Samuel von Pufendorfs politische Philosophie

1. Einleitung

Samuel von Pufendorf war der führende Staatstheoretiker im Deut­sch­land des aufgeklärten Absolutismus. Neben staats- und völker­rechtlichen Schriften verfasste er als Historiograph für die Regenten von Brandenburg und Schweden geschichtliche Werke. Seine Schrift­en zum Vernunftsrecht haben darüber hinaus zu einem Teil rechts­­philo­sophischen Charakter. Pufendorfs staatstheoretische Vor­stell­ungen behielten bis zum Auftreten Kants in der deutschen Aufklärung hege­monialen Charakter.

In der Arbeit werden zunächst das Leben und die entscheidenden Werke Pufendorfs näher untersucht. Dann werden die Grundpfeiler seiner politischen Anthropologie vorgestellt. Die Auseinandersetzung mit seiner Staatslehre, die durch die Begriffe des Humanen und Prag­matischen geprägt wurden, ist Gegenstand des folgenden Kapitels. In der Schlussbemerkung wird eine Zusammenfassung und Bewertung der Untersuchungsergebnisse durchgeführt.

2. Pufendorf – Repräsentant des Absolutismus

Samuel Pufendorf (1632-1694) war einer der klassischen Repräsent­anten des Zeitalters der absoluten Monarchie (1). Dem besitzlosen, poli­tisch bedeutungslosen Bürgertum entstammend, stieg er im Fürsten­dienst auf und erreichte mit der Erhebung zum Freiherrn durch den schwedischen König den Übergang in den Adelsstand. Damit eröffnete sich ihm der Zugang zu einer politisch absteigenden, aber im Dienst der absoluten Monarchie privilegierten Gesellschaftsschicht. Durch Karrieren dieser Art hat sich die absolute Monarchie in Europa die Dienste einer aufsteigenden Gesellschaftsgruppe gesichert, den Widerstand der begabtesten Menschen innerhalb des Bürgertums ausgeschaltet und fortschrittliches Denken den eigenen Absichten dienstbar gemacht.

Nach einem nicht abgeschlossenen Studium der protestantischen Theologie in Leipzig studierte Pufendorf in Jena Philosophie, Rechts- und Staatswissenschaften. Entscheidend wurde für ihn und sein Denken in Jena die Begegnung mit Erhard Weigel, der Naturrecht und Mathematik lehrte. Weigel erweckte in ihm das Interesse am Denken nach dem Vorbild der Mathematik. Als Hauslehrer im Dienst des schwedischen Gesandten Coyet in Kopenhagen, kam er bei Ausbruch des Krieges zwischen Dänemark und Schweden im Jahre 1658 in Ge­fangenschaft. In dieser Zeit verfasste er die im Jahre 1660 ver­öffent­lichten „Grundlagen der allgemeinen Rechtslehre“ (Elementorum Jurisprudentiae Universalis Libri Duo). Das Werk war methodisch dem Mentor Weigel verpflichtet und beruhte gedanklich auf Hugo Grotius. Pufendorf hatte es dem Kurfürsten Karl Ludwig von der Pfalz gewidmet, der ihn im Jahre 1661 an die Universität Heidelberg berief. Dort veröffentlichte er im Jahre 1664 unter dem Pseudonym Severinus de Monzambano die Schrift „Staatsverfassung des Deutschen Reiches“ (De Statu Imperii Germanici). Sie erregte großes Aufsehen; in ihr fand sich in der ersten Auflage der Vergleich des Deutschen Reiches mit einem Monstrum. Das Wort vom Monstrum ist häufig nachgeredet worden; aber meist wohl ohne Einsicht in die Staatslehre Pufendorfs, auf der dieser Ausdruck beruhte. Denn für ihn war, wie für Jean Bodin (2) und Thomas Hobbes (3), Staat nur der sou­ver­äne Staat, dessen Kennzeichen die ungeteilte und uneinge­schränkte Staatsgewalt war, in der Hand eines einzelnen oder einer Gruppe von Regenten. Der Gedanke an den Bundesstaat als Staatsform lag ihm daher fern, obwohl das Deutsche Reich sich mit diesem Begriff hätte definieren lassen.

