Viel hat sich in Richard Wagners Leben verändert seit er in den Tagen der Dresdner Revolution vom Helden und „Menschen der Zukunft“ geträumt hatte und ihm bereits einige Siegfried-Motive wie der aufmunternde Hornruf durch den Kopf gegangen waren.. Als er 1856/1857 mit der Komposition des „Siegfried“ beginnt – als Textdichtung liegt der gesamte Ring im Privatdruck seit 1853 vor – lebt er im Schweizer Exil, hat Schopenhauer gelesen und schon an Tristan gedacht. Und dann noch die sogenannte Wesendonck-Affaire, die unter anderem zur langen Ring-Pause von 12 Jahren führte und deutliche Spuren im dritten Akt des „Siegfried“ hinterließ.
Auch bei Dietrich Hilsdorf muss sich in 33 Jahren Regiearbeit in Essen, Köln, Bonn, Düsseldorf, Wiesbaden und Chemnitz einiges verändert haben. „Wagners Musik und Dichtungen mag ich nicht“, soll er einmal gesagt haben und nun der ganze „Ring“! Für über 150 Inszenierungen war der ehemalige Regieassistent bei Peter Palitzsch und Hans Neuenfels verantwortlich, auch einmal die der „Walküre“ in Essen. Aber jetzt doch so viel Wagner? „Wenn ich mir diese Droge Wagner-Musik reinziehe, bin ich rettungslos verloren. Das heißt, ich habe immer versucht, ein Gegenmittel zu nehmen…“, sagte Hilsdorf noch im Mai 2017, nachdem er mit dem „Rheingold“ seinen „Ring“ am Rhein begonnen hatte.
Wer im „Siegfried“ als Regisseur mit Gegenmitteln arbeiten will hat es nicht leicht, es sei denn, er legt wie seinerzeit Jossi Wieler in Stuttgart die ganze Geschichte als Persiflage an. Doch das ist Hilsdorfs Sache nicht, zumal er mit Sängern arbeitet, die darstellerisch wie stimmlich so überzeugen wie Michael Weinius (Siegfried) und vor allen Cornel Frey (Mime) und Simon Neal (Wotan als Wanderer). Sie werden dem ersten Akt mit einer gehörigen Portion Humor und Überzeichnung gerecht. Und fast könnte Hilsdorf Wagner beneiden, der zur Darstellung ironischer Brechungen die Musik zu Hilfe nehmen kann. Zumindest im ersten Akt scheint es unmöglich, gegen Wagner zu inszenieren, auch wenn man Wotan auf ein Fahrrad setzt und Videoprojektionen mit den Erinnerungen Mimes über die Wand flackern lässt.
Der schmierige Zwerg haust mit seinem pubertären Ziehsohn Siegfried in einer improvisiert eingerichteten Halle, aus der ein Schienenstrang – wie man im zweiten Akt erkennt – geradewegs in die sogenannte Neidhöhle führt. (Bühne: Dieter Richter) Der Drache, der ist in dieser Inszenierung ein anachronistisch anmutender riesiger Dampfflug, in dem Fafner haust. Der Regisseur hat so ein Ungetüm im Museum entdeckt und es vom Bühnenbildner nachbauen lassen. Das Märchen bekommt durch so viel düstere Industrie Brüche, und das berühmte „Waldweben“ findet in einer Art Lokschuppen statt. Wenn Siegfried den von ihm getöteten Mime an einem Haken in die Höhe zieht, kommen Gedanken an brutale Gewalt neuerer Zeiten auf. Auch die Stimme Alberichs (Jürgen Linn) zeugt von nichts Gutem, aber Wotan ist wieder mit dem Fahrrad unterwegs, mit Leinenbeutel, Wegzehrung und irgendwie auch mit dem Speer. Rotwein ist ebenso dabei, und weil Wotan immer noch Interesse am Weltgeschehen zeigt, auch die Zeitung. Spätestens jetzt haben wir Hilsdorfs Credo frei nach Bertolt Brecht verstanden: „Der Gegenstand, der auf der Bühne verhandelt wird, ist der Mensch.“ Statur und Stimme Wotans dagegen sind götterwürdig.
Die Begegnung und Auseinandersetzung mit seinem Enkel findet wie auch die mit der Urmutter Erda (Susan Maclean) vor einer schwarzen Zwischenwand im neutralen Nirgendwo statt. Aber der furchtlose und rotzfreche Siegfried erhascht einen Blick auf die lodernden Flammen, die ihn auf dem Walkürefelsen erwarten. Ein Höhepunkt jeder „Siegfried“- Aufführung ist sicher die Schlussszene im letzten Akt. Bei Hilsdorf erscheint ein geschrotteter Helikopter, in dessen Cockpit Brünnhilde (Linda Watson) schläft. Wer die „Walküre“ gesehen hat, kennt ihn schon. Die Walküren bargen die blutigen Leichen von Jünglingen aus dem abgestürzten Flieger, um sie nach Walhall zu bringen. So zumindest hat man es gelesen, wenn man nicht dabei war. Schon da begann die Götterdämmerung, die nun, nachdem Wotan endgültig die Bühne der Oper und der Welt verlassen hat, unausweichlich wird. Der ausgebrannte Helikopter, ein Symbol für den Niedergang eines politischen Systems und ein bühnentaugliches militärisches Objekt, wenn man in einer Inszenierung Götter zu Machthabern herunterbricht.
Eine neue Zeit könnte aufleuchten mit Siegfried und Brünnhilde, die sich, entledigt allen Schutzes, zunächst schwer tut, zur liebenden Menschenfrau zu werden. Auch Siegfried ist durch den Elementareinbruch der Liebe zum Menschsein erwacht, in jenem Moment, der ihn das Fürchten gelehrt hat. Dieser Entwicklung des Dramas kann Hilsdorf nichts entgegen halten, denn die Menschwerdung macht nur bei göttlichen Kindern oder Enkeln Sinn. Er hätte schon vorher wie Frank Castorf in Bayreuth das gesamte Personal des „Rings“ auf den Kopf stellen müssen. So bleibt es bei Wagner und der großartigen Musik mit der jauchzenden C-Dur-Stretta am Schluss.: „Leuchtende Liebe, lachender Tod“!
Er habe für den „Ring“ kein festes Konzept, hat Dietrich Hilsdorf einmal gesagt. Vielmehr erarbeite er jeden der Teile mit den Sängern und Mitarbeitern zusammen neu. In seinem „Siegfried“ konnte er auf die stimmliche und darstellerische Kraft seiner Sänger vertrauen. Bei den Versuchen, am Mythos und Pathos von Wagner zu kratzen, fand er zahlreiche Vorbilder und wohl vor allem Unterstützung bei seinem Dramaturgen (Bernhard F. Loges) und Bühnenbildner. Gegen die Wagner- Musik gibt es sowieso kein Mittel, und die Düsseldorfer Symphoniker unter Axel Kober machten diesen Opernabend mit ihrem herrlichen auf- und abschwellenden Musikfluss zu einem bewunderungswürdigen Sängerfest.
„Siegfried“ ist wieder am 6. und am 10. Mai in Düsseldorf zu sehen, an drei Terminen im Januar/Februar 2019 in Duisburg
Die Premiere der „Götterdämmerung“ folgt am 27. Oktober, der ganze „Ring“ in Folge 2019.