Prittwitz, als Einziger

Friedrich-Wilhelm von Prittwitz und Gaffron hat als einer der Ersten im März 1933 klare Kante und widerständige Haltung gegen Adolf Hitler und sein NS-Regime gezeigt. Und das als einziger deutscher Spitzendiplomat. Genau 90 Jahre ist das jetzt her.

Schon lange bevor im Februar 1933 Hitler seine ersten Erlasse als ernannter Reichskanzler herausgab, hatte Prittwitz die politische Tendenz der neuen deutschen Regierung erkannt. Zwar hatte er die Kaiserzeit als junger Mensch erlebt, aber war überzeugter Demokrat. Seine diplomatische Karriere verlief steil, bereits seit 1927 war er Botschafter des Deutschen Reiches in den Vereinigten Staaten. Seine eigenen, demokratischen Auffassungen und Wertvorstellungen waren völlig  unvereinbar mit Hitlers Weltbild. So bat er, auf einem Höhepunkt seiner Karriere angelangt, am 6. März 1933 um die Entbindung von seinem Posten als deutscher Botschafter in Washington D.C., USA.

Als die Machtergreifung der Nationalsozialisten in greifbare Nähe rückte, hatte Prittwitz die Ansicht vertreten, dass diese Ideologie „unsagbares Leid über Deutschland hereinbrechen lassen musste.“ Verschiedentlich hatte er in Briefen und Stellungnahmen vor der Reaktion der amerikanischen Bevölkerung auf das Erstarken des Sozialismus nationalistischer Art der deutschen Politik und insbesondere vor einer Beteiligung von Hitlers an der Regierung gewarnt. Nun war die Machtübernahme sieben Wochen her, knapp eine Woche zuvor hatte der Reichtag gebrannt, die Grundrechten waren unmittelbar daraus durch die Notverordnung „Zum Schutz von Volk und Staat“ aufgehoben. Das reichte. Prittwitz sandte ein knappes Telegramm nach Berlin: „Angesichts der innenpolitischen Entscheidung in Deutschland halte ich es für meine Pflicht, Sie zu bitten, dem Herrn Reichspräsidenten mein bisheriges Amt zur Verfügung zu stellen.“

Der amerikanischen Öffentlichkeit blieb das nicht verborgen. Im Washingtoner „Evening Star“ stand zu lesen: „Von Prittwitz Resigns Post as German Ambassador to U.S. / Enthusiastic Republican Feels He Is Unable to Represent Hitler / Supporter of Weimar Constitution Likley to Leave Washington Soon.“ An den Reichsaußenminister Konstantin von Neurath schrieb Prittwitz, er habe nie einen Hehl aus seiner politischen Einstellung gemacht, die in einer freiheitlichen Staatsauffassung und republikahnischen Grundsätzen wurzele. Aus Gründen des persönlichen Anstandes könne er nicht weiter seinen Dienst ausüben, ohne sich selbst zu verleugnen.

Friedrich Wilhelm von Prittwitz und Gaffron. Bildquelle: Bundesarchiv

Im Auswärtigen Amt wurde das Schreiben, zum Glück für Prittwitz, zunächst zu den Akten gelegt. Möglicherweise spielte es hier eine Rolle, dass Prittwitz dem Corps Borussia Bonn angehörte, dem neben ihm viele weitere Kritiker des NS-Regime angehörten, die zudem teils ebenfalls im Auswärtigen Amt beschäftigt waren. Vielleicht half auch, dass der Reichsaußenminister, obschon schwer in den Nationalsozialismus verstrickt, selbst Corpsstudent war. Warum auch immer – Prittwitz kam nicht in Haft. Am 5. Mai 1933 schließlich ließ Hitler den längst wieder in Deutschland eingetroffenen Prittwitz zur Abschiedsaudienz in die Reichskanzlei bitten.

