Man tritt nach gut einer Stunde ans Tageslicht. Und sieht sie noch immer im Dunkel: Nasenbeutler und Süßwasserschildkröten, Fischer und Jäger, Emus und Bäume, Riesen und Geisterwesen. Und das „Kangaroo“. Mit dem alles 1969 begann. Da war der spätere Münchner Dermatologe Gerd Plewig gerade mal 30 Jahre alt, als er es auf einem nächtlichen Streifzug durch Sydney in einem Schaufenster entdeckte. Kein echtes Känguru. Ein mit Erdfarben auf ein Stück Rinde vom Eukalyptusbaum gemaltes. Es sollte am nächsten Tag ihm gehören – und seine heute höchst bedeutsame Sammlung begründen.
Plewigs Großtat: 2018 seine bis 170 Exemplare angewachsene Sammlung dem Münchner Museum Fünf Kontinente übergeben zu haben. Mit der Sonderausstellung „Inspiriert vom Land“ kommt eine Auswahl der Kollektion erstmals an die Öffentlichkeit. Sie wird entführt in einen Erdteil, der die Kultur des Aborigines people hochhält. Ein Wunder, dass so zahlreiche phantastisch bemalte Stücke der Aborigines nach Europa gelangten. Und eine nicht hoch genug einzuschätzende Chance, sie sehen zu dürfen.
Man tritt also ans Tageslicht. Und versucht, sich zu vergegenwärtigen, wo man gerade war: im Norden Australiens. In Kimberley und North East und Western Arnhem Land, speziell auf Groote Eylandt. Landkarten geben Orientierung. Schrifttafeln bieten viel Lesestoff. Zeigen Fotos von Künstlern, ausschließlich Männern. Man braucht für alles Seh- und Stehvermögen. Tragbare Klappstühle gibt es für rasch Ermüdende, für an Details Interessierte leihweise ein Begleitheft. Auf Rinden gemalte Tiere, Pflanzen, Menschen aus Märchensphären und Realwelten begegnen dem Neugierigen. Er findet das meiste rätselhaft. Liest dazu – am liebsten Geschichten.
Etwa die von Munubuno, gemalt in Mowanjum, Western Australia in 1973. Der böse Geist umgarnte die Menschen mit einem Netz. An Ellbogen, Knien und Schultern wachsen ihm giftige Früchte, die ihn bitter machen. Mit Krallen an den Füßen spießt er Menschen auf. Den Tötungsstab Muntu stößt er seinen Opfern ins Gehirn. Noch mehr Grausamkeiten? Man muss ja nicht alles erzählen, was Angst macht. Also dann lieber die Geschichte vom Riesen Lumah Lumah zu den Bildern aus den frühen 1970er Jahren von Bobby Barrdjaray Nganjmirra, der von 1915 bis 1992 lebte. Der mächtige Lumah Lumah führte die Menschen in Zeremonien ein und zeigte ihnen sakrale Gegenstände für Riten und Initiationen. Mit dem gewaltigen Schädel und den starren kreisrunden Augen hält er steif sitzend direkt auf den Betrachter zu, als wolle er ihn locken und gefangennehmen.
Eine dekorative Bildschöpfung ist dem Künstler Nandabitta Maminyamandja (1911 bis 1981) zu verdanken, die in den 1960er Jahren entstand. Die sechs verschiedenen Stachelrochen, die die „Stingray Hunters“ aufspießen, werden in den Gewässern um Groote Eylandt gefangen.
Das Ehepaar Plewig hatte schon während der Sammeltätigkeit vor, die Meisterwerke der Aborigine-Kunst nicht selbst zu behalten, sondern sie der Allgemeinheit zuzuführen. Die Schenkung versteht sich als Hommage an eine uralte Kultur der Menschheit.
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Die Ausstellung läuft bis 18. September, dienstags bis sonntags von 9.30 Uhr bis 17.30 Uhr im Museum Fünf Kontinente, München, Maximilianstraße 42. Der großartig getextete und bebilderte Katalog ist bei Hirmer erschienen.