„Smoke“ – ein Independent-Episodenfilm nach Paul Auster, der eine seiner Kurzgeschichten zum Drehbuch umschrieb und der 1995 auf der Berlinale den Silbernen Bären erhielt -, han-delt von einem altmodischen Tabakladen in Brooklyn. Dessen Besitzer Auggie (gespielt von Harvey Keitel) schließt diesen jeden Morgen auf, kehrt den Gehweg und macht ein Foto von der Straße. „So haben wir uns das damals vorgestellt in den langen Hamburger Spätsommer-nächten, in denen wir uns unsere Entscheidung schöngetrunken haben: jeden Tag die Son-nenmarkise ausfahren, das Geschäft aufsperren und einmal die Straße rauf, einmal die Straße runter fotografieren. Anlässlich unseres zehnten Jubiläums würden wie dann eine kleine Aus-stellung organisieren: ' Unsere Straße im Wandel der Zeit' oder so ähnlich.“
Was zunächst als Schnapsidee geboren scheint, wird Knall auf Fall ernste Wahrheit. Petra Hartlieb und ihr Mann Oliver, zwei Kinder, wohnhaft in Hamburg und in gut bezahlten Jobs zu Hause, ersteigern 2004 eine aufgegebene Buchhandlung in Wien, um sich fortan in einem Metier zu bewegen, das seit Jahren totgesagt wird und mit dem man wohl weder „eine müde Mark“ verdienen kann, geschweige denn den Lebensunterhalt einer kompletten Familie. Doch schon bald könnten die Hartliebs ihre damalige Ausstellungsidee umsetzen. Denn am 4 . No-vember 2014 jährt sich die Neueröffnung ihrer Buchhandlung in der Währinger Straße, im 18. Wiener Gemeindebezirk zum zehnten Mal. Ihr Konzept scheint aufgegangen zu sein, trotz aller Unkenrufe und dem immer wieder aufs Neue angekündigten Sterben des kleinen Buch-handels.
Über ihren Wechsel vom „Latte-Macchiato-Leben in Hamburg“, weg von schicker Wohnung und freier Zeiteinteilung und hin zum morbiden Charme der österreichischen Hauptstadt, nebst Arbeit Tag und Nacht sowie Schulden, berichtet die Autorin in herzerfrischender und amüsanter Art und Weise. Sie erzählt von Höhen und Tiefen, von Freunden, die helfen wo und wie es nur geht, von Rückschlägen, Erschöpfungszuständen, Überforderung, schlechtem Gewissen den Kindern gegenüber, Tränen und Glück in ihrem „Bergwerk“, wie sie den Ort, an dem sie sich mitunter mehr als sechzig Stunden die Woche aufhält, nennt. Das im Kopf geborene, beschauliche Konzept einer „kleinen, feinen Buchhandlung“ erklären die beiden Hartliebs zwar schon nach kurzer Zeit für gescheitert, auch wenn sich „der Laden“ im zehnten Jahr seines Bestehens als solcher durchaus noch bezeichnen darf, „aber mit beschaulich hat es wenig zu tun, zumindest nicht für uns, die wir hier arbeiten.“, wie Petra Hartlieb unge-schminkt feststellt.
Trotz alledem leben Petra Hartlieb und ihr Mann weiterhin für ihre Buchhandlung. Sogar eine zweite ist mittlerweile hinzugekommen. Eines wird zudem beim Lesen dieses kleinen, feinen Buches ersichtlich: „Hartliebs Bücher“ ist noch viel mehr als ein Laden, in dem Bücher ver-kauft werden. Er ist ebenfalls ein Ort, in dem Beziehungen oder ihre Elementeketten kleine Knoten bilden, die – jeder und jede für sich – ein narratives Universum hervorbringen. Denn es reicht „längst nicht mehr, eine gute Buchhändlerin zu sein. Da musst du dir schon ein biss-chen mehr einfallen lassen: Marketingexpertin, Werbefrau, Grafikerin, Controllerin, Webde-signerin, Veranstaltungsprofi, Verpackungskünstlerin, Psychotherapeutin. Die Reihe ließe sich endlos fortsetzen. Und eigentlich ist es auch gerade das, was uns antreibt, einfach weiter-zumachen, alles andere wäre langweilig. Weiterzumachen in Zeiten, in denen so anachronisti-sche Läden wie unserer einmal pro Woche totgesagt werden. Weiter machen, weil und nichts anderes übrig bleibt. Weil wir nichts besser können. Weil wir nichts lieber tun.“
Fazit: „Meine wundervolle Buchhandlung“ offenbart sich – genau wie der eingangs erwähnte Film – als kleine Perle: Ein Buch, das mit viel Esprit, Leidenschaft und völlig schnörkellos überzeugen kann und dem man viele, viele Leser wünschen darf. Denn – und jetzt soll noch einmal die Autorin zu Wort kommen, auch wenn sie in ihrer Aussage einen anderen Titel meint -, „solche Bücher sind es dann, die einen vergessen lassen, dass man viel zu viel arbei-tet und viel zu wenig dabei verdient, denn wir verkaufen das schönste Produkt, das es gibt. Wir verkaufen Geschichten.“
Petra Hartlieb
Meine wundervolle Buchhandlung
Dumont Buchverlag (September 2014)
208 Seiten, Gebunden
ISBN-10: 3832197435
ISBN-13: 978-3832197438
Preis: 17,90 EUR
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