Das Lenbachhaus München hat am 15. Mai 2019 sechzehn Zeichnungen des österreichischen Künstlers Alfred Kubin (1877–1959) restituiert.
Proaktive Recherchen des Lenbachhauses hatten ergeben, dass die Blätter
dem Ehepaar Maximilian und Hertha Morgenstern NS-verfolgungsbedingt entzogen
wurden. Grundlage für die Restitution der Zeichnungen sind die
Grundsätze der Washingtoner Konferenz von 1998 in Bezug auf Kunstwerke,
die von den Nationalsozialisten beschlagnahmt
wurden. Die Landeshauptstadt München bezieht diesbezüglich eine klare
Position: Das Unrecht, das während des „Dritten Reichs“ begangen wurde,
darf sich nicht wiederholen. Die öffentliche Hand setzt sich daher
nachdrücklich dafür ein, geraubte Kunstwerke zu
identifizieren, die Vorkriegsbesitzer bzw. deren Nacherben zu ermitteln
und eine gerechte und faire Lösung zu finden. Die 16 Zeichnungen von
Alfred Kubin stammen ursprünglich aus der Wiener Kunstsammlung von
Maximilian und Hertha Morgenstern und gelangten
durch den Hamburger Apotheker und Sammler Kurt Otte (1902–1983) in die
Sammlung des Lenbachhauses. Bei Maximilian Morgenstern handelt es sich
um einen der wichtigsten Sammler von Alfred Kubin. Morgenstern und Kubin
kannten sich seit ca. 1911/1914 und waren
bis zu Maximilian Morgensterns Tod 1946 freundschaftlich verbunden.
Im Juni 1938, drei Monate nach dem „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich im März 1938, schrieb Hertha Morgenstern an Otte, dass sie Zeichnungen aus ihrer Sammlung veräußern wolle. Sie bezog sich in ihrem Schreiben auf frühere Gespräche mit Otte, in denen dieser sein Interesse an den Zeichnungen bekundet hatte. Ihr Ehemann Maximilian Morgenstern war offensichtlich nicht in Wien anwesend. Hertha Morgenstern hat diesen Verkauf nur wenige Wochen vor dem Inkrafttreten der zwangsweisen „Verordnung über die Anmeldung des Vermögens von Juden“ getätigt, vermutlich um einer Schätzung und späteren „Beschlagnahme“ dieser Objekte zu entgehen. Sie sprach auch von drückenden Steuern, womit die „Reichsfluchtsteuer“ gemeint war, die den zur Emigration gezwungenen Personen auferlegt wurde. Im Juni 1938 sendete Hertha Morgenstern 44 Zeichnungen zur Ansicht nach Hamburg, von denen Otte 20 Zeichnungen auswählte. Otte bedauerte ihr gegenüber die Umstände des Verkaufs und bot ihr 30 RM pro Zeichnung an, insgesamt also 600 RM. In Hertha Morgensterns „Vermögensanmeldung“ vom 14.7.1938 wurden andere, nicht näher bezeichnete Zeichnungen von Kubin allerdings mit je 75 RM bewertet. Generell erfolgte der Verkauf zu einem Zeitpunkt, als eine freie Verfügung über den Kaufpreis nahezu ausgeschlossen war. Wenige Wochen später, Ende Juli 1938, schrieb Maximilian Morgenstern an Kurt Otte, dass er die Blätter gar nicht hatte verkaufen wollen und dass er bedauere, dass seine schöne Sammlung nun derart zerrissen sei. Unklar bleibt, was mit den restlichen 24 Zeichnungen geschah. Dem Ehepaar Morgenstern gelang 1939 die rettende Flucht nach Großbritannien, wo Maximilian Morgenstern 1946 verstarb.
Das Lenbachhaus hat das Kubin-Archiv von 1971 bis 1983 als wichtige Ergänzung zur Sammlung des „Blauen Reiter“ direkt von Kurt Otte angekauft. Otte hatte das Archiv seit den frühen 1920er Jahren in enger Zusammenarbeit mit dem Künstler aufgebaut. Bei Abschluss der Sammeltätigkeit handelte es sich um das größte Einzelarchiv zu einem bildenden Künstler dieser Generation. Das äußerst umfangreiche Archiv umfasst unter anderem Zeichnungen, Mappenwerke, lithographische Werke, Tagebücher, Briefe, Fotografien und Tonbänder von und über Alfred Kubin sowie Grafiken anderer Künstlerinnen und Künstlern. Bestandteil des Kubin-Archivs waren die vorgenannten 16 Kubin-Zeichnungen. Unklar ist der Verbleib der vier weiteren von Kurt Otte aus der Sammlung Morgenstern ausgewählten Kubin-Zeichnungen. Sie wurden nicht an das Lenbachhaus weitergegeben. Insgesamt galt die Provenienz der Objekte des Kubin-Archivs zum damaligen Zeitpunkt, 1971, als unbedenklich. Es handelte sich um einen gutgläubigen Erwerb.
Im Zuge der systematischen und proaktiven
wissenschaftlichen Überprüfung des Sammlungsbestandes konnte nun
herausgefunden werden, dass die Kubin-Zeichnungen Maximilian und Hertha
Morgenstern 1938 NS-verfolgungsbedingt entzogen wurden. Nach
Abschluss der Recherchen konnte gemeinsam mit den Nachkommen eine faire
und gerechte Lösung im Sinne der Washingtoner Prinzipien gefunden und
die vorgenannten Kunstwerke an die rechtmäßigen Nacherben restituiert
werden.
Die Nachkommen ziehen es vor anonym zu bleiben und möchten keinen weiteren Kommentar abgeben. Die Landeshauptstadt München und die Städtische Galerie im Lenbachhaus und Kunstbau München sind der Kanzlei Pinsent Masons, München, insbesondere Frau Rechtsanwältin Sibylle Schumacher, für die kompetente und engagierte anwaltliche Beratung zu großem Dank verpflichtet.