Für das Wort Gottes gibt es kein besseres Gefäß als die wortgetreue Übertragung. Kantig, manchmal kompliziert, zuweilen auch nur mit Erläuterung verständlich sind die Texte – aber unumstößlich. Dies wird in der „Schöningh’schen Bibel“ vorbildlich und in besonders gutem Deutsch umgesetzt, dafür ist sie berühmt. Und nun ist sie neu aufgelegt worden, erfreulicherweise ist sie deutlich lesefreundlicher gestaltet als frühere Ausgaben. Unverändert blieben der 1936 von P. Dr. Eugen Henne erarbeitete Text des alten Testaments und die 1946 P. Dr. Konstantin Rösch fertiggstellte Edition des Neues Testaments, das alles unter Verwendung der berühmten Kupferstiche von Paul Gustavs Doré. So entsteht eine Welt in einem Buch, die zum Eintauchen einlädt, zum geistlichen Innehalten, auf die traditionelle Art katholischer Frömmigkeit.
Durchgehend ist diese neue Bibel-Ausgabe kommentiert, dazu kommen umfangreiche Register und gleich mehrere Konkordanzen und Zeittafeln, nach alt- und neutestamentlichen Themen gegliedert, alles ergänzt durch eine Erklärung von Maßen, Gewichten und Münzen. Die ganze Welt, die die Heilige Schrift bedeutet, entfaltet sich, durch die ergänzenden Fakten angereichert, umso besser. Faktenwissen und Überlieferungstreue des Textes zeichnen die Bibelausgabe vor heutigen, auf den Beifall des Zeitgeistes schielenden Ausgaben aus. Das ist bemerkenswert.
Manche Wortkreation anderer Bibelausgaben, die sich an einen klimaneutralen, geschlechternivellierten, gleichheitsbesessenen Zeitgeist anpassen sollen, werden als entbehrlich oder sogar als grenzwertig häretisch entlarvt, sobald sie an dieser vorbildlichen Wiedergabe der Heiligen Schrift gespiegelt werden. Jeden Vergleich mit Bibel-Ausgaben in „moderner“, „gerechter“, „einfacher“ oder gar in – horribilie dictu – gegenderter Sprache entscheidet diese Edition uneinholbar für sich. Das Prädikat „hervorragendes Deutsch“ beinhaltet damit ausdrücklich, daß nicht gegendert wird. An keiner Stelle. Überflüssig zu sagen, daß genus und sexus zwei unterschiedliche Kategorien sind, daß also selbstverständlich – auch im schon im gesprochenen Wort Jesu – alle Menschen gleichermaßen von Gott geliebt sind. In dieser Bibel-Ausgabe ist es gut zu studieren! Daß jeder Mensch gleichviel „wert“ ist, ergibt sich automatisch.
Über 2.200 Seiten stark ist diese Bibel-Ausgabe, gut 2.100 Seiten davon umfasst allein der Text der Heiligen Schrift. Er entspricht dabei exakt den Richtlinien, die Papst Pius XII., der erklärte Gegner des Nationalsozialismus, im Jahre 1943 erließ. Damit war dieser Bibeltext – unausgesprochen, wie so oft in der katholischen Kirche, aber hochwirksam – ein Zeichen gegen den Nationalsozialismus, und er wirkt auch heute gegen jede Art des politischen und religiösen Radikalismus, gegen jede Form des Sozialismus. Und gerade, weil der herausgebende Sarto-Verlag eher der konservativen Linie innerhalb des Katholizismus folgt, ist dieses Zeichen deutlich gesetzt. Es waren in den letzten zwei Jahrhunderten insbesondere die konservativeren Katholiken, die am standhaftesten gegen alle Diktaturen fochten, daran sei in diesem Zusammenhang erinnert. Die Zahl der katholischen Priester, die im Widerstand gegen die Nationalsozialisten litten oder starben, geht in die Tausende. Die Heiligen Johannes Paul II. und Maximilian Kolbe seien stellvertretend genannt.
Die äußere Aufmachung dieser Ausgabe der Heiligen Schrift ist nicht mit einem Adjektiv korrekt zu bezeichnen – zwei sind nötig: opulent und bescheiden. Die Dualität spiegelt das Innere, spiegelt die Heilige Schrift als das, was sie ist: als absolutes Werk. Edles Dünndruckpapier, Goldschnitt, vier Lesefäden, ein rundum gelungenes, für seine Größe auch physisch erstaunlich gewichtiges Buch. Der gewiss sehr würdige, in der vorliegenden Ausgabe samtrot gehaltene Einband – auch elfenbeinfarben ist das diese Bibelausgabe erhältlich – wirkt indes leicht aus der Zeit gefallen, womit aber nicht das stilisierte Kruzifix gemeint sein kann, sondern lediglich eine leicht hypertrophe Goldumrahmung. Ein schlichter Einband, der den haptischen Eindruck von Leder vermittelt, ein Kruzifix aus Blattgold – das würde reichen, etwas weniger wäre hier vielleicht mehr. Das kann dem Inhalt des Buches aller Bücher aber natürlich keinen Abbruch tun.
Das Geschehen der Bibel zu visualisieren, erzeugt eine Unmittelbarkeit der Offenbarung – rührt aber das Geheimnis nicht an. Gott ist unsichtbar, und er bleibt es. Hier hat das Lektorat einen zugleich würdigen und künstlerisch ansprechenden Weg gefunden, denn die 120 in regelmäßigen Abständen eingestreuten, ganzseitigen Bilder verstärken die Eindrücklichkeit zentraler Textstellen. Dadurch wird das Heilsgeschehen visualisiert, Geheimnis der Offenbarung Gottes bleibt aber – und das ist nicht zuletzt der wunderbar altertümlichen Anmutung geschuldet – unangetastet. Distanz und Nähe, Gedankenstütze und heilige Schau: die Bebilderung ist äußerst würdevoll gelungen.
Je mehr die Welt auf dem Kopf steht, je mehr die Umwertung kultureller Werte versucht wird, je mehr sich politische Ideologien und dem Deckmäntelchen von Klima und Geschlecht einschleichen – desto wichtiger ist genau diese Bibel-Ausgabe. Stabilität und Orientierung in unserer desorientierten Welt – das gelingt nicht mit irgendeiner Bibelausgabe in einer Sprache, die von zweifelhafter, diesseitiger Gerechtigkeit verfälscht wurde, sondern so, wie sie im Hinblick auf das Kommende offenbart wurde. Ältere Gläubige werden die vertraute Glaubenswelt ihrer Kindheit wiederfinden, jüngeren Menschen wird die Schönheit der christlichen Offenbarung in traditioneller und bewährter Weise angeboten. Eine Bibelausgabe, der weite Verbreitung zu wünschen ist.
Die Heilige Schrift des Alten und Neuen Testaments, aus den Grundtexten übersetzt und erläutert von P. Dr. Eugen Henne O. M. CAP. und P. Dr. Konstantin Rösch O. M. CAP., Bobingen 2022, Einband Kunstleder, Fadenheftung, Goldschnitt, insgesamt 2.240 Seiten, vier Lesebändchen, ISBN 978-3-96406-058-7 in Weinrot, ISBN 978-3-96406-59-4 in Elfenbein, 59 Euro.