Im Jahre 1670 nahm Pufendorf den Ruf an die schwedische Univer­si­tät Lund an. Dort erschien zwei Jahre später sein Hauptwerk „Natur- und Völkerrecht“ (De Jure Naturae et Gentium). Im Jahre 1673 ver­öffentlichte er einen Auszug daraus unter dem Titel „Die Pflicht des Menschen und Bürgers“ (De Officio Hominis et Civis iuxta Legem Naturalem). Beide Bücher hatten große Resonanz und wurden bald in mehrere Sprachen übersetzt. Im Jahre 1677 wurde er zum schwed­ischen Historiographen ernannt. Dort setzte sich Pufendorf für reli­gi­öse Toleranz sowie für die wissenschaftliche Trennung von Theologie und Philosophie ein, was zu zahlreichen Anfeindungen auf seine Person führte. Aus diesem Grund wechselte er im Jahre 1688 nach Berlin an den brandenburgischen Hof, wo er die Aufgabe des Historio­graphen ausfüllte und Geheimer Rat wurde.

Insgesamt hat er für Schweden und Brandenburg Geschichtswerke geliefert, in denen sich die persönliche Zurückhaltung des Autors mit großer Sorgfalt im archivarischen Bereich verband. Zugleich wurde dabei das politische Interesse der Auftraggeber erfüllt; denn Pufen­dorf orientierte sich seiner politischen Theorie entsprechend an der Räson des Staates, in dessen Auftrag er schrieb.

Die Schriften Pufendorfs zeugen von seiner eingehenden Kenntnis der traditionellen politischen Theologie und Philosophie; aber er war ein Autor, der diese Ideen an die Interessen des souveränen Terri­tor­ial­staats angepasst hat, dessen Politik er durch seine Theorie legitimiert hat.(4)

3. Politische Anthropologie

Pufendorf hat seine politische Anthropologie zwar an Grotius (5) und Hobbes orientiert; folgt ihnen jedoch nicht ohne Vorbehalt. Er erkannte keinen Grundtrieb des Menschen zur Gesellung (appetitus socialis) an; wohl aber erklärte er das Zusammenleben in der Gesellschaft (socialitas) zur Grundtatsache des Menschseins. (6) Es war die Antwort darauf, dass der Mensch, verglichen mit den Tieren, ein Wesen der Schwäche (imbecillitas) war, dem Mängel anhafteten: (7)

„(…) Doch dieses für Seinesgleichen so nutzbringende Lebewesen krankt nicht an wenigen Fehlern, und es ist mit nicht geringerer Fähig­keit ausgestattet, Schaden zuzufügen. Das macht die Ver­bind­ung mit ihm recht zwiespältig und nötigt zu großer Vorsicht, damit man nicht anstatt des Guten Böses einhandelt. Vor allem trifft man im Menschen eine größere Neigung zum Schädigen anderer an als bei irgendeinem Tier. Denn die Tiere treibt fast nur das Verlangen nach Nahr­ung und Paarung an, das sich leicht befriedigen läßt. Ist das Ver­langen befriedigt, lassen sie sich nicht blindlings zu Wutausbrüchen reizen oder dazu, andere zu verletzen, es sei denn man stachelt sie an. Der Mensch ist jedoch ein Lebewesen, das immer zur Begierde fähig ist; und er wird von ihr mehr getrieben, als zur Erhaltung der Art notwendig erscheint. Sein Hunger will nicht nur gesättigt sein, sondern er verlangt auch nach dem Gaumenkitzel. Und oft verlangt er mehr als die Natur verträgt. Die Natur hat vorgesorgt, so daß die Tiere keine Kleidung brauchen. Dem Menschen macht es jedoch nicht nur Freude, sich aus Not­wendigkeit zu bekleiden, sondern auch um der Schaustellung willen. Zudem findet man bei dem Menschenge­schlecht viele Gefühle und Wünsche, die den Tieren unbekannt sind: Das Verlangen nach Überfluß, Geiz, Ruhmbegierde und Geltungs­sucht, Neid, Eifersucht und den Streit der Geister. Anzeichen dessen ist die Tatsache, daß die meisten Kriege, in denen das Menschen­ge­schlecht sich bekämpft hat, aus Gründen geführt worden sind, die den Tieren unbekannt sind.“

Das Zusammenleben der Menschen in der Gesellschaft war lauf Pufen­­dorf der einzige Weg, der natürlichen Gefährdung zu entgehen und das Menschsein zu verwirklichen: (8)

