Seehofer lobt Merkel – Tritt die Kanzlerin zum fünften Mal an?

Angela Merkel und Horst Seehofer auf dem CSU-Parteitag, Foto: Egon Lippert.

Ob Finanzkrise, Flüchtlingskrise oder Corona – wenn es um die pure Existenz ihrer Landeskinder geht, meldet sich die Kanzlerin zurück. Dafür wird sie in den Medien mittlerweile als weitblickende, warmherzig-menschliche und rechtstreue Heilige verehrt. Selbst ein alter Rivale bescheinigt Merkel jetzt Führungsqualität. Horst Seehofer (CSU) attestiert ihr Tugenden, die die CDU-Politikerin für eine fünfte Amtszeit qualifizieren.

In Ausnahmesituationen scheint Merkel immer wieder Kraft zu tanken, ja, die Ausnahme ist die Stunde der CDU-Politikerin. Während in Deutschland ein föderales Chaos bei der Bewältigung der Coronakrise herrscht, der Lockdown entweder kritisch in Frage gestellt oder als absolutes Heil verkündet wird, Angela Merkel hat ihren Kreuzfahrtluxusliner im Hafen vor Anker fest vertäut. Nur keiner weiß: Ist es die „Titanic“ oder die „Arche Noah“?

Bloß nicht „zu forsch“

Bloß nicht „zu forsch“ bleibt das Credo der Kanzlerin der Mitte, die auch in der Coronakrise das Steuerruder auf Standby setzt und die Schiffsrotoren zur Langsamkeit nötigt. Als Kapitän_in zu Land meidet die Bundeskanzlerin derzeit die hohe See mit ihren Abenteuern, Unübersichtlichkeiten und Gefahren. Die durch Finanz- und Flüchtlingskrise erprobte Steuerfrau hat die Lichter an Bord gedämpft. Statt Unrast, Hektik und willfähriger Entscheidungen regiert Entschleunigung. Und wie Rettungsboote sekundieren sich die Grünen und die LINKE um das große Merkelschiff, schmiegen sich um die sonst Unliebsame, flankieren die brüchigen Steuerbord- und Backbordflächen des Kreuzers und schützen die Kanzlerin auf ihrem Flug durch die Zeit. Nur Christian Lindner (FDP) und die AfD um Alexander Gauland haben Merkels „Arche Noah“ oder „Titanic“, die Kommandobrücke mit ihren besonderen Maßnahmen der eingeschränkten Grund- und Menschenrechten, verlassen. Sie sind in die Schnellboote gestiegen und in die offene See gestartet – Ausgang ungewiss. Einzig Armin Laschet (CDU), Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen und Markus Söder, der bayerische Ministerpräsident und CSU-Chef, sind derzeit noch auf der Brücke. Während Söder schmiegsam den Kurs hält, bringt Laschet Unruhe in Merkels ungetriebene, gefühlte Ewigkeit. Der Fraktionsvorsitzende der LINKEN, Dietmar Bartsch brachte es auf den Punkt „Es ist problematisch, wenn Coronakrise und Kür des Union-Kanzlerkandidaten zusammenfallen. Da sind Herr Söder und Herr Laschet ein Stück weit verhaltensauffällig. Frau Bundeskanzlerin, es geht um das Leben und die Existenz von Menschen, nicht um die Karrieren in der Union.“

Schneller, Höher, Weiter – Die Stunde der Herausforderer

Der Kampf um den Lockdown ist zum Überbietungswettkampf der föderalen Ordnungshüter geworden, die Ministerpräsidenten wittern ihre Chance. Die Coronakrise scheint ja auch die Stunde der Ministerpräsidenten zu sein. Während Merkel missverständlich von „Öffnungs-Diskussions-Orgien“ sprach und Alleingänge der Ministerpräsidenten kritisierte, für Ruhe und Demut im Kampf gegen das Coronavirus warb, um den Status quo nicht zu gefährden, trumpfen die Föderalisten gegen den Ausnahmezustand oder schmiegen sich eben an die weichen Schultern der Übermutter.

Merkels Herausforderer, Norbert Röttgen und Friedrich Merz, sind derzeit deklassifiziert. Sie haben einfach nicht die politische Mächtigkeit und Möglichkeiten sich wie Markus Söder oder Armin Laschet zu inszenieren. Die Ersatzbank ist derzeit ihr Terrain und das taktische Spiel heißt abwarten bis einer der Big Player einen Fehler macht. Dann könnte die Stunde beider, zumindest wenn es um Merkels Nachfolge geht, kommen. Doch bis dahin gilt ein zermürbendes Warten. Während die einen in der politischen Teilnahmslosigkeit versinken, die Ohnmacht spüren, schwebt Bundesgesundheitsminister Jens Spahn als Seiltänzer im Drahtseilakt über die leere Fußballarena.

Söder contra Laschet

Pragmatischer als Spahn agieren hingegen seine Konkurrenten Laschet und Söder. Sowohl der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen als auch der bayerische Ministerpräsident sind die neuen Ordnungshüter der Nation und laufen sich für die Kanzlerschaft bereits warm. Doch das machen sie zuhöchst unterschiedlich. Während der Merkel-Getreue Laschet, lange ein ergebener Diener der Kanzlerin, der ihr auch in schwierigen Zeiten die Treue hielt, jetzt ohne Trainerin selbst die Zügel der Macht ergreift und gegen das politische Berlin zu Hochform aufläuft, ist der Bayer ganz Merkel-konform. Selten gab es solch eine Harmonie zwischen der CSU-Kampfzentrale um dem Bundeskanzleramt.

