Die meisten Panzer waren türkisch, so schien es Beobachtern. Sie dürften sich kaum geirrt haben. Geschmückt mit den Flaggen der Türkei und Aserbeidschans rückten sie in Arzach ein, die Panzer. Und sie schossen scharf. Zuerst auf Kirchtürme, dann auf Menschen. Arzach ist auch bekannt als Bergkarabach, es ist – oder war – der seit 1.700 Jahren christliche Südosten Armeniens. Heute vor einem Jahr, am 19. September 2023, kamen sie, die Panzer. Ende November, der harte kaukasische Winter brach gerade herein, war das blutige Werk vollendet. Die weit über 120.000 Armenier, die in ihrer angestammten Heimat, die nur durch Behördenwillkür zu Sowjetzeiten an Aserbeidschan fiel, unter härtesten Angriffen des Nachbarlandes Aserbeidschan ausgeharrt hatten – samt und sonders vertrieben, nur mit weniger Habseligkeiten, auf Lastwagen oder in Autos gepfercht. Wer eine Vorstellung davon hat, was in Ostpreußen 1945 geschah, mag eine Vorstellung davon haben, was den Armeniern im Jahre 2023 angetan wurde.
Pünktlich zum Jahrestag der erfolgreich vollzogenen, blutigen Christenverfolgung möchte Aserbeidschan im November mit einem Welt-Modethema glänzen, dem Klimaschutz. In der dortigen Hauptstadt Baku soll am 11. November der neueste Klima-Gipfel der Vereinten Nationen eröffnet werden, kurz COP29. „Was sind schon ein paar hunderttausend Christen gegen das Weltklima? Der woke Westen wird uns lieben!“ So oder so ähnlich mögen die brutalen, islamistisch-moslemischen Diktatoren Aserbeidschans, allesamt aus dem Familienclan der Alijev, kalkulieren. Dabei wurden sie aber durch die Menschenrechtler ertappt. Die warnen nun unisono vor einem Überschreiben der Erinnerung an den Völkermord an den Armeniern – durch Türken wie durch ihr turkstämmiges Brudervolk, die Aseris – durch eine aktuelle, immer höher geheizte Klimathematik.
Pfarrer Peter Fuchs von der internationalen Menschenrechtsorganisation Christian Solidarity International (CSI) findet angesichts des durchsichtigen PR-Manövers aus Baku deutliche Worte: „Aserbaidschan steckt viel Geld in Lobbyarbeit und baut die Fassade eines modernen, weltoffenen Landes auf. Damit soll ganz offensichtlich vom Angriffskrieg auf Bergkarabach und der zuvor durchgeführten Hungerblockade abgelenkt werden. Aus meiner Sicht zieht sich eine Linie vom türkischen Völkermord an den Armeniern bis zur Eroberung Bergkarabachs und der de facto vollständigen Vertreibung der dortigen Karabach-Armenier. Durch den Weltklimagipfel und andere PR-Coups darf sich Aserbaidschan nicht reinwaschen. Die internationale Gemeinschaft muss auch hier die Einhaltung völker- und menschenrechtlicher Standards einfordern – sonst sind sie nichts wert.“
Ein gewichtiges Bündnis von Menschenrechtlern, bestehend aus dem Zentralrat der Armenier (ZAD), der Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV), der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM), der Arbeitsgruppe „Anerkennung, gegen Genozid, für Völkerverständigung“ (AGA) und dem Verein der Völkermordgegner e.V. meldet sich zeitlgeich zu Wort: „Weit mehr als 120.000 Armenier wurden im Herbst und beginnenden Winter 2023 aus Arzach vertrieben. Aktuell werden bis zu einhundert Armenier aus Arzach, darunter acht ehemalige politische und militärische Führungspersönlichkeiten, in Gefängnissen Aserbaidschans festgehalten. Es kann nicht sein, dass Aserbaidschan durch die COP von diesen Verbrechen reingewaschen wird!“
Gleichzeitig warnen die Menschenrechtler vor weiteren Angriffen. Bei zahlreichen Gelegenheiten habe der Präsident Aserbaidschans, Ilham Alijew, öffentlich Gebiete, die zurRepublik Armenien gehören, insbesondere deren südöstliche Provinz Sjunik beansprucht. Alijew nennt den Süden Armenien „Westaserbaidschan“, und in den Jahren 2016, 2020 und 2022 hat Aserbaidschan sogar die armenische Sjunik offen angegriffen. Damit sollte wohl die Akzeptanz der internationalen Staatengemeinschaft für eine mögliche Invasion getestet werden. Der Test verlief insoweit erfolgreich, als eine deutliche Reaktion ausblieb. Die Menschenrechtler sind alarmiert: „Es steht zu befürchten, dass Aserbaidschan nach der COP29 seine Angriffe auf die Republik Armenien fortsetzen könnte.“
Fatal ist die aktuelle Lage indessen im nun nicht mehr armenisch besiedelten Arzach oder Bergkarabach. Hier drohe ganz unmittelbar die Zerstörung armenischen Kulturguts, so die Menschenrechtsorganisationen: „Aserbaidschan hat darüber hinaus sogar angekündigt, alle armenischen Bauten in Bergkarabach aus den letzten 32 Jahren zu entfernen bzw. zu vernichten!“ Die Menschen im Süfen Armeniens, in Sjunik, wiisen, was ihnen droht. Sie müssen dazu nur die Fernsehbilder des letzten Herbstes anschauen. Oder die wenigen Fotografien, die aus den Jahren 1915 und 1916 überliefert sind, als die „großen Brüder“ der Aseris, die Türken, einen Völkermord an den Armeniern begingen, damals noch unter osmanischer Flagge. Aber die Christenverfolgung in Armenien und weltweit ist eben nicht an Staaten, sondern an eine Religion gebunden. Im Koran steht die Grundlage für das geschrieben, was die Aseris und die Türken gleichermaßen in Armenien tun.