„(…) Die stärkste Kraft aber, sich gegenseitig zu schädigen, wohnt dem Menschen selbst inne. Denn wenn sie auch nicht durch Zähne, Klauen oder Hörner, wie viele Tiere furchterregend sind, so besitzen sie die Fähigkeit, die Hände zum wirksamsten Werkzeug zu machen, um anderen Schaden zuzufügen. Und die Erfindungsgabe seines Geistes gibt ihm die Möglichkeit, mit List und Tücke anzugreifen, wo er im offenen Kampf nicht zum Ziel kommt. So ist es die leichteste Sache von der Welt, daß der Mensch dem Menschen das schwerste Übel in der Natur, den Tod, zufügt.“

Der Gedanke, den Menschen als ein Wesen zu verstehen, das, seiner natür­lichen Bedürftigkeit wegen, auf die mitmenschlichen Be­zieh­ungen angewiesen ist, entstammte der antiken und mittel­alterlichen politischen Theorie. Pufendorf übernahm ihn nicht einfach, sondern machte ihn zum Ausgangspunkt seiner politischen Anthropologie. Dies war um so bedeutsamer, als er zugleich auch die Geltung der sozialen und politischen Gebote und Gesetze aus dem menschlichen Zu­sammenleben ableitete, wie er es deutete: (9)

„(…) So ist der Mensch ein Lebewesen, das sehr um seine Selbsterhaltung bemüht ist, für sich allein schwach, unfähig, sich ohne die Hilfe von Seinesgleichen zu erhalten, zu gegenseitiger Hilfeleistung aufs höchste befähigt. Er ist jedoch daneben bösartig, anmaßend, leicht erregbar, ebenso bereit wie imstande, anderen Schaden zuzufügen. Daraus ergibt sich: will er heil bleiben, so muß er mit anderen gesellig zusammenleben. Also: sich mit Seinesgleichen verbinden und sich ihnen gegenüber so verhalten, daß sie keinen berechtigten Grund haben, ihn zu verletzen, sondern eher seinen Vorteil wahren und fördern wollen.“

Gemäß Pufendorf hat Gott dem Menschen seine Natur und zugleich die Mittel und Wege gegeben, ihr gerecht zu werden. (10) DieVernunft ermöglicht es dem Menschen, das Ziel zu erkennen und die Mittel zu finden, es zu erreichen. Wer diese Aufgabe auf sich nahm, erfüllte darum zugleich den Willen Gottes und die Gesetze der Natur, die Gott geschaffen hatte. Das Naturrecht war für Pufendorf der Name, der den Bereich dieser Naturgesetze bezeichnete. (11)

Pufendorf stand auch darin in der europäischen Tradition, dass er dem Menschsein eigene Würde zusprach (humanae naturae dignitas et praestantia qua ceteras animantes eminet). Ein Kennzeichen seines Denkens war dabei die Verknüpfung des Humanen mit dem Pragmatischen. Er betonte, dass die Gebote und Gesetze des menschlichen Zusammenlebens zu erfüllen, der Menschenwürde und dem Menschsein selbst angemessen und für die Menschen zugleich von größtem Nutzen war. (12)

4. Die Staatslehre Pufendorfs

In der Staatslehre Pufendorf druchdringen sich das Humane und das Pragmatische. (13). Die höchste Staatsgewalt (summum imperium) und mit ihr der Staat entstand in ausdrücklicher oder stillschweigender Ver­einbarung, wenn eine große Gruppe von Menschen sich für den Ein­satz ihrer Kräfte einem Einzelnen oder einem Gremium unter­stellten. Mit dieser Übertragung war die Bereitschaft verbunden, sich zu unterwerfen und auf Widerstand zu verzichten (obligatio non resis­tendi). Das Ziel der Staatsbildung war es, die Kräfte der Einzelnen zu ver­vielfachen zur Abwehr äußerer oder innerer Gefahren.

