Schönheit und Schmerz – Drei Münchner Frühjahrs-Ausstellungen, die aus dem Winter-Dunkel ins Licht des Lenzes führen

Könnte gut sein, dass jemand mal ein, zwei Tage in München Kultur tanken – und damit aus dem Dunkel des Winters ans Licht will. Hier sind drei lohnende Ziele: Ausstellungen, die es schaffen, den Frühling einkehren zu lassen. Finster ist`s allerdings in der Galerie des Münchner Literaturhauses. Geht nicht anders; denn die Dokumente, Briefe, Erstausgaben und Fotos rund um das Thema „Wir brauchen einen ganz anderen Mut!“ sind vor Lichteinwirkung zu schützen. Hier geht`s um den österreichisch-jüdischen Großdichter Stefan Zweig (1881 bis 1942) und seinen „Abschied von Europa“. Bekanntlich verließ Zweig 1934, als sein schönes, noch heute auf dem Kapuzinerberg stehendes Salzburger „Schlössl“ durchsucht wurde, die Heimat, ging 6 Jahre ins Exil nach England und von dort zunächst nach New York, um 1940 nach Südamerika zu wechseln. Hier schied er, Tragik des Daseins, mit seiner Frau Lotte freiwillig aus dem Leben.
Das letztlich an den politischen Zeit-Wirrnissen gescheiterte Dichter-Leben stellen Kurator Klemens Renoldner und Designer Peter Karlhuber eindrücklich dar. Der zuerst aus-, dann eingerollte großbürgerlich gemusterte Teppich veranschaulicht ein Emigranten-Schicksal ebenso nachhaltig wie die rings um das Modell des von Zweig oft besuchten Wiener Grand Hotels „Métropole“ laufenden Fleischerhaken. An ihnen hängen – Symbole der Gestapo-Brutalität – Ledermäntel. In Vitrinen wird dezidiert auf Zweigs „Schachnovelle“ und das ebenfalls posthum erschienene Werk „Die Welt von Gestern“ eingegangen. Umzugskartons mit Zweigs gesammelten Autographen-Schätzen und Promi-Fotos veranschaulichen die glücklose Beheimatung eines genialen Autors, der mit „Sternstunden der Menschheit“ (1927) in die Weltliteratur einging.
Über allem, was da über einen der bedeutendsten Schriftsteller des 20. Jahrhunderts zu erfahren ist, schwebt der Schmerz – des Verlustes, des Scheiterns, der eingebüßten Freiheit, des Getrieben-Seins. Schmerz empfindet man im Haus der Kunst: im Saal mit den „Zellen“ der großartigen, 2010 mit 99 Jahren gestorbenen Pariser Künstlerin Louise Bourgeois. Ihrem Mitarbeiter Jerry Gorovy ist die „bisher größte Ausstellung ihrer späten Installationen“ zu danken. So „Weltkunst“- Chefin Lisa Zeitz, die kurze Zeit in derselben New Yorker Straße Chelseas lebte wie die von ihr bewunderte, noch weit bis in die 90er Jahre quicklebendig erlebte Künstlerin. Was zeigt sie? Zwitterwesen, die verdoppelt werden, Arrangements auf Spiegeltischen, in Gitterkäfigen hängende Stühle, Schlafkammern mit gläsernen und wächsernen medizinischen Utensilien, amorphe Kunststoffskulpturen, schwebende Fallbeile. Und riesige Spinnen, die für sie die Tiere der Beschaulichkeit waren. Mit den „Cells“ begann Bourgeois 1991. Sie machten sie weltberühmt. Jede von ihnen, sagte sie einmal, befasse sich „mit dem Vergnügen des Voyeurs, dem Schauer des Sehens und Gesehenwerdens“.
Vom Schmerz zur Schönheit. Die ist in froh stimmender, erhebender Dichte in der Ausstellung „Bella Figura“ des Bayerischen Nationalmuseums zu erleben. Zu sehen: 80 Bronzen und 25 Grafiken und Zeichnungen um Meisterstücke europäischer Bronze-Kunst in Süddeutschland um 1600. Florenz gesellt sich als europäisches Zentrum des Bronzegießens Augsburg und München zu. Vom Arno holte man Giambolognas graziösen „Medici-Merkur“(um 1580) an die Isar. Tänzerisch, einen Arm in der Höhe mit getrecktem Zeigefinger, steht der schlanke, junge, kopfbeflügelte Gott mit einem Bein auf dem Puste-Ausstoß eines ihm zu Füßen liegenden Windgott-Mundes. Nackt wie er sind alle kraft- und muskelstrotzenden männlichen Bronze-Gestalten – daher der registriert hohe Damen-Anteil der Besucherschaft, wie ein Museumswart lächelnd vermutete.
Viele, vor allem kleinformatige Gruppen, die Männer- und Frauen-Bronzegestalten im Adam/Eva-Kostüm eng umschlungen zeigen, sind thematisch der römisch-griechischen Mythologie entsprungen. Sie waren für Kunst- und Wunderkammern bestimmt. Alle verströmen sie geballte Vitalität und unverhohlene Erotik und lösen Ergötzen, selbst bei Schulklassen-Führungen, aus. Das von der Ursprünglichkeit der „Figurae“ entzückte Jungvolk wird vom „Lustrausch der Beweglichkeit“ und der „Freude an schier unglaublicher plastischer Präzision“ (H. Eggebrecht) spontan ergriffen. Erwachsene gehen da bedächtiger, kritischer vor.
Sie bevorzugen, wohl ihres fortgeschrittenen Alters wegen, biblisch-religiöse in Bronze gegossene Themen. Vier davon seien ausgewählt: 1. Das Bronzerelief „Die Lazaruserweckung“ vom Mermann-Grabmal für die Münchner Sankt Salvator-Kirche schuf der herzogliche Münchner Hofbildhauer Hubert Gerhard um 1545. Thomas Mermann war Leibarzt und vertrauter Rat dreier Bayernherzöge. 2. Das älteste der sechs „Passions-Reliefs“ des Flamen Giambologna (1529 – 1608) entstand um 1580. 3. Von Giambolognas Bronzeguss „Die Grablegung Christi“, Florenz um 1600, war bislang nur eine Genueser Version bekannt. 4. Das auf einer Schautafel erklärte monumentale Stiftergrabmal für Wilhelm V. und Gattin Renata von Lothringen war für die Münchner Jesuitenkirche vorgesehen, wurde aber aus Geldmangel nicht aufgestellt. Giambolognas Kruzifix und die von seinem Schüler Hans Reichle aus Schongau ergänzte kniende Magdalena beeindrucken durch die leidenszeichen-freie Gestalt des Gekreuzigten wie durch die üppige Gewandung der Büßerin.
Den einzigen Schmerz, den man in dieser Ausstellung empfinden mag, ist der des für den 25. Mai unweigerlich anberaumten Abschieds von all der hier versammelten Innigkeit und Schönheit, deren Alter – fast ein halbes Jahrtausend – man bedenke, um sie noch höher einzuschätzen als sie es eh schon verdienen.

