre gingen ins Land. Ich lebte nach meiner Dissertation über Anna Seghers als Chefredakteur in Bonn und erforschte die DDR-Literatur. Wenn ich nach Rodach kam, hörte ich immer neue Fluchtgeschichten. Da waren drei junge Männer aus Hildburghausen in Thüringen, die tranken sich Mut an und zogen ostwärts zur Grenze Richtung Rodach. Sie überwanden den ersten Zaun, fingen an zu singen vor Glück, weil sie meinten, schon „im Westen“ angekommen zu sein., stießen verwundert auf den zweiten Zaun, überwanden auch den, erreichten ein Dorf und fragten den Milchfahrer dort im Morgengrauen, ob sie „im Westen“ wären. „Ja“, sagte der, „aber wo ihr gesungen habt, da lagen die Minen, die euch hätten zerfetzen können!“ Da erfasste sie nachträglich ein furchtbares Entsetzen!
Und dann kam der Tag, auf den ich ein halbes Leben gewartet hatte: Der Mauerfall in Berlin am 9. November 1989! Fünf Wochen später, am 17. Dezember, stand ich nach 47 Jahren wieder auf der Heldburg. Die Grenze zwischen Rodach und Bad Colberg war für acht Stunden geöffnet worden. Von dort ließ ich mich von einem Thüringer hinüberfahren in das Landstädtchen Heldburg, über dem ich, nachdem wir den Wald durchquert hatten, im Wintersonnenschein die herrliche Veste aufleuchten sahen. Mein Herz schlug vor Erwartung, als ich den Festungsberg hinaufschritt und das Tor erreichte, das von der schönen Schlossverwalterin Birgit gerade geöffnet wurde. Sie führte mich durch die Veste, zeigte mir vom Hexenturm die Dörfer ringsum, die ich alle dem Namen nach kannte. Mir war, als wäre ich heimgekehrt. Im folgenden Jahr 1990 bin ich jedes zweite Wochenende nach Thüringen gefahren und habe das Land durchstreift, das wieder zugänglich war. Am 17. Juni 1990, damals noch ein Feiertag, stand ich wieder auf der Wartburg!