Vordenker der Welt von heute: Immanuel Kant vor 300 Jahren geboren

Collage von Sebastian Sigler

An Immanuel Kant führt kein Weg vorbei. Aufklärung, Logik, Staatsverständnis – in allem ist sein Denken grundlegend. Kants 300. Geburtstag ist die perfekte Gelegenheit, sich mit seinem Leben zu befassen. Eine Biographie also – Manfred Kühn liefert das Referenzwerk. Dieses Buch, das vorweg, ist aktuell. Es erschien bereits zum 200. Todestag Kants, der bekanntlich 2004 begangen wurde. Die neue, mit 25 Euro erstaunlich preiswerte Sonderausgabe präsentiert der Beck-Verlag rechtzeitig zum 300. Geburtstag des überragenden Philosophen, der schon bald, am 22. April 2024, begangen wird.

Manfred Kühn ist ein jüngerer Kollege Kants, selbst an durchaus prominenter Stelle tätig, lehrt er doch Philosophie an der Boston University. Wer, wenn nicht er, sollte uns einen lebensechten Kant zeigen können? Kauzig, gewiss, ein Gewohnheitstier, aber auch immens fleißig, messerscharfe Schlüsse ziehend, eine Berühmtheit, die Bewunderung gelassen ertragend – dies ist der Kant, den Kühn uns nahebringt. Wie nebenbei räumt er mit der Legende eines ereignislosen, fast schon zwangsneurotisch anmutenden Professorenlebens gründlich auf. Sogar ein Heinrich Heine pflegte dieses Bild – aber hier war der messerscharfe Satiriker ausnahmsweise im Unrecht.

Wer also war Kant? Kühn entwirft das Bild eines eleganten und geistreichen Hochschullehrers, der eine höchst wichtige Rolle im gesellschaftlichen Leben seiner Heimatstadt Königsberg spielte, gern von Freunden umgeben, oft auf Gesellschaften. Der Spitzname „eleganter Magister“, der ihm früh beigegeben wurde, illustrierte das zu Lebzeiten, und Manfred Kühn ruft uns das in Erinnerung. Bei ihm begegnen uns die Königsberger Kollegen und Mitstreiter Kants, die Gegner und Konkurrenten – und natürlich auch sein getreuer Diener Martin Lampe.

Ja, Kant war eine Berühmtheit. Schon bald nach seiner Habilitation wurde es Mode unter Studenten und Gasthörern der Königsberger Albertina, coram publico in seinen Vorlesungen zu erscheinen – es ging, so wird kolportiert, Manchem einem gar nicht darum, zu verstehen, was Kant vortrug. Vielmehr galt bereits derjenige bereits als eminent klug und weltgewandt, der es sich überhaupt zutraute, dem berühmten Professor auch nur zuzuhören. Unbeschadet dessen war Kant ein sehr gesuchter Universitätslehrer, rhetorisch gewandt, inhaltlich von großer Präzision, dazu charmant und kontaktfreudig

Wie bedeutend Kant als Gelehrter war, zeigt Kühn exemplarisch an der in allen Details geschilderten Veröffentlichung der „Kritik der reinen Vernunft“, die 1781 im wahrsten Sinne des Wortes über die Bühne ging. Kant selbst nannte dieses Werk „empirisch real, aber transzendental ideal“. Allein über diesen Topos lohnt es sich, ein paar Jahre lang nachzudenken. Sein Biograph Kühn erweist er sich indessen als Kenner der Materie, deutet Kants Gedanken aus und erklärt, wie der Philosoph zu seinen Schlüssen gelangte. Nicht zuletzt setzt er sie in einen überzeugen zeithistorischen Bezug.

So erschließt sich dem Leser auf nie langweiligen 639 Seiten ein differenziertes Bild von Kants Leben, seinem Denken und der Zeit des späten und ausgehenden 18. Jahrhunderts, die ohnehin eine Epoche großer Umbrüche und Neuanfänge war. Um das zu illustrieren, sei ein Blick nach Weimar gewagt, wo Goethe und Schiller, Wieland und der – von Kant sehr beeinflusste – Herder wirkten. Mozart komponierte in Wien. Frankreich ruinierte sich in einem Umsturz, der als „Französische Revolution“ bis heute verherrlicht wird. Auf dem nordamerikanischen Kontinent wurden die Vereinigten Staaten von Amerika gegründet.

Dieser weltgeschichtliche Hintergrund, den Manfred Kühn in dieser Biographie immer durchschimmern läßt, macht deutlich, wie sehr das Denken des großen Philosophen in einer Wechselwirkung mit den wichtigen, überstaatlich wirksamen, kulturellen und intellektuellen Ereignissen seiner Zeit stand. Zu nennen waren hier die Schriften David Humes und Jean-Jacques Rousseaus, die Kühn auch in ihrer Bedeutung für Kant an die richtige Stelle rückt. Vielen Zeitgenossen galt Kant als Epigone des Schotten Hume, und seine Weiterführung, die Aufhebung des Descartes’schen Ansätze sahen sie nicht – Kühn schon.

Nicht zuletzt erschließt sich durch Manfred Kühn, welch überragende Wechselwirkung Königsberg, das königlich-preußische Juwel an der Ostsee, und Kant, der entscheidende Denker der Aufkärung, entfalteten. Diesem Buch eine Erklärung zu den Protagonisten voranzustellen, war angesichts der Faktenfülle eine gute Idee. Der Band ist zudem, obschon er eine Sonderausgabe darstellt, komplett ausgestattet – mit Zeittafel, Bibliographie, Bildnachweisen und Register. Guten Gewissens kann jeder, der über Kant arbeitet, diese Ausgabe der Kühn-Biographie zur Hand nehmen. Sie ist erprobt, zeigt wirkliches Verständnis der komplexen Gedanken, ist dabei frisch und aktuell – kurzum: nach wie vor ein Referenzwerk.

Manfred Kühn, Kant – Eine Biographie, dritte Auflage München 2024, Originalausgabe 2004, 639 Seiten, geb., ISBN 978-3-406-81460-0, 25 Euro.

Manfred Kühn, Kant – Eine Biographie, dritte Auflage München 2024, Originalausgabe 2004, 639 Seiten, geb., ISBN 978-3-406-81460-0, 25 Euro.

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Über Sebastian Sigler 104 Artikel
Der Journalist Dr. Sebastian Sigler studierte Geschichte, Literaturwissenschaft und Kunstgeschichte in Bielefeld, München und Köln. Seit seiner Zeit als Student arbeitet er journalistisch; einige wichtige Stationen sind das ZDF, „Report aus München“ (ARD) sowie Sat.1, ARD aktuell und „Die Welt“. Für „Cicero“, „Focus“ und „Focus Money“ war er als Autor tätig. Er hat mehrere Bücher zu historischen Themen vorgelegt, zuletzt eine Reihe von Studien zum Widerstand im Dritten Reich.