Die drei Münchner Ausstellungen:

1.„Wir brauchen einen ganz anderen Mut. Stefan Zweig – Abschied von Europa“, Literaturhaus, bis 7. Juni (Mo bis Fr 11 – 19 Uhr, Sa, So 10 – 18 Uhr)

2.
„Louise Bourgeois – Strukturen des Daseins: Die Zellen“, Haus der Kunst, bis 2. 8. (Mo bis So 10 – 20 Uhr, Do 10 – 22 Uhr)

3.
„Bella Figura. Europäische Bronzekunst in Süddeutschland um 1600“, Bayerisches Nationalmuseum, bis 25. Mai (Di bis Do 10 – 17 Uhr, Do 10 – 20 Uhr)

FOTO (Hans Gärtner)

Der um 1580 von Giambologna (ca. 1529 bis 1608) geschaffene „Medici-Merkur“ empfängt den Besucher am Eingang.

Über Hans Gärtner 499 Artikel
Prof. Dr. Hans Gärtner, Heimat I: Böhmen (Reichenberg, 1939), Heimat II: Brandenburg (nach Vertreibung, `45 – `48), Heimat III: Südostbayern (nach Flucht, seit `48), Abi in Freising, Studium I (Lehrer, 5 J. Schuldienst), Wiss. Ass. (PH München), Studium II (Päd., Psych., Theo., German., LMU, Dr. phil. `70), PH-Dozent, Univ.-Prof. (seit `80) für Grundschul-Päd., Lehrstuhl Kath. Univ. Eichstätt (bis `97). Publikationen: Schul- u. Fachbücher (Leseerziehung), Kulturgeschichtliche Monographien, Essays, Kindertexte, Feuilletons.

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