Der Souverän der Kirche ist Gott

Gent Müller Collage, Quelle: Sebastian Sigler

Schön und handlich ist dieses Werk – und gewichtig sein Inhalt. Es geht um zentrale Fragen der katholischen Theologie heutiger Tage, um die Kernbestandteile der Botschaft, die Papst Benedikt XVI. maßgeblich verkündete. Direkt auf seinen Lehren fußend, legt Gerhard Kardinal Müller, ehemaliger Bischof von Regensburg und späterer Leiter der päpstlichen Kongregation für die Glaubenslehre, diese Botschaft aus, vertritt sie und führt sie fort. Kongenial befragt wurde er von Lothar C. Rilinger, der zugleich Rechtsanwalt und katholischer Publizist ist – beides mit Brillanz und Bravour. Von Sebastian Sigler.

In drei inhaltliche Teile gliedert sich der Gesprächskreis, der in diesem Buch aufgetan wird – Kirche, Philosophie, Politik. Ein schmales Inhaltsverzeichnis zeigt bereits die enorme Breite der behandelten Themen. Am Beginn des ersten und größten Teils, der von der Kirche handelt, steht die Beschäftigung mit Papst Benedikt XVI.; den damaligen Professor Ratzinger lernte bereits Müller als Student bereits kennen und schätzen. Müller hält ihn für einen Kirchenlehrer der Zukunft. Das ist ein bedeutendes Wort, bedenkt man, dass Benedikt damit auf eine Stufe zum Beispiel mit Thomas von Aquin gestellt würde. Bezogen auf Deutschland erinnert er an Benedikts Rede im Deutschen Bundestag vom 22. September 2011.

Es geht in diesem Buch um den großen Rahmen, das wird gleich klar. Zunächst aber legen der Kardinal und sein kongenialer Gesprächspartner den Finger in die Wunden der Zeit. Betont sachlich beantwortet Müller die Fragen rund um die Mißbrauchsvorwürfe, mit denen die katholische Kirche sich konfrontiert sieht und die Rilinger durchaus nicht übergeht. Er kommentiert dabei auch die Vorwürfe, die an Benedikt XVI. gerichtet sind. Es ist äußerst interessant, aus dieser Perspektive auf den Gesamtkomplex dieses schweren Themas zu blicken, denn nichts wird relativiert oder negiert, zugleich aber bleibt die Kirche im wahrsten Sinne des Wortes im Dorf. Auf Rilingers Fragen hin erklärt Müller, warum die Kirche als Ganzes, als Institution wegen dieser Frage keinesfalls zur Disposition stehen kann.

Immens dicht ist dieses Buch, jeder Text lohnt, jede Seite ein Gewinn. Wer, und sei es durch Zufall, bei Seite 126 landet, findet eine Überschrift, die Spannung verspricht: „Ein bloßes Kulturchristentum hat keine Zukunft“ – neugierig? Ja, zurecht! Spannend ist dieses Interview, und es trifft unsere heutige Realität, gerade auch die deutsche Befindlichkeit, ganz exakt: „Die Theologie beruht nur auf der Auslegung der Offenbarung, aber sie zieht dafür auch das Erfahrungswissen der Geistes- und der Sozial- und der Naturwissenschaften sowie der praktischen Regeln der gesunden Alltagslogik heran, um eine geistige und moralische Orientierung der Glaubenden in ihrer jeweiligen Welt und Epoche zu ermöglichen.“ Müller geht dann in die Richtung des Einsteinschen Gottesbeweises, nach dem die zunehmende Erkenntnis über die Astrophysik dem unveränderten Glauben an die Allmacht Gottes mitnichten im Wege steht, sondern ganz im Gegenteil diesen Glauben nur noch stärkt.