Der Diktator empfing den Botschafter in Zivil und begrüßte ihn mit den Worten: „Sie haben eine schwere Zeit hinter sich!“ Prittwitz konnte dies nur bestätigen, aber er meinte damit etwas anderes als Hitler. Nach Prittwitz’ Erinnerungen war der „Führer“ unsicher, von angeblicher Ausstrahlung keine Spur. Später war Prittwitz immer wieder Gegenstand nationalsozialistischer Presseattacken, auch wurde ihm von der SS-Männern aufgelauert, er wurde mehrfach verprügelt, einmal, weil er sich auf einem Empfang eines Automobilclubs, auf dem auch Regierungsvertreter anwesend waren, gezeigt hatte.

Die Frage, ob und inwieweit Prittwitz’ Rücktritt als Widerstand gegen das nationalsozialistische Regime einzuordnen sei, hat der Historiker Michael Wala in dem Sammelband „Widerstand im auswärtigen Amt“ im Jahre 2013 positiv beantwortet. Er hielt auch fest, dass ursprünglich zwischen Prittwitz und den Botschaftern Deutschlands in Paris, Roland Köster und in London, Leopold von Hoesch, aufgrund gemeinsamer demokratischer Grundüberzeugungen Einvernehmen bestanden hatte, gemeinsam zurückzutreten, sobald Hitler sein antidemokratisches Gesicht zeige. Zu dieser Gruppe gehört auch Bernhard Wilhelm von Bülow, Staatssekretär im Auswärtigen Amt. Letzterer hatte sogar ein Rücktrittsgesuch formuliert – letztlich hat er es dann doch nicht abgesandt, und auch alle anderen Botschafter blieben auf ihren Posten. Alle, bis auf Prittwitz.

Günter Moltmann hat den mutigen des Botschafters Prittwitz in einem 1992 erschienen Aufsatz wie folgt kommentiert: „Seine Existenz war die eines vom politischen Tagesgeschehen abgehobenen Bürgers, der sich mit Geduld gewappnet hat, gegenüber dem Unrechtsstaat kompromisslos eingestellt ist, in strenger Selbstdisziplin verharrt, naheliegende Emotionen unterdrückt. Wenn man will, verkörperte er den ‚echten Aristokraten’: in der Gesinnung unbeugsam, für die handfeste Auseinandersetzung zu nobel, persönlichen Gefahren gelassen in die Augen sehend.“

Das Resümee von Michael Wala: „Prittwitz blieb seinem Selbstverständnis treu. Er war Patriot im modernen Sinne, einer, der für den Erhalt der freiheitlich-republikanischen Grundordnung bereit war, alles zu riskieren.“ Doch bei ihm bleibt hat ein bitterer Unterton: „Zur Identitätsstiftung für die demokratische Bundesrepublik Deutschland oder auch nur bei der Neugründung des Auswärtigen Amtes nach 1945 ist der Verfassungspatriot Prittwitz jedenfalls nicht herangezogen worden. Anlass dafür hätte es mehr als genug gegeben.“ So bleiben Licht und Schatten. Zwar ist Prittwitz von den Nationalsozialisten nicht umgebracht worden, aber in der noch jungen Bundesrepublik wurde ihm die besondere Anerkennung, die er wahrlich verdient gehabt hätte, letztlich verweigert.

Dieser Text basiert auf einem Aufsatz aus dem von Sebastian Sigler herausgegebenen Band „Corpsstudenten im Widerstand gegen Hitler“ aus der Feder von Markus Wilson-Zwilling, hier wurde er für eine Online-Veröffentlichung bearbeitet. Bild: Bundesarchiv, Bild 102-11795 / Pixabay.

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Der Journalist Dr. Sebastian Sigler studierte Geschichte, Literaturwissenschaft und Kunstgeschichte in Bielefeld, München und Köln. Seit seiner Zeit als Student arbeitet er journalistisch; einige wichtige Stationen sind das ZDF, „Report aus München“ (ARD) sowie Sat.1, ARD aktuell und „Die Welt“. Für „Cicero“, „Focus“ und „Focus Money“ war er als Autor tätig. Er hat mehrere Bücher zu historischen Themen vorgelegt, zuletzt eine Reihe von Studien zum Widerstand im Dritten Reich.