
Deutschland braucht massive Investitionen, um Infrastruktur, Wirtschaft und Digitalisierung zukunftsfähig zu machen. Im Interview spricht Robert Habeck über den Investitionsfonds, Fördermaßnahmen für den Mittelstand und die Notwendigkeit einer modernen Energie- und Digitalpolitik. Sein Ziel: Deutschland soll wieder ein Land werden, das einfach funktioniert.
Unter dem Titel „Hören Sie uns?“ hat DUP UNTERNEHMER die Fragen einiger Spitzenverbände zu den Themen Wirtschaft, Steuern, Digitalisierung und Energiepolitik gesammelt und sie den Spitzen- und Kanzlerkandidatinnen sowie -kandidaten der demokratischen Parteien gestellt. Erfreulich: Fast alle haben geantwortet – bis auf Bundeskanzler Scholz und Oppositionsführer Friedrich Merz (CDU).
Marie-Theres Husken
stv. Leitung Abteilung Volkswirtschaft, Der Mittelstand (BVMW)
Marie-Theres Husken: Der Investitionsbedarf in Deutschland staut sich auf mehrere Hundert Milliarden Euro. Wie stellen Sie sicher, dass in der nächsten Legislatur in diesem Rahmen investiert wird? Muss die Schuldenbremse dazu modifiziert werden?
Robert Habeck: Deutschland ist von den Vorgängerregierungen jahrelang auf Verschleiß regiert worden. Die Folgen sind im ganzen Land zu spüren: Einsturzgefährdete Brücken, vernachlässigte digitale Infrastrukturen oder überlasteter Schienenverkehr. Dabei waren leistungsfähige Infrastrukturen ein deutlicher Standortvorteil Deutschlands.
Die Ampel-Regierung hat in den letzten drei Jahren wichtige Schritte unternommen, um die Wirtschaft zu stärken und ihr eine starke, resiliente und verlässliche Infrastruktur bereitzustellen. Aber in der Substanz konnte sich diese Regierung nicht auf Antworten einigen, die groß genug für die wirtschaftlichen Konsequenzen des Angriffskrieges Russlands gegen die Ukraine waren. Deshalb schlagen wir vor, dass Deutschland nun richtig Geld in die Hand nimmt und in die Zukunft investiert. Wir wollen einen Deutschland-Investitionsfonds aufsetzen und damit die derzeitigen öffentlichen Investitionen auf 75 Milliarden Euro jährlich verdoppeln und gleichzeitig private Unternehmensinvestitionen mit einer Investitionsprämie von 10% fördern. Es ist Zeit, dass wir in unsere Zukunft investieren und Deutschland wieder zu einem Land machen, das einfach funktioniert.
Inken Patermann
Leitung politische Kommunikation Verband der Unternehmerinnen (VdU)
Inken Patermann: Wie planen Sie, die Steuerlast für KMU zu reduzieren, um ihre Wettbewerbsfähigkeit zu stärken und deren Innovationsfähigkeit zu fördern?
Habeck: Deutschland und Europa müssen bei den Innovationen der Zukunft vorn mit dabei sein. Denn diese Innovationen sind nicht nur entscheidend für unsere wirtschaftliche Zukunft, sondern auch für die Bewältigung der großen gesellschaftlichen Aufgaben unserer Zeit. Von der Klimakrise bis zur geopolitischen Behauptung gegen den Autoritarismus. Um gerade KMU zu stärken, haben wir uns in der vergangenen Legislatur erfolgreich dafür eingesetzt, dass für KMU die möglichen Sonderabschreibungen auf bewegliche Wirtschaftsgüter befristet auf einen Prozentsatz von maximal 40% der Anschaffungskosten verdoppelt worden sind.
Zudem ist die Förderquote bei der Forschungszulage spezifisch für KMU um zehn Prozentpunkte angehoben worden. Mit der Anhebung der Schwellenwerte für die Bilanzierung und Rechnungslegung wurden darüber hinaus 52.000 Unternehmen in unserem Land um Bürokratiekosten von rund 650 Millionen Euro entlastet. So haben wir bereits in dieser Legislaturperiode Investitionen von KMU in Anlagevermögen sowie in Forschung und Entwicklung gezielt gefördert. Doch es bleibt noch viel zu tun, damit der innovative, international erfolgreiche Mittelstand in Deutschland sich aus den Krisen erfolgreich herausinvestieren kann.
Dirk Freytag
Präsident des Bundesverbandes Digitale Wirtschaft, BVDW
Dirk Freytag: Wie planen Sie konkret die Struktur und Aufgaben der deutschen Behörden zu reformieren, um Verfahren zu vereinfachen, Austausch und Beratung sowie Innovation in den Mittelpunkt zu stellen (z.B. im Datenschutz) und dadurch Unternehmen und Bürgerinnen und Bürger zu entlasten?
Habeck: Wir werden die Digitalisierung der Wirtschaft und die Entwicklung von digitalen Geschäftsmodellen erleichtern, indem wir die Struktur und Aufgaben der deutschen Behörden reformieren und Verfahren vereinfachen. Unser Ziel ist es, Unternehmen und Bürgerinnen und Bürger zu entlasten, den Austausch und die Beratung zu stärken und Innovationen in den Mittelpunkt zu stellen.
