Salvador Dalis „BIBLIA SACRA“ in München

Leib und Seele, Foto: Hans Gaertner

Man traut seinen Augen nicht, aber es sind „echte“ Dalis, die dem Kunstkabinett des Künstlerhauses am Lenbachplatz einen Ehrfurcht gebietenden Anstrich geben. Vom Bamberger Kunstkontor Richard H. Mayer entlieh Hausherrin Maja Grassinger den vollständigen Zyklus „Biblia sacra“, vom bekennenden Katholiken Dali zwischen 1963 und 1965 auf italienischem Boden kreiert. Der Surrealist nahm hierzu Anregungen seines Freundes Giuseppe Albaretto ebenso wie den Zuspruch Joseph Forets auf. Der Mailänder Verleger Rizzoli durfte sich 1967 über den ihm erteilten Druckauftrag freuen. Es entstand eine in Leder gebundene Ausgabe der „Heiligen Schrift“ – ganz nach dem Willen des Künstlers, für das „Buch der Bücher“ eine prachtvolle Präsentation zu bieten.

Der Besucher der in der Tat prachtvoll gestalteten Ausstellung darf sich allein schon über die mannigfaltigen, in seltener Weise harmonierenden Techniken freuen, die er auf den bewusst nicht beschnittenen Bögen antrifft: Rötel, Tusche, Aquarell, Bleistift, dazu Lacke und metallische Farben. Das Werk zählt unbestritten zu den bedeutendsten Illustrationen des Alten und Neuen Testaments. Maja Grassinger lud zur Vernissage, die die studierte Kunsthistorikern und BR-TV-Journalistin Anuschka Horn moderierte, drei prominente Münchner Vertreter des katholischen, evangelischen und jüdischen Bekenntnisses ein, um über eins von drei ausgesuchten Lieblings-Bildern zu sprechen.
Zu jeder Lithografie schrieb ein Augsburger Ordensmann für den von Maja Grassinger gestalteten Katalog (15 Euro) Kommentare, die er in Beziehung zur jeweiligen Textstelle des Alten oder Neuen Testaments setzte. Das Litho Nr. 62 mit dem eingedeutschten Titel „Leib und Seele für das Vaterland geben“ nimmt zum Beispiel 2 Makkabäer 7 auf: Sieben Brüder wurden mit ihrer Mutter verhaftet, weil sie sich vom König nicht zwingen ließen, Schweinefleisch zu essen. „Mit Geißeln und mit Riemen wurden sie gezüchtigt“. Dali widmete sein Blatt den Widerständlern, denen der Tod drohte. Die Mutter trägt einen ihrer ermordeten Söhne auf ihren Armen, den Todesengel neben sich: „Ins tiefe Schwarz des Todes mischt sich das Gold des Auferstehungsglaubens“.

Nicht nur hochdramatische und gesellschaftspolitisch brisante Bilder erwarten den Besucher. So darf er sich etwa über eine sanfte „Blaue Madonna“ freuen, eine Ikone der spanischen Marienverehrung. Begütigend hält sie ihr zart angedeutetes, in ihren blauen Demuts-Mantel gehülltes Kind, umgeben vom Strahlenkranz der Sonne. Ekstatisch dagegen ist eine junge Maria zu sehen, die sich theatralisch dem blutrot gewandeten Verkündigungsengel entgegenstellt, die Arme hochgeworfen, über ihr die schneeweiße Taube, die bläulich auf die „Magd des Herrn“ herabstrahlt, die sich in ihre künftige Rolle als Gottesgebärerin fügt.

Wer sich die Zeit nehmen mag, das jeweils „Surreale“ auf jedem der 105 gerahmten Exponate ausfindig zu machen, wird – nach kurzer Einübung – fündig: die berühmten gestelzten Elefanten; das Gesicht im Kopf; das Explosive – etwa auf dem Bild „Die Einsetzung des Altarssakraments“ – oder der knochige Glied eines Rieseninsekts, das, statt des beschützenden Engels, das Paar Maria und Josef samt Kind auf dem Esel nach Ägypten begleitend, nach den Flüchtenden greift: Vorbedeutung der Leiden, die dem Kind Jesus unabdingbar bevorstehen. Dali erweist sich als Meister der Deutung einer jeden seiner subjektiv ausgewählten starken Bibel-Szenen.

Dabei dürften einige rätselhaft bleiben und sich – trotz Interpretationshilfe im Katalog – nicht sofort und auch nicht jedem Betrachter erschließen. Warum Dali etwa auf dem Blatt „Der verlorene Sohn“ nicht, wie üblich, den heimkehrenden Jungen in die offenen Arme seines ihm vergebenden Vaters fallend zeigt, sondern ihm eine unbekleidete Hure gegenüberstellt, ist nicht leicht einsehbar. Das Blatt „Die Taufe Jesu“ durch Johannes: kein Jordan, kein Taufwasser, kein Heiliger Geist – sondern, ungewöhnlich, überdimensional mächtig und bedrohlich, ein Stück Wüste – ist wohl als Isolation des soeben Getauften zu deuten oder verweist auf die Herkunft des Täufers, der im härenen Gewand den Messias ankündigt.
Die Ausstellung „Salvador Dali – Biblia sacra“ (www.dalimuenchen.de) ist definitiv bis 3. September montags von 10 bis 22 Uhr und dienstags bis sonntags von 10 bis 19 Uhr geöffnet, montags ab 20 Uhr zu reduziertem Eintrittspreis. Führungen sind Dienstag, Freitag und Sonntag jeweils um 11.30 Uhr, Sonderführungen unter der Telefonnummer 089 – 59 91 84 14 anzumelden. In der Reihe „Sommer-Kino“ präsentiert das Münchner Künstlerhaus während der Dali-Schau im Festsaal außergewöhnliche Künstlerbiografien von Dali und seinem Umfeld. Beispiele: „Das goldene Zeitalter / Ein andalusischer Hund“, Doppelfeature von Luis Bunuel und Salvador Dali (1930 / 1928), französische Fassung, 63 plus 16 Minuten (7. August); „Salvador Dali – A Soft Self-Portrait“, Regie: J.-Chr. Averty, mit Gala Dali und Orson Welles (1970), englische Originalfassung, 53 Minuten (21. August).

Foto (Hans Gärtner)

„Leib und Seele für das Vaterland geben“ – Widmungs-Blatt Salvador Dalis an Widerständische um ihres Glaubens willen (zur Erzählung in 2 Makkabäer 7)

Über Hans Gärtner 499 Artikel
Prof. Dr. Hans Gärtner, Heimat I: Böhmen (Reichenberg, 1939), Heimat II: Brandenburg (nach Vertreibung, `45 – `48), Heimat III: Südostbayern (nach Flucht, seit `48), Abi in Freising, Studium I (Lehrer, 5 J. Schuldienst), Wiss. Ass. (PH München), Studium II (Päd., Psych., Theo., German., LMU, Dr. phil. `70), PH-Dozent, Univ.-Prof. (seit `80) für Grundschul-Päd., Lehrstuhl Kath. Univ. Eichstätt (bis `97). Publikationen: Schul- u. Fachbücher (Leseerziehung), Kulturgeschichtliche Monographien, Essays, Kindertexte, Feuilletons.

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