Reform des Finanzmarktes notwendiger denn je

Da ist es wieder, das große Heulen und Zähneklappern. Obwohl während der letzten Finanzkrise vor allem in den USA viele Banken Pleite gingen, sind die Finanzmärkte noch immer um ein Vielfaches größer als die Realwirtschaft dies für ihre Investitionen und ihren Handel bräuchte. Noch immer ist ein großer Teil der weltweiten Finanztransaktionen reine Spekulation und hat mit wirklichem Wirtschaften und echter Wertschöpfung nicht das geringste zu tun. Der damalige Bundespräsident Horst Köhler – selbst ausgebildeter Ökonom und ehemaliger Chef der Weltbank – hatte vor einer Übermacht des Marktes gewarnt: „Die ordnungspolitischen Vordenker unserer Sozialen Marktwirtschaft haben Recht behalten: Der Markt alleine richtet nicht alles zum Guten.“ Konzepte, wie bspw. die Bankenaufsicht und –prüfung effektiver gestaltet werden kann, aber auch, wie die Banken am verursachten Schaden mit in Haftung genommen werden können, fehlen bis heute. Die Krisenbanken in Deutschland und Irland sind nach Worten von EU-Wettbewerbskommissar Joaquin Almunia dabei die schwierigsten Sanierungsfälle in Europa. Ende letztes Jahr stand hier der deutsche Steuerzahler mit der unvorstellbaren Summe von 615 Milliarden Euro (!) an Garantien und Kapitalspritzen gerade – oder 26 Prozent des deutschen Bruttoinlandsprodukts. Bei einem 8-Stunden-Arbeitstag arbeiten wir also ohnehin schon 2 Stunden, nur um die „Banken zu retten“. Und zu dieser gigantischen Summe kommen dann noch die bislang 715-Milliarden zur Stützung des Euro hinzu!
Warum fragt niemand mehr, wie es möglich ist, daß z.B. die Hypo Real Estate (HRE) immer wieder neue „Kapitalspritzen“ erhielt und ihre Manager Boni in Millionenhöhe, genehmigt von denselben Politikern, die dann diese Bonizahlungen vor der Fernsehkamera publikumswirksam als „skandalös“ bezeichnen? Der Bund hat zwar die HRE verstaatlicht und hält 100 % der Aktien, doch – so Professor Dr. Karl-Joachim Schmelz, ehemaliger Richter am Landgericht Frankfurt – ca. 65 % des Kapitals der HRE befindet sich auf den Cayman-Inseln. Und wer verbirgt sich dort? Beteiligungsgesellschaften, Hedgefonds und Töchter von deutschen Banken, deren Eigentümer meist anonym sind. Daß den Volksvertretern in den Parlamenten es nicht allzu sehr an einer Aufarbeitung gelegen zu sein scheint, erwies sich beim zur Farce gewordenen HRE-Untersuchungsausschuss im Bundestag, der zu einem Tiefpunkt des deutschen Parlamentarismus wurde. Sparkassen-Präsident Heinrich Haasis: „Nach der Lehmann-Insolvenz hieß es allenthalben, keine Bank dürfe so groß sein, daß sie den Staat zu Finanzhilfen zwingen könne. Zwei Jahre später sehen wir: Die großen Banken sind noch größer und damit noch gefährlicher geworden.“ Tatsächlich haben die Kartellbehörden nicht eingegriffen, als noch während der letzten Finanzkrise die Deutsche Bank die Postbank übernahm und die Commerzbank die Dresdner. Und dann jammert man, daß man eine Bank unbedingt retten müsse, weil sie „systemrelevant“ sei?
„Teile der Wirtschaft und der politischen Entscheidungsträger haben sich vom Grundverständnis einer demokratischen Gesellschaftsverfassung gelöst und folgen ihren eigenen Gesetzmäßigkeiten, der Logik der Mafia“, konnte so auch der Jurist Dr. Wolfgang Hetzer vom Europäischen Amt für Betrugsbekämpfung (OLAF) konstatieren. Bei einem Festvortrag an der Universität Trier stellte er die Fragen, auf die uns die verantwortlichen Politiker bislang Antworten schuldig geblieben sind: „Welche Politiker haben mit Ihrer Gesetzgebung dafür gesorgt, dass sich die Kapitalmärkte in Tatorte verwandeln konnten, auf denen sich eine besonders gemeingefährliche Art der Kriminalität breitmachen konnte?“
