Das politische Polospiel schien ohne Sieger zu Ende zu gehen (›Repräsentanten‹ reiten den Gaul ›Souverän‹ zu Schanden), als ein alter Schweizer Freund an den Tisch kam. Er fragte nach den beiden Prinzipien, nach denen (a) im deutschen Parlament bestimmt wird, wer an der Regierungsbildung beteiligt werden darf, und wonach (b), bestimmt wird, wer diskussionslos von vorneherein von diesen Prozeduren auszuschließen sei. Denn offensichtlich spielen empirische Wahlergebnisse dabei keine Rolle.
Wenn aber die Arbeit des Souveräns, mit einer bestimmten Proportion von Gewählten (›Repräsentanten‹) auch eine proportionale Mitbestimmung bei der Regierungsbildung zu erreichen, von den Repräsentanten zunichte gemacht werden kann, – z.B., indem man eine große Anzahl von ihnen – sogar wenn sie relative Mehrheiten ausmachen – als parlamentarisch inexistent ausweist, dann öffnet sich ein eklatanter Widerspruch zwischen Parlamentarismus und Demokratie. In der Schweiz, so der Freund, sei das ganz anders; da gebe es keine von der Regierungsarbeit prinzipiell ausgeschlossenen Gewählten. Anstatt das Repräsentanten bestimmen dürfen, was Mehrheit wird, ja sie sogar Mehrheiten ›konstruieren‹ könnten (z.B. aus Wahl-Verlierern), sollte umgekehrt der Souverän – wahlweise – bestimmen, wer Repräsentation ausüben darf.
Ein dementsprechend objektives Prinzip wäre es doch, wenn die Regierungsbildung immer so zu erfolgen hätte: beauftragt werden damit immer erstens die stärkste Fraktion (die mit den jeweils meisten Stimmen) und zweitens die mit einem jeweiligen Wahlerfolg ausgewiesenen Parteien. Das soll gelten, auch wenn diese programmatisch ganz unterschiedlich konturiert sind. Deren subjektiven Befindlichkeiten sollten zurückstehen hinter dem, was der Souverän jeweils proportioniert. Denn: Regierungen sollen nicht irgendeine geschichtsphilosophische These illustrieren oder die Welt retten; moderne Staaten sind auch keine (platonischen) Epistokratien und Parlamente keine Dating-Agenturen. Regierungsarbeit sollte sich darauf konzentrieren, für einen ziemlich begrenzten Zeitraum die Angelegenheiten der Polis zu verwalten. Und das unter kreativer Partizipation alle parlamentarischen Spieler. Schließlich leben in der Polis nun mal ganz unterschiedliche Leute, – d.h. der Souverän wird nicht konstituiert von einer bestimmten weltanschaulichen (grünen, roten oder schwarzen) Norm oder Gestalt, sondern er ist das neutrale unbestimmt Ganze des Staatsvolks.
Also: es gibt beileibe nach dem Ende der ›grün-gelb-schwarzen Polit-Phantasie nicht nur die Möglichkeit einer Minderheitsregierung oder Neuwahlen, sondern die Möglichkeit, das Wahlergebnis vom September 2016 ernst zu nehmen und die Wahlgewinner von damals zusammen mit der stärksten Fraktion von damals zu einer Regierung zu verpflichten.
Steffen Dietzsch ist Professor für Philosophie an der Humboldt-Universität Berlin und Direktor des Kondylis-Instituts für Kulturanalyse und Alterationsforschung (Kondiaf). Seine Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Kantforschung und -biographik, Philosophie des Deutschen Idealismus und europäische Nietzsche-Rezeption.
Quelle: Goblult
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