Roman Israel: Flugobst – Sein Platz war hier

Obststand , Foto: Stefan Groß

Bei Obsthändlern steht mitunter das Wort „Flugobst“ auf dem Preisschild. Natürlich sind das keine Früchte, denen Flügel wachsen und die einfach losflattern, sondern die ungewöhnliche Transportart – nämlich mit dem Flugzeug – stand dem Namen Pate.

 

Bis zum Herbst 1989 blieben gerade diese exotischen Früchte für die meisten DDR-Bürger nur ein Traum. Wenn es dann doch einmal im Jahr Orangen oder gar Bananen gab, bildeten sich lange Schlange vor den Geschäften, um an diese Raritäten zu gelangen.

 

Mit der politischen Wende änderte sich alles. Nun konnten die Menschen auch in diesem Teil Deutschlands den Duft der großen weiten Welt schnuppern. Auf einmal standen keine Stacheldrahtzäune und Mauern mehr im Weg. Die Freiheit schien grenzenlos. „Ein Gefühl des Reichseins, des Muss-ich-Habens und des Wie-sind-wieder-wer schwebte in der Luft.“

Doch das Ende der Planwirtschaft zeigt auch seine unschöne Seite. In der Oberlausitz, dieser idyllischen Region an der Grenze zu Tschechien, bricht der sie bis dato prägende Industriezweig – die Textilindustrie – komplett zusammen. Es beginnt ein bis heute beispielloses Fabrikensterben in vielen Gemeinden und Städten. Ihre Bewohner überschwemmt man zwar mit den Wohlstandsfrüchten des Westens, aber eine berufliche Perspektive haben viele nicht mehr.

 

Genau in diese Zeit hinein verortet Roman Israel seinen Roman. Der Autor legt mit seinem Text ein sehr feines Gespür an den Tag, um diese besondere Stimmung zu erfassen und wiederzugeben. In wechselnden Kapiteln, die jeweils in den Jahren 1990 bzw. 1994 spielen, nähert er sich auf raffinierte Art und Weise einem Tag im Mai 1993, der eine Familie im kleinen Ort Klarabach (alles deutet auf den real existieren Ort Neugersdorf hin) auf tragische Art auseinanderreißt und am 29. November 1994 seinen endgültigen „Höhepunkt“ erfährt. Als Dreh- und Angelpunkt hat Israel die Familie Czeschlak ins Geschehen gesetzt. Der Vater Wolf und seine Sohn Andrej sind es auch, aus deren Sichten die wechselnden Kapitel einen Einblick in die „verschnarchte“ Gegend geben.

 

Roman Israel zeichnet ein herb-liebevolles Bild seiner Bewohner, deren Schrulligkeiten sowie ihrer Heimat und würzt es mit jeder Menge Lokalkolorit. Dabei vermeidet der Autor geschickt eine Positionierung und zu starke Sympathiebekundungen. Hier liegt eine besondere Stärke des Buches, das weder zu weichumspült, noch zu distanziert daherkommt, sondern es offenbart ein sehr feines Gespür für die Nöte und Widrigkeiten ihrer Bewohner, die damals vielleicht eine Idee zu schnell in die ungewohnten Freiheiten hineingeworfen wurden. Die Dialoge lesen sich flüssig und stimmig, die umgebende Szenerie wird feinfühlig gezeichnet.

 

Heraus kommt ein Roman, der das „geschichts- und gesichtslose“ Landkaff Klarabach, in dem „höchstens an den Markttagen ein paar Menschen unterwegs waren – alte Menschen“, ein wenig aus seinem Nachwendeschlaf herausholt. „Flugobst“ ist ein Buch, das unterhält, aber auch viel zum Nachdenken anregt und das Reminiszenzen an die eigene, bewusst erlebte Zeit wachruft. Sehr zu empfehlen.

Roman Israel

Flugobst

Luftschacht Verlag, Wien (16. Oktober 2017)
300 Seiten, Gebunden
ISBN-10: 3903081159
ISBN-13: 978-3903081154

Preis: 24,00 EURO

Über Heike Geilen 597 Artikel
Heike Geilen, geboren 1963, studierte Bauingenieurswesen an der Technischen Universität Cottbus. Sie arbeitet als freie Autorin und Rezensentin für verschiedene Literaturportale. Von ihr ist eine Vielzahl von Rezensionen zu unterschiedlichsten Themen im Internet zu finden.