Letzter jüdisch geprägte, studentischer Dachverband streicht Couleur

Die letzt Couleurkarte des Burschenbunds-Conventes, verausgabt am 21. September 2024 in Marburg an der Lahn

Marburg an der Lahn, 21. September 2024. Der Kommers zum 131. Stiftungsfest der paritätischen Verbindung Alsatia-Thuringia Marburg war zugleich der Schlußpunkt des in Dachverbänden verfassten jüdischen oder jüdisch geprägten Korporationswesens. Was Hitler um ein Haar geschafft hätte, besorgte 1973 der linksextreme SDS: die letzte jüdische geprägte, paritätische Verbindung überhaupt wurde von diesen Antisemiten unterwandert, musste den Aktivenbetrieb einstellen. Die Alsatia-Thuringia existierte danach als Altherrenverband, von „Ehemaligen“ also, im Burschenbunds-Convent weiter, übernahm diesen schließlich fast allein, denn außer ihr hatte nur noch eine paritätische Verbindung in München die unheilvollen nationalsozialistischen Jahre überlebt. Die bis dato lebenden Mitglieder, allesamt betagt, strichen nun, 51 Jahre später, das Couleur ihres paritätischen Dachverbands.

Moment mal. Geht das überhaupt? Verbindungen – das sind doch diese bösen Vereine, bei denen „gehorcht“ und „beherrscht“ wird? So war es neulich in einer allwissend scheinenden Broschüre zu lesen, die in München von einer „Fachinformationsstelle“ namens „Firm“ mit Steuergeld erstellt wurde. Von den bösen Verbindungen sollen aber nun auch welche jüdisch geprägt sein? Bis heute? Wie paßt das zur Münchner Broschüre? Und dann: Alsatia-Thuringia Marburg wurde von linken Antisemiten unterwandert, und zwar deswegen, weil dort jüdische Menschen immer gleichberechtigt waren. Ist das nicht antisemitisch? Immerhin blieb diese Verbindung immer offen und fair zu allen Menschen, auch den jüdischen, und auch dann, als diese so selbstverständliche wie menschenfreundliche Haltung an sich schon lebensgefährlich war. Wie passen also die Begriffe „jüdisch“ und „Verbindung“ zusammen?

Sehr gut. Studentenverbindungen sind so vielfältig wie die Gesellschaft selbst, und sie waren es auch, so lange die Demokratie das Sagen hatte. Ganz nebenbei: So vielfältig und bunt wie die Gesellschaft an sich sind Verbindungen auch heutzutage, in Estland, Österreich, Belgien, der Schweiz, Polen, Lettland, Ungarn – und Deutschland. Und so sind auch viele Freunde aus dem In- und Ausland dabei, als sich alten Alsaten, die Letzten von über 2.000 Burschenbündlern, die sich an einem heiteren, aber dezent melancholisch angehauchten Septemberabend über dem hessischen Lahntal zu ihrem letzten Stiftungsfestkommers versammelt haben. Seit 2017 kommen sie auf dem Corpshaus der Hessen-Nassauer in Marburg zusammen, denn dieses prachtvolle Anwesen befindet sich in unmittelbarer Nähe des wohl einst noch reizvolleren, ehemaligen Alsatenhauses.

1919, der Weltkrieg war soeben offiziell beendet, wurde Burschenbunds-Convent (BC) gegründet. Quasi von Anfang an war er in Österreich und in der neu gegründeten Tschechoslowakei vertreten. Nach den Verboten, die 1933 im Dritten Reich und ab März 1938 in Österreich sofort alle jüdischen Verbindungen trafen, war der B.C. der „letzte als jüdisch wahrgenommene Korporationsverband“, wie Matthias Stickler, Leiter des Instituts für Hochschulkunde an der Würzburger Universität, in seiner Vertreterrede festhielt. Die Alsaten waren dabei durchaus mensurbeflissen, aber vor allem war wichtig, dass antisemitische Standpunkte ihnen komplett fremd waren, worauf auch das völlig gleichberechtigte Verhältnis zwischen jüdischen und nichtjüdischen Mitgliedern beruhte, egal, wie sehr der Antisemitismus auch in der sie umgebenden Gesellschaft grassieren mochte.

