Scharfe Kritik an der Oktoberrevolution – Rosa-Luxemburg-Forscherin gestorben

Meer, Foto: Stefan Groß

Am 10. Dezember 2018 verstarb in Ostberlin die Rosa-Luxemburg-Biografin und Mitherausgeberin der fünfbändigen Werkausgabe Annelies Laschitza (1934-2018). Geboren am 6. Februar 1934 in Leipzig, legte sie 1954 an der „Arbeiter- und Bauernfakultät“ das Abitur ab und studierte 1954/58 Geschichte an der Karl-Marx-Universität. Von 1960 bis 1990 war sie Mitarbeiterin der Abteilung „Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung“ im „Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED“, wo sie seit 1971 als Geschichtsprofessorin arbeitete. Ihre Rosa-Luxemburg-Biografie erschien 1996 unter dem Titel „Im Lebensrausch, trotz alledem“. Über Karl Liebknecht (1871-1919), den Mitkämpfer von Rosa Luxemburg (1871-1919), veröffentlichte sie 2007 das Buch „Die Liebknechts. Karl und Sophie. Politik und Familie“.

Zu Ehren beider Kommunisten, die am 15. Januar 1919 in Berlin umgebracht worden waren, veranstalteten die DDR-Kommunisten seit 13. Januar 1946 jedes Jahr die „Liebknecht-Luxemburg-Demonstration“ zur „Gedenkstätte der Sozialisten“ auf dem Zentralfriedhof in Berlin-Friedrichsfelde, zuletzt am 14. Januar 2018. Doch trotz aller Wertschätzung ihrer Schriften, die als „Gesammelte Werke“ in fünf Bänden 1970/75 im Ostberliner Dietz-Verlag erschienen, blieb ihre leninkritische Schrift „Zur russischen Revolution“ (1922) drei Jahrzehnte lang ungedruckt. Der Grund dafür war ihre scharfe Kritik am russischen Revolutionsführer Lenin (1970-1924). Erst im vierten Band der Werke ist diese Schrift dann gedruckt worden, ohne dass der kommunistische Himmel eingestürzt wäre!

Ich erinnere mich an eine Szene im Sommer 1964 im Kultursaal des Zuchthauses Waldheim, wo ein SED-Funktionär, um unsere „Umerziehung“ zu befördern, über die Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung gesprochen hatte. In der Diskussion danach meldete sich unser Leipziger Mithäftling Walter Stricker und fragte, warum die Schrift Rosa Luxemburgs über die russische Revolution in der DDR verboten wäre. Noch ehe der Referent antworten konnte, ging der „Kulturhauptmann“ der „Volkspolizei“ ans Podium und schrie mit erregter Stimme, diese Schrift wäre eben unwissenschaftlich und von Lenin widerlegt. Dass der ganze Marxismus-Leninismus unwissenschaftlich ist und nichts als politischer Aberglaube, das wagte damals keiner von uns zu sagen!

 

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Dr. Jörg Bernhard Bilke, geboren 1937, studierte u.a. Klassische Philologie, Gemanistik und Geschichte in Berlin und wurde über das Frühwerk von Anna Seghers promoviert. Er war Kulturredakteur der Tageszeitung "Die Welt" und später Chefredakteur der Kulturpolitischen Korrespondenz in der Stiftung ostdeutscher Kulturrat.