Pufendorf sprach sich zwar für den absoluten Staat aus, aber er lehnte seine Legitimierung durch die politische Theologie des gött­lichen Königtums ab. Die sakrale Legitimierung des Monarchen, etwa mit Hinweis auf königliche Heilwunder oder unter Berufung auf die jüd­ischen Könige, wies er mit Nachdruck zurück. Den Gedanken, das König­tum zu verstehen als Teilhabe an der göttlichen Schöpfermacht, bezeichnete er als absurd und blasphemisch. Er selbst ging von einem Gedanken aus, den schon Franz Suárez (14), dessen naturrechtlichen Schriften bis weit in das 18. Jahrhundert sowohl im katholischen wie auch protestantischen Europa rezipiert wurden, dem Anspruch Jakobs I. entgegengehalten hatte: Der Staat und die Staatsgründung war für ihn eine Menschenleistung. Da für ihn die Staatsgründung zu­sammen­fiel mit dem Schaffen einer höchsten Staatsgewalt, war die Staatsgewalt und nicht die Staatsform das Kennzeichen rechtmäßiger Staatlichkeit. Da die Menschheit Ruhe, Frieden und Sicherheit laut Pufendorf ohne Staaten, die mit höchster Staatsgewalt ausgestattet waren, nicht finden könnte, wären sie als Tatsachen anzusehen, die dem Naturrecht (ius naturale) entsprachen, in dem sich der der Wille des göttlichen Schöpfers (divina voluntas) manifestierte.

Wer also, dem Gebot der Vernunft (dictamen rationis) folgend, Staat und Staatsgewalt bejahte, erfüllte den Willen Gottes und erlangte durch seinen Gehorsam gegen das Naturrecht Ordnung und Frieden: (15)

„Die gesunde Vernunft sagt, dass es eine außer allem Zweifel liegende Tatsache ist, dass nach der Vermehrung des Menschengeschlechts Ordnung, Frieden und Sicherheit nicht bestehen können, es sei denn man gründet Staaten, die ohne die höchste Staatsgewalt nicht denkbar sind. Daher ist dafür zu halten, dass die Staaten und die höchste Staatsgewalt von Gott herkommen als dem Urheber des Gesetzes der Natur. Denn es stammt von Gott nicht allein das, was er selbst unmittelbar und ohne jede Mitwirkung menschlichen Tuns hervorgebracht hat; sondern auch, was Menschen unter der Leitung der gesunden Vernunft nach der Lage von Zeit und Ort als zu erfüllende Verpflichtung auf sich genommen haben, ist ihnen von Gott aufgetragen. Und da bei einer großen Menschengruppe das natürliche Gesetz nicht wirksam gemacht werden kann ohne Staatsgewalt, ist offenbar, dass Gott, der den Menschen das Naturgesetz auferlegt hat, auch vorschreibt, Staaten zu gründen, damit sie als Mittel dienen, das Naturgesetz zu verwirklichen. Daher billigt Gott auch in der Heiligen Schrift diese Gewalt ausdrücklich und erklärt sie zu der seinen und sichert ihre Heiligung und Anerkennung mit den strengsten Gesetzen.“

Es fallen also zusammen: Der Wille Gottes und das Gebot der Ver­nunft, das Naturrecht und menschliche Daseinsfürsorge. Zu dieser Staats­lehre gehört, dass Pufendorf den Untertanen kein Wider­stands­recht zubilligte: (16)

„Da die höchste Staatsgewalt zum Schutz des Men­schen­geschlechts und zur Beendigung der Bedrängnisse des Natur­zustandes eingerichtet worden ist, ist es für das Menschengeschlecht von größter Bedeutung, dass sie von allen für heilig und unverletzlich gehalten wird. Und kein vernünftiger Mensch wird Zweifel hegen, dass es Unrecht ist, sich einer Regierung zu widersetzen, solange sie sich in den Grenzen ihrer Gewalt hält. Es geht aus dem Zweck und dem Wesen der Staatsgewalt klar hervor, dass mit ihr not­wendigerweise die Verpflichtung verbunden ist, sich nicht zu wider­setzen; das heißt: ohne Widerstreben zu gehorchen, indem man das tut oder unterlässt, was von ihr verordnet ist.“

Pufendorf sprach dem Staat, der über höchste Staatsgewalt verfügte, die höchste Freiheit (summa libertas) zu. Die Staatsregierung handelte darum ganz aus eigener Entscheidung; sie war niemand Rechenschaft schuldig und jeder menschlichen Gesetzlichkeit ent­hoben. Ihre Richtlinien hatte sie nicht in festen gesetzlichen Regel­ungen, sondern sie entschied jeweils nach der Lage der Dinge. Pufen­dorf empfahl zwar, es sollten für die Ausübung der Befehlsgewalt und für die Unterwerfung der Untertanen Regelungen getroffen werden, die dem Naturrecht und dem rechtmäßigen Zweck der Staaten ent­sprachen. Naturrechtlicher Zweck der Staaten aber war ihre Sicher­heit, uns so wurde dieses Ziel als naturrechtliche Norm zum allge­meinen Gesetz erhoben. Es galt die Formel: Das Wohl des Volkes sollte oberstes Gesetz sein (salus populi suprema lex esto). Volk war für Pufendorf der souveräne Staat, dessen Untertanen ihre natürliche Frei­heit ohne Vorbehalt an die Staatsgewalt abgetreten haben, so dass deren Inhabern überlassen war, darüber zu befinden, was jeweils im Staatsinteresse lag.

