René Aguigah: James Baldwin. Der Zeuge. Ein Porträt, C.H Beck, München 2024, ISBN: 978-3-406-81369-6, 24 EURO (D)
James Baldwin (1924 – 1987) gehört zu den wichtigsten Schriftstellern des 20. Jahrhunderts. Schon zu Lebzeiten machten ihn seine Bücher «Giovannis Room» und «The Fire Next Time» berühmt und brachten ihn auf die Coverseite des «Time Magazine». Aber Baldwin war schwarz und schwul, die Gesellschaft, in der er lebte, rassistisch und schwulenfeindlich. Aus dieser Spannung ist ein einzigartiges Werk entstanden, das die Tore weit aufgestoßen hat, durch die Generationen von Aktivisten nach ihm gegangen sind. Am 2. August 2024 wäre der große Autor, den manche einen Propheten nannten, 100 Jahre alt geworden.
Nach seinem Tod ging James Baldwin vorerst etwas in Vergessenheit.Im Zusammenhang der „Black Lives Matter“-Bewegung und Rassismus-Debatten wurde Baldwin seit den 2010er Jahren weltweit breit rezipiert und erhielt neue Beachtung.
In seinem elegant geschriebenen Porträt skizziert Baldwin-Kenner René Aguigah das Leben Baldwins von der Herkunft in ärmlichen Verhältnissen in Harlem bis zur Flucht vor dem alltäglichen Rassismus nach Paris, seinen rasanten Aufstieg zu einem gefragten Redner und seine Beziehungen mit Martin Luther King und Malcolm X. Vor allem aber begibt sich Aguigahs essayistisches Buch auf die Suche nach dem, was Baldwin uns heute noch mitzuteilen hat. Es fragt nach dem Verhältnis zwischen seinem Künstlertum und Aktivismus, der Spannung zwischen Literatur und Politik, seinem Eintreten für Minderheiten und seinen universalistischen Überzeugungen. Baldwin, der Hass so gut kannte, hielt in seinen Romanen und Essays an der Liebe als Hoffnung fest. Aguigah porträtiert ihn als Zeugen einer Zeit der Gewalt und des Unrechts, die bis heute fort existieren.
So schreibt Aguigah: „Baldwins Selbstbeschreibung als Zeuge ist nicht zuletzt ein Vermittlungsversuch zwischen unterschiedlichen Polen. Einerseits ist er Zeuge, wenn er Arbeitslose in San Francisco interviewt, wenn er die Zustände in Harlem beschreibt, wenn er Demonstrierende in Florida begleitet, wenn er Martin Luther King porträtiert. Er ist dabei – nicht selten als teilnehmender Beobachter. Andererseits nennt er sich dann auch einen Zeugen, wenn er aus seiner so persönlichen Erfahrung als Jugendlicher – zwischen Kirche, Kino und aufkeimender Sexualität – ein Kunstwerk formt, seinen ersten Roman Von dieser Welt. (S. 193f)
Das Buch lässt sich sehr gut im Kontext postkolonialer Theorie lesen. Es zeigt, wie die Konstruktion des Otherings und „Fremden“ in Form von rassistischen Konstanten weiterexistieren und sich stabilisieren konnte.
Dieses Buch ist auch ein Teil der Wiederaneignung eines zu Unrecht vergessenen Schriftstellers, dessen Leben und Werk zeitlos wirken. Einer außergewöhnliche Persönlichkeit, der ein überzeugter Philanthrop trotz aller Ungerechtigkeiten und Machtstrukturen blieb.