Die Deregulierungen in der Finanzbranche, die seit den 1980er Jahren in Europa und den USA aufgrund erfolgreicher Lobbyarbeit der Banken durchgeführt wurde, hat zur perversen Situation geführt, daß man inzwischen mit dem Handel von Geld mehr Geld verdient als mit industrieller Produktion. Beim sogenannten „Investmentbanking“, also beim Zocken mit Wertpapieren und Derivaten, verdient man am meisten und am schnellsten; das normale Bankgeschäft, also die Kreditvergabe, betreibt man nur noch so nebenbei und eher widerwillig. Jetzt ist es sogar so, daß viele Banken ihre gesamtes Kapital in dubiose Wertpapiere gesteckt haben – und für Kreditvergabe keins mehr haben.
Das große Problem dabei ist, daß die meisten Transaktionen an den Börsen ohnehin nur reine Spekulation sind. Waren einmal Aktien dazu gedacht gewesen, daß Unternehmen Kapital dadurch erhalten, indem sich viele Menschen am Unternehmen beteiligen, läuft es heute längst anders: Anteile von Firmen werden meist nur noch gekauft, weil der Kurs am Steigen ist, und verkauft werden sie dann direkt wieder zum höheren Preis. Beim heutigen Computerhandel geschieht das manchmal innerhalb nur weniger Sekunden. Da die Börsen wenig mit vernünftigem Wirtschaften, aber ganz ähnlich wie beim Pokerspiel viel mit Psychologie zu tun haben, kann man natürlich bei entsprechendem Kapitaleinsatz leicht „gegen“ etwas spekulieren: wenn man verkauft wie verrückt, wirkt das ansteckend, und andere werden ebenfalls verkaufen, der Kurs sinkt, und das bewirkt wiederum, daß noch weitere Wertpapierhalter verkaufen werden – eine Art selbsterfüllende Prophezeiung. Umgekehrt kann man natürlich einen Kurs zum Steigen bringen, indem man wie verrückt kauft.
Immer wieder werden zwar kurzfristig „Leerverkäufe“, sogenannte short sells, verboten, doch tatsächlich müßte dieses Spekulationsmittel unbefristet und generell verboten werden mitsamt der fast täglich neu erfundenen „Derivate“ wie CDS, OTC, Zinswetten, Kreditverbriefungen und so weiter, und so fort.
Manche, auch Wirtschaftswissenschaftler und Unternehmer, scheinen erkannt zu haben, daß das lange propagierte „freie Spiel der Kräfte“ mit möglichst wenig Reglement allenfalls die Monopolbildung fördert, indem der Stärkere seine Konkurrenten aufkauft und immer stärker wird – bei Banken führt das zu einem gigantischen Epressungspotential gegenüber Regierungen. Sollen nicht weiterhin gigantische Werte vernichtet werden und in die Taschen weniger Spekulanten gelangen, sind strenge, eindeutige, konsequente Regeln überfällig. Und ob ein funktionierender Markt wirklich danach verlangt, daß Anteile an einem Unternehmen jetzt gekauft und bereits Minuten später wieder ver-kauft werden können, ist die Frage. Wirtschaften heißt Werte schaffen. Und die Wertschöpfung in einer Wirtschaft geschieht ausschließlich durch Arbeit, denn Geld an sich hat keinen Wert, und die Geldvermehrung durch Spekulation oder Finanzinstrumente wie den Zins sind nichts anderes als Metastasen im Wirtschaftsorganismus.
Europäische Zentralbank (EZB) und Europäische Kommission wollen die Euro-Mitgliedstaaten zu hinlänglicher Haushaltsdisziplin anhalten, doch der erste Schritt ist längst getan, aus der EZB eine „Bad Bank“ zur Auslagerung fauler Papiere zu machen – ein riesiges Verlustgeschäft für den europäischen Steuerzahler. Es liegt die Vermutung nah, daß das ganze „Rettungsgerede“ vor allem auf die erfolgreiche Lobbyarbeit der Finanzbranche zurückzuführen ist, denn wenn man insolvente EU-Mitglieder stützt, tut man das ja vor allem, damit die ihre Verbindlichkeiten bei den Banken zurückzahlen können. (Nur zur Verdeutlichung: die Zahlung von Schuldzinsen ist der zweitgrößte Etatposten im Haushalt der Bundesregierung!).
Einerseits warnen die Banken immer vor zu großer staatlicher Regulierung und beschwören die Marktwirtschaft, andererseits verlangen sie nach staatlicher Rettung, um vor der Pleite gerettet zu werden. Jedes Unternehmen muß in die Insolvenz gehen, wenn es falsch wirtschaftet – Banken nicht? Tatsächlich stellt man sie noch immer außerhalb der marktwirtschaftlichen Regeln. Und das ist ein großer Fehler. Der Staat muß auch Banken, die falsch gewirtschaftet haben, pleite gehen lassen!

Finanzen

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