Der Historiker und Poltikberater Michael F. Feldkamp, bekannt durch eine Vielzahl von Publikationen vor allem über den Vatikan, hat jetzt eine Studie über Konrad Adenauer und die Gründung der Bundesrepublik vorgelegt. Er zeigt darin, auf welche Weise der erste Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland, damals schon über 70 Jahre alt und ein erfahrener Politiker, das Blühen, Wachsen und Gedeihen unseres heute noch bestehenden Staatswesens mutmaßlich erst möglich machte. Von Sebastian Sigler.
Am 1. September 1948 begann in Bonn der Parlamentarische Rat, der ein Grundgesetz erarbeiten sollte, seine Arbeit. Gerade rechtzeitig für den 75. Jahrestag seiner Einstzung durch die Alliierten kommt dieses Buch. Konrad Adenauer wurde zum Gründungspräsidenten dieses in Bonn tagenden Vorparlaments zum Deutschen Bundestag gewählt. Er sollte es bis zum Ende der Arbeit dieses Gremiums bleiben, auf Erfahrung als Oberbürgermeister von Köln konnte er ebenso verweisen wie auf seine Flucht vor den Nationalsozialisten ins Kloster Maria Laach. Seine klare katholische Prägung kam hinzu; er hatte sie zum Beispiel in der Mitgliedschaft bei vier KV-Verbindungen oder auch durch die Wahl seines Fluchtortes angesichts drohender Verhaftung gezeigt.
Feldkamp nennt interessante, heute vielfach vergessene Fakten. Denn von Anfang an polarisierte Adenauer in seinem Vorgehen. Wenige im Bonner Politikbetrieb der Nachkriegszeit waren neutral oder ohne Meinung. Es gab viele Kritiker, aber die Befürworter seiner Politik waren zahlenmäßig stärker. Die Union hatte in ihm über lange Jahre einen Leitstern, die SPD versuchte dagegen, ihn als „Bundeskanzler der Alliierten“ zu diskreditieren – und zwar zu Unrecht, wie dieses Buch nachweist. Schon das Titelbild zeigt es: Adenauer auf einem Teppich stehend, eine höchst riskante Symbolgeste – diesen Teppich hätte er nicht betreten dürfen, als er es tat, jedenfalls nicht nach dem Protokolle der Alliierten. Doch er verfolgte seine eigene Agenda, und er konnte das, denn die Bundesrepublik war zu diesem Zeitpunkt bereits gegründet.
Details bietet dieses Buch in Fülle. Die Grundlagen für die Adenauersche Nachkriegspolitik stehen bei Feldkamp im Fokus, alles arbeitet er gründlich aus, alles baut er streng logisch auf. Bemerkenswert dabei der Ausgangspunkt – für die Zeitgenossen war der 8. Mai 1945 nicht nur ein Tag der Befreiung, sondern auch der Beginn neuer, schmerzhafter Zerstörung. Die Vertreibung von rund 14 Millionen Deutschen wurde Stück für Stück unumkehrbar, stalinistischer Terror überzog zwei Drittel des ehemaligen deutschen Staatsgebietes, die demokratischen Strukturen mussten im verbliebenen Westteil des Landes hart erarbeitet werden. Das ist – mit Verlaub – so nötige wie spannende Wissensvermittlung für geschichtsvergessene Wohlstandskinder.
Kompliziert waren die Verhandlungen, die zum Grundgesetz für die Bundesrepublik führten. Große Umsicht musste Adenauer beweisen, denn er hatte kein machtpolitisches Faustpfand, wohingegen die Vertreter der Alliierten genau davon beliebig viele hatten. So waren es immer wieder Drahtseilakte zwischen klandestinem Selbstbewusstsein und demonstrativer Demut, die Adenauer zu bewältigen hatte – und bewältigte. Feldkamp schildert die Vorgänge anhand der einzelnen Verhandlungstermine und chronologisch. Das ist gut so, denn ansonsten würden auch die interessiertesten Leser den roten Faden bald verlieren.
Der Verlag schreibt richtig: „Adenauer sah von Anfang an seine Aufgabe darin, eine Atmosphäre zu schaffen, in der Verfassungsschöpfung unter Besatzungsherrschaft überhaupt erst möglich wurde.“ Bestens informiert schildert Feldkamp dies. Anhand der Ereignisse legt er klar strukturiert dar, wie Adenauer die Interessen der deutschen politischen Parteien mit denen der Alliierten und den weltpolitischen Erfordernissen in Einklang zu bringen wusste. Und das war eminent wichtig, denn nur so konnte die Staatsgründung der Bundesrepublik Deutschland gelingen. Dank Feldkamp wird das sehr transparent. Korporierte, die heute in der Politik tätig sind, seien ermuntert, sich in diesem Buch konzentriertes und doch gut lesbares Geschichtswissen anzueignen, das ihnen nützen wird.
Eine exakt auf den Punkt geschriebene Zusammenfassung – bescheiden als „Nachwort“ gekennzeichnet – belegt knapp und genau, wie und warum Adenauer mit seiner „Strategie der Demut“ erfolgreich war. Und zwar erfolgreicher, als alle annahmen, von den Militärgouverneuren der Alliierten bis hin zu den eigenen Parteifreunden. Eine gut ausgearbeitete Literaturliste und ein Personenregister beschließen diesen schmucken, handlichen, 176 Seiten starken Band.
Michael F. Feldkamp arbeitet als Parlamentshistoriker in der Verwaltung des Deutschen Bundestages. In über 30 Monographien, mehreren hundert Aufsätzen und Artikeln publiziert er zur Papstdiplomatie, Bildungsgeschichte und kirchlichen Zeitgeschichte.
Michael F. Feldkamp, Adenauer, die Alliierten und das Grundgesetz, München 2023, gebunden, einige Abb. s/w, 176 S., ISBN 978-3-7844-3654-8, 22 Euro.