Dazu wollen wir die Anwendung von Künstlicher Intelligenz (KI) und die Etablierung robuster Cybersicherheitsstandards gezielt fördern. Nur modernisierte Behörden haben die Möglichkeit, die Herausforderungen der Digitalisierung zu meistern. Um dieses Ziel zu erreichen, planen wir gemeinsam mit den Ländern und Kommunen die Einführung der Deutschland-App. Diese App wird schrittweise alle staatlichen Verwaltungsangebote sicher, barrierefrei und anwendungsfreundlich zur Verfügung stellen und die Kommunikation von Unternehmen gegenüber den Behörden substanziell erleichtern.
Dirk Freytag: Wie werden Sie mit Blick auf die Zukunftsfähigkeit Deutschlands einen stärkeren Gestaltungsspielraum etablieren, der insbesondere ein ausgewogeneres Verhältnis zwischen datengetriebener Innovation und dem Schutz von Daten sicherstellt?
Habeck: Um das große Potenzial von Datenkollaboration für Innovation und Produktivität zu heben, muss die Umsetzung des Datenschutzes einfacher und weniger bürokratisch werden. Die Datenschutzgrundverordnung muss effizienter und einheitlicher umgesetzt werden – auch um Doppelregulierung und unklare Zuständigkeiten zu vermeiden. Eine Reform beim Datenschutz hin zu Einheitlichkeit, Verlässlichkeit und Einfachheit ist nötig, etwa durch die Bündelung von Zuständigkeiten für bestimmte Sektoren oder Forschung bei einzelnen Aufsichtsbehörden. Notwendig ist eine Vereinfachung von Verfahren und die Einführung von klaren Zuständigkeiten, um die Zusammenarbeit von Unternehmen, Forschungseinrichtungen und Behörden zu erleichtern.
Wolfram Axthelm
Geschäftsführer Bundesverband Erneuerbare Energien, BEE
Wolfram Axthelm: Welche Maßnahmen muss die nächste Bundesregierung ergreifen, um die Cybersicherheit in der Kritischen Infrastruktur zu gewährleisten?
Habeck: Wir sind uns der Bedrohung durch Hackerangriffe und andere cyberkriminelle Aktivitäten bewusst und wollen daher mit einem Cybersicherheitsstärkungsgesetz unsere IT-Infrastruktur härten und widerstandsfähiger gegen Angriffe machen. In der vergangenen Legislatur haben wir noch im Kabinett mit dem KRITIS-Dachgesetz, das konkrete Sicherheitsstandards formuliert, einen wichtigen Grundstein gelegt.
Der nächste Schritt in diese Richtung ist die Stärkung des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI). Das BSI muss eine prominente Rolle beim Schutz digitaler Infrastruktur bekommen und zur Zentralstelle ausgebaut werden. Dies würde die IT-Sicherheit in Deutschland auf ein höheres Niveau heben und die öffentlichen Institutionen besser vor cyberkriminellen Angriffen schützen.
Wolfram Axthelm: Welche Maßnahmen wollen die Parteien ergreifen, um den Industriestandort Deutschland mit Blick auf die Erneuerbaren Energien zu sichern?
Habeck: Günstiger Strom aus erneuerbaren Energien wie Wind, Sonne, Wasserkraft, Geothermie und naturverträgliche Bioenergie sichert unseren Wohlstand und schafft Arbeitsplätze. Wir halten Kurs beim erreichten Rekord-Ausbautempo und bauen die Energie-Infrastruktur so aus, dass der günstige Strom bei Menschen und Unternehmen auch ankommt. Erneuerbare Energien liefern enorm günstig, aber nicht gleichmäßig Strom, was Herausforderungen für die Netzstabilität und die Versorgungssicherheit aufwirft. Deshalb müssen wir Angebot und Nachfrage optimal und möglichst dezentral aufeinander abstimmen.
Dies erreichen wir durch den kosteneffizienten Netzausbau, die bessere Netznutzung, dezentrale Preissignale ohne eine Aufteilung der Gebotszone, die effiziente Ausnutzung von Flexibilitätspotenzialen und die Förderung von Speicherlösungen. Wir setzen uns für einen leistungsfähigen europäischen Strombinnenmarkt ein und bauen die Stromnetze zu unseren europäischen Nachbarn aus. Außerdem setzen wir auf die konsequente Digitalisierung des Energiesektors.
Marie-Theres Husken: Welche Maßnahmen schlagen Sie vor, um den Dreiklang aus Energiewende, Versorgungssicherheit und wettbewerbsfähigen Energiekosten zu bewältigen?
Habeck: Wir setzen uns für eine zukunftsfähige Energiepolitik ein, die den Industriestandort Deutschlands sichert und zugleich die Umwelt schützt. Dass Deutschland auch sein nationales Klimaziel erreicht und die Kohleverstromung einen historischen Tiefstand erreicht hat, ist ein großer Erfolg grüner Energie- und Klimapolitik. Ein Rekord beim Ausbau der Erneuerbaren jagt den nächsten. Gerade wurde die Schallmauer von 100 Gigawatt Solarenergie durchbrochen und die Menschen haben im vergangenen Jahr doppelt so viele Balkonsolaranlagen wie im Jahr zuvor installiert. Das zeigt, was alles möglich ist, wenn mutige Zukunftspolitik den richtigen Rahmen setzt.
Quelle: DUP Magazin