Es macht wieder staunen, welche intellektuelle Kraft dem B.C., diesem ja kaum 2.000 Menschen zählenden Verband innewohnte und welche faszinierenden Leistungen für die studentenhistorische Zunft erbracht wurde. Hier sind der Leitstern Oskar Scheuer von der Fidelitas-Wien und der Barissa Prag, aber auch Otto Erich Ebert oder Paul Kisch zu nennen, beide Mitglieder der Saxonia Prag. Dazu der berühmte Egon Erwin Kisch, Conkneipant bei Saxonia Prag. Rund um Franz Kafka spannte sich sodann der deutschsprachige Prager Literaturkosmos mit dem Zentrum der „Lese- und Redehalle deutscher Studenten“, der die Prager B.C.-Bünde ihrerseits korporativ angehörten. Bruno Kafka, ein Neffe des berühmten Literaten, Mitglied der Moldavia Prag, leitete die Halle und übte mit ihr sehr viel Einfluss auf das liberale, deutsch-fortschrittliche Lager in Österreich-Ungarn und der Ersten Tschechoslowakischen Republik aus.

Und nun ist das alles Geschichte. Dazu sagt der österreichische Historiker und Publizist Gregor Gatscher-Riedl: „Am Ende ist es das Zurückgeworfen-Sein auf die Bundesbrüderlichkeit, wobei der B.C. in seiner weltanschaulichen Breite und seiner ausgeprägten, nicht bloß statutarisch-papierenen Toleranz eine besondere Rolle in der farbenstudentischen Ökologie einnimmt.“ Und zu dieser weltoffenen farbenstudentischen Ökologie passte es ganz genau, dass Mohnfeld auf dem Schlusskommers seines B.C. zwei bewährten Freunden, dem in Schottland lebenden Ehepaar McPhael je einen prachtvollen Freundschaftszipfel überreichte. Die McPhaels, die Ehefrau stammt aus Marburg und ist die jüngere Schwester eines verstorbenen Alsaten, revanchierten sich mit einem so anrührenden wie eigentümlichen Ritual, bei dem ein uralter, mehrere Liter fassender Pokal aus reinem, getriebenem Silber, ein großartiger, wohl kaum viel jüngerer Whisky und das in diesem Rahmen mehr als passende, äußerst symbolträchtige, uralte schottische Lied „Auld Lang Syne“ die tragenden Elemente darstellten, wahre Freundschaft zwischen Männern und Frauen, zwischen allen Religionen, allen Nationen. Typisch für Studentenverbindungen!

Ach so, die Broschüre aus München, „Gehorchen und Herrschen“ – was ist jetzt mit der? Nun, die ist dann wohl doch eher in einem Geist der sozialistischen Ideologie geschrieben worden, wenn auch nicht „national“, was uns aber auch nicht sehr tröstet. Denn wir lernen: Wer gegen alle Studentenverbindungen generell zu Felde zieht, der muss auch antisemitisch sein.

Das letzte Präsidium des Burschenbunds-Convents – in der mitte Gerd
Mohnfeld

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Über Sebastian Sigler 99 Artikel
Der Journalist Dr. Sebastian Sigler studierte Geschichte, Literaturwissenschaft und Kunstgeschichte in Bielefeld, München und Köln. Seit seiner Zeit als Student arbeitet er journalistisch; einige wichtige Stationen sind das ZDF, „Report aus München“ (ARD) sowie Sat.1, ARD aktuell und „Die Welt“. Für „Cicero“, „Focus“ und „Focus Money“ war er als Autor tätig. Er hat mehrere Bücher zu historischen Themen vorgelegt, zuletzt eine Reihe von Studien zum Widerstand im Dritten Reich.