Über dieses Buch eine Rezension zu schreiben, ist deswegen so schwierig, weil das Herausheben einzelner Teile quasi unmöglich ist. Von der Wichtigkeit des bewussten Umganges mit dem Islam angezogen blätterte der Rezensent auf die Seite 141, wo eine Überschrift dieses Thema ankündigt, doch unversehens kommt eine gute, lange und wichtige Passage über das Naturrecht, also die unveräußerlichen Werte, die jedem Menschen zustehen, unabhängig von der staatlichen Institution, in der er lebt. Ja, sehr richtig! Das ist die Grundlage, auf der hier diskutiert werden sollte! Und wie brillant dann die fundamentaltehologischen Unterschiede zwischen Christentum und Islam herausgearbeitet werden – das sollten Sie lesen. Wie Müller das Christentum aus dem Naturrecht heraus entwickelt, wobei ihn der Jurist Rilinger natürlich auch genau das Richtige fragt, das müssen Sie parat haben! Schon gar in Zeiten von Gender-Gaga und der Verwässerung tehologischer Anliegen bis zur totalen Beliebigkeit.

Dieses Werk ist wichtig, dieses Werk ist relevant. Rilinger fragt gekonnt, Müller wird deutlich, der Leser erlebt einen würdigen Präfekten der päpstlichen Kongregation für Glaubenslehre – beeindruckend! Einer Relativierung Gottes in jedweder Form erteilt Müller eine klare Absage, das transhumanistische Menschenbild geißelt er als schwere Sünde. Das sind mutige Botschaften, aber sie werden klar belegt, und die Begründungen sind stichhaltig. Dieses Buch hält, was sein Titel verspricht: Der Souverän der Kirche ist nicht das Volk, sondern Gott. Und, so fügt der Rezensent hinzu, die Vorlesung Benedikts XVI., gehalten am 12. September 2006 in Regensburg anlässlich seines epochalen Pontifikalbesuches, ist im Hinblick auf die Äußerungen zum Islam bereits heute als prophetisch zu werten. Dies Buch bestätigt es eindrucksvoll.

Der Souverän der Kirche also ist nicht das Volk, sondern Gott. Der von einer einseitig  ökosozial auf politisch links getrimmten Kirche vereinnahmte, der solchermaßen vergemeinschaftete Gott ist dann kein Souverän mehr – sondern die Addition menschlich-allzumenschlicher Meinungen, Attitüden und Irrungen. Und präsentiert sich die Kirche hierzulande nicht exakt derart vergendert und vergemeinschaftet, in Glaubensfragen der allzumenschlichen Beliebigkeit anheimgefallen? Nun, Kardinal Müller kontert im Gespräch mit Lothar Rilinger diesen Zeitgeist mit Substanz aus. Er richtet die Schönheit des Glaubens auf und tritt der Entchristlichung unserer westlichen Gesellschaft und ihrer politischen Repräsentanz mutig entgegen – mit der durch die Bibel offenbarten Botschaft, die von Vernunft und Wahrheitsliebe getragen ist. Unbedingt sollte auch die katholische, häufig verzagte, aber noch mehr die evangelische, allzu verallgemeinerte Geistlichkeit dieses Buch zur Hand nehmen.

Für alle Leser gilt, dass die Lesefrüchte aus diesem Buch enorm sind – die Gesprächsform läßt es zudem zu, daß auch durch weniger kirchlich geübte Leser und Leserinnen, die zwar im generischen Maskulinum ebenfalls gemeint sind, aber hier um des Zeitgeistes willen ausdrücklich genannt sein sollen, einfach mal hineinlesen, sich einfach mal hinsetzen. Das sollte möglich sein, auch in den Zeiten von Twitter und Snapchat, und speziell bei diesem bemerkenswerten Buch ist jede Seite ein Gewinn.

Gerhard Ludwig Müller, Lothar C. Rilinger, Der Souverän der Kirche ist Gott – Gespräche über Kirche, Philosophie und Politik, Lepanto-Verlag, Rückersdorf über Nürnberg 2023, 326 Seiten, Klappenbroschur, ISBN 978-3-942605-30-4, 18 Euro.

Über Sebastian Sigler 109 Artikel
Der Journalist Dr. Sebastian Sigler studierte Geschichte, Literaturwissenschaft und Kunstgeschichte in Bielefeld, München und Köln. Seit seiner Zeit als Student arbeitet er journalistisch; einige wichtige Stationen sind das ZDF, „Report aus München“ (ARD) sowie Sat.1, ARD aktuell und „Die Welt“. Für „Cicero“, „Focus“ und „Focus Money“ war er als Autor tätig. Er hat mehrere Bücher zu historischen Themen vorgelegt, zuletzt eine Reihe von Studien zum Widerstand im Dritten Reich.