Söder, einst Urbild der Beschleunigung, ist zum Marathon- und Ausdauerläufer geworden, der mit fast messianischen Gesten und mit weiser landesväterlicher Manier seine Bürger vor den todbringenden Fängen des Virus zu retten versucht. Und das zeigt Wirkung: Nach Franz Josef Strauß liegt ihm fast das ganze südliche Bundesland zu Füßen und nicht nur die Südkurve winkt ihm zu. Während also Markus Söder den Marathon probt und den Ausnahmezustand zu wahren sucht, für bedachte Lockerungen plädiert, läuft Armin Laschet zwar nicht Amok, aber Kurzstrecke und das mit Rekordgeschwindigkeit. Wo Söder auf Distanz und Abstand geht, macht Laschet genau das Gegenteil, er beschleunigt auf Biegen und Brechen. Wenn Söder sogar das Oktoberfest opfert und damit die Bayern der seelischen wie physischen Selbstbehauptung beraubt, kann Laschet gar nicht schnell genug das nächste Möbelhaus eröffnen. Wo der eine die Latte beim Hochsprung hoch hängt, damit die sportliche Hürde bleibt, hängt der andere sie dauernd niedriger.

Der Countdown läuft

Soviel aber ist klar. Für beide ist die Coronakrise der Ernstfall, der über die Kanzlerschaft entscheidet. Wer jetzt gewinnt, krönt sich letztendlich in Berlin zum Kaiser. Selbst wenn es aus München tönt, dass diese Schattenspiele der Macht keineswegs den Thron von Merkel anvisieren, bereitet sich doch Söder insgeheim auf die Nachfolge – ebenso wie Laschet – vor. Beide haben das Kanzleramt fest im Blick, der Entschleuniger und der Beschleuniger. Merkel liegt zwar derzeit fest vor Anker, aber sowohl von München oder Düsseldorf aus will man ihr das Tau kappen.

Doch sowohl für Söder als auch für Laschet könnte die Stunde der verschiedenen Geschwindigkeiten auch zur Stunde des Niedergangs werden. Macht Laschet so radikal weiter, droht ihm nicht nur die Kanzlerin mit Liebesentzug, sondern auch das Gros der Ministerpräsidenten, die noch fast geschlossen mit der Kanzlerin vor Anker liegen. Laschet wäre allzu schnell isoliert und der späte Traum vom Kanzleramt in absolute Sehnsuchtsferne gerückt. Umgekehrt könnte Söder scheitern, wenn er zu lange am Lockdown festhält. Zwar kann er mit diesem Kurs derzeit punkten, doch selbst die exportstarke bayerische Wirtschaft und vor allem den Freiheitswillen der Bürger darf auch er nicht zu lange auf die Warteliste schieben. Sonst wird auch Söder scheitern. Dies hingegen wiederum wäre eine Sternstunde für den Ex-CSU-Chef und ex-bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer. Seehofer hat aus seiner Abneigung gegen Söder nie einen Hehl gemacht, sein Scheitern wäre ihm pure Genugtuung. Gerade wo Söder in die Falle laufen könnte oder den Staffelstab gar von Merkel übernehmen könnte, spricht der Innenminister von einer fünften Amtszeit der Bundeskanzlerin, die Deutschland „gerade sehr stark durch die Krise“ führt. „Strategische Führung“ attestiert Seehofer der Kanzlerin und betont: „Wir können froh sein, dass wir in dieser Situation eine solche Kanzlerin an der Spitze unseres Landes haben.“

Wenn Laschet scheitert und Söder nicht die Kanzlernachfolge antreten will, dann geht Angela Merkel alternativlos in die nächste Amtszeit.

Quelle: The European

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Über Stefan Groß-Lobkowicz 2159 Artikel
Dr. Dr. Stefan Groß-Lobkowicz, Magister und DEA-Master (* 5. Februar 1972 in Jena) ist ein deutscher Philosoph, Journalist, Publizist und Herausgeber. Er war von 2017 bis 2022 Chefredakteur des Debattenmagazins The European. Davor war er stellvertretender Chefredakteur und bis 2022 Chefredakteur des Kulturmagazins „Die Gazette“. Davor arbeitete er als Chef vom Dienst für die WEIMER MEDIA GROUP. Groß studierte Philosophie, Theologie und Kunstgeschichte in Jena und München. Seit 1992 ist er Chefredakteur, Herausgeber und Publizist der von ihm mitbegründeten TABVLA RASA, Jenenser Zeitschrift für kritisches Denken. An der Friedrich-Schiller-Universität Jena arbeitete und dozierte er ab 1993 zunächst in Praktischer und ab 2002 in Antiker Philosophie. Dort promovierte er 2002 mit einer Arbeit zu Karl Christian Friedrich Krause (erschienen 2002 und 2007), in der Groß das Verhältnis von Metaphysik und Transzendentalphilosophie kritisch konstruiert. Eine zweite Promotion folgte an der "Universidad Pontificia Comillas" in Madrid. Groß ist Stiftungsrat und Pressesprecher der Joseph Ratzinger Papst Benedikt XVI.-Stiftung. Er ist Mitglied der Europäischen Bewegung Deutschland Bayerns, Geschäftsführer und Pressesprecher. Er war Pressesprecher des Zentrums für Arbeitnehmerfragen in Bayern (EZAB Bayern). Seit November 2021 ist er Mitglied der Päpstlichen Stiftung Centesimus Annus Pro Pontifice. Ein Teil seiner Aufsätze beschäftigt sich mit kunstästhetischen Reflexionen und einer epistemologischen Bezugnahme auf Wolfgang Cramers rationalistische Metaphysik. Von August 2005 bis September 2006 war er Ressortleiter für Cicero. Groß-Lobkowicz ist Autor mehrerer Bücher und schreibt u.a. für den "Focus", die "Tagespost".