Kam es zum Konflikt zwischen der Regierung und den Untertanen, dann empfahl Pufendorf den Untertanen in allen Fällen die Unter­werf­ung als das Zweckdienliche (17). Das galt für den Einzelnen wie für Gruppen. War die Lage unerträglich, riet er zur Flucht ins Ausland. (18)

„Da es mit der Beschaffenheit des Menschen so bestellt ist, dass man nicht jeder Unannehmlichkeit entgehen kann und kein Mensch von so gelassenem Wesen ist, dass er allen ohne Vorbehalt genugtun kann, ist es wohl töricht und anmaßend wegen etwelcher Fehler gegen einen Fürsten in den Widerstand zu treten. Zumal wir unsere Pflichten gegen ihn auch nicht so genau nehmen, und auch bei Privatpersonen die Gesetze kleinere Vergehen nicht ahnden. Um so mehr ist es billig, kleine Verstöße des Fürsten zu verzeihen, dessen Sorge ganz gerichtet ist auf die Ruhe der Bürger und auf die Sicherheit von Vermögen und Leben der Bürger. Zumal die Erfahrung gemacht wird, wie groß der Schaden ist für die Bürger und die Unordnung für den Staat, den es mit sich bringt, wenn der schlechteste Fürst abgesetzt wird. (…) Doch auch das ist gewiß: es ist besser, auch wenn der Fürst feindselig das schlimmste Unrecht vorhat, auszuwandern oder sich durch Flucht zu retten und sich unter den Schutz eines andern zu begeben.“

Wäre der Ausweg der Flucht ins Ausland verwehrt, dann hielt Pufendorf es, nicht um der Person des Fürsten willen, sondern damit für den Staat Schlimmeres verhütet wurde, für besser, zu sterben als zu töten: (19)

„Und bietet sich keine Gelegenheit zur Flucht, dann ist es besser, zu sterben als zu töten. Nicht so sehr wegen der Person des Fürsten als wegen des ganzen Gemeinwesens, das in solchem Fall zumeist in schwere Bedrängnisse gebracht wird.“

Auf dieser Linie lag es, wenn Pufendorf im Falle der Vertreibung eines Fürsten, dem neuen Machthaber gegenüber Anpassung und Abwarten empfahl. Denn der vertriebene Herrscher war nicht mehr imstande, die ihm naturrechtlich aufgegebene Schutzpflicht gegen seine Unter­tanen zu erfüllen. Damit war die einstige Vereinbarung hinfällig, die die Untertanen zum Gehorsam verpflichtete; wie für Pufendorf jeder polit­ische Pakt unverbindlich wurde, wenn er den Interessen nicht mehr entsprach. Außerdem war Pufendorf der Ansicht, dass es nicht ein­zusehen sei, warum der Gehorsam gegen den neuen Macht­haber sich nicht als äußere Verpflichtung (obligatio externa) ver­steh­en ließe, die das Gewissen der Untertanen nicht belastete.

5. Fazit

Pufendorf sah den Menschen so sehr als animal sociale in der historischen Gestalt des dienstwilligen und leistungsfähigen Unter­tanen im absoluten Staat, dass ihm der Gedanke fern lag, die von ihm jedem Menschen zugeschriebene natürliche Freiheit und Gleich­heit könnte auch dem Politischen gegenüber bestehen und einen Rechts­anspruch begründen. Die große Wirkung seines Denkens be­ruhte vor allem auf der rationalen Demonstration, mit der Humanes und Pragmatisches verknüpft wurde mit dem Prinzip der Staatsräson. Außer­dem war die Tatsache prägend, dass seine politische Anthro­po­logie einen Schritt weiter wegführte von der zur Ideologie geword­en­en politischen Theologie des göttlichen Königtums, ohne jedoch den Herrschaftsanspruch des absoluten Staates anzutasten. (20)

Literatur
·Carr, G.L.: Political Writings of Samuel Pufendorf, Oxford 1994.

·Coing, H.: Grundzüge der Rechtsphilosophie, 5. Auflage, Berlin/New York 1993.

·Denzer, H.: Moralphilosophie und Naturrecht bei Samuel Pufen­orf, München 1972.

·Kaufmann, A.: Rechtsphilosophie, 2. Auflage, München 1997.

·Lausberg, M.: Die politische Theorie Jean Bodins, in: TABVLA RASA. Zeitschrift für kritische Philosophie, No. 34 (4/2008), Online-Zeitung (www.tabvlarasa.de/34).

·Marschler, T.: Die spekulative Trinitätslehre des Francisco Suárez S.J. in seinem philosophisch-theologischen Kontext, Münster 2007.

·Mühlegger, F.: Hugo Grotius. Ein christlicher Humanist in politischer Verantwortung, Berlin/New York 2007.

·Müller, K. (Hrsg.): Die Schriften Samuel Pufendorfs, Bonn 1978.

·Müller, S.: Gibt es Menschenrechte bei Samuel Pufendorf?, Frankfurt/M. 2000.

·Münkler, H.: Thomas Hobbes, Frankfurt/M. 2001.

·Rabe, H.: Naturrecht und Kirche bei Samuel von Pufendorf, Tübingen 1958.

·Welzel, H.: Die Naturrechtslehre Samuel Pufendorfs, 3. Auflage, Berlin 1986.

(1) Müller, S.: Gibt es Menschenrechte bei Samuel Pufendorf?, Frankfurt/M. 2000, S. 14ff.

(2) Vgl. dazu Lausberg, M.: Die politische Theorie Jean Bodins, in: TABVLA RASA. Zeitschrift für krit­ische Philosophie, No. 34 (4/2008), Online-Zeitung (www.tabvlarasa.de/34).

(3) Vgl. dazu Münkler, H.: Thomas Hobbes, Frankfurt/M. 2001.

(4) Kaufmann, A.: Rechtsphilosophie, 2. Auflage, München 1997, S. 143.

(5) Vgl. dazu Mühlegger, F.: Hugo Grotius. Ein christlicher Humanist in politischer Verantwortung, Berlin/New York 2007.

(6) Rabe, H.: Naturrecht und Kirche bei Samuel von Pufendorf, Tübingen 1958, S. 34.

(7) Müller, K. (Hrsg.): Die Schriften Samuel Pufendorfs, Bonn 1978, S. 40.

(8) Ebd. S. 48.

(9) Ebd. S. 49f.

(10) Welzel, H.: Die Naturrechtslehre Samuel Pufendorfs, 3. Auflage, Berlin 1986, S. 101.

(11) Denzer, H.: Moralphilosophie und Naturrecht bei Samuel Pufendorf, München 1972, S. 24f.

(12) Welzel, Die Naturrechtslehre Samuel Pufendorfs, a.a.O., S. 104.

(13) Carr, G.L.: Political Writings of Samuel Pufendorf, Oxford 1994, S. 18f.

(14) Vgl. dazu Marschler, T.: Die spekulative Trinitätslehre des Francisco Suárez S. J. in seinem philosophisch-theo­logischen Kontext, Münster 2007.

(15) Müller, Die Schriften Samuel Pufendorfs, a.a.O., S.102.

(16) Ebd. S. 140.

(17) Coing, H.: Grundzüge der Rechtsphilosophie, 5. Auflage, Berlin/New York 1993.

(18) Müller, Die Schriften Samuel Pufendorfs, a.a.O., S. 142.

(19) Ebd. S. 144.

(20) Denzer, Moralphilosophie und Naturrecht bei Samuel Pufendorf, a.a.O., S. 65.

Über Michael Lausberg 572 Artikel
Dr. phil. Michael Lausberg, studierte Philosophie, Mittlere und Neuere Geschichte an den Universitäten Köln, Aachen und Amsterdam. Derzeit promoviert er sich mit dem Thema „Rechtsextremismus in Nordrhein-Westfalen 1946-1971“. Er schrieb u. a. Monographien zu Kurt Hahn, zu den Hugenotten, zu Bakunin und zu Kant. Zuletzt erschien „DDR 1946-1961“ im tecum-Verlag.

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