Annegret Kramp-Karrenbauer: Sehr geehrte Frau Vorsitzende! Liebe Angela! Liebe Freundinnen und Freunde! Wir haben eben eine bemerkenswerte Debatte der CDU in dieser Halle erlebt. Ehrlich gesagt, wenn ich nicht schon Lust gehabt hätte, als Generalsekretärin anzutreten, hätte ich mich nach dieser Debatte auf jeden Fall beworben. Wir können stolz darauf sein, was wir heute Nachmittag hier geleistet haben.
Liebe Freundinnen und Freunde, als unsere Vorsitzende mich gefragt hat, ob ich mir über die Verantwortung hinaus, die ich in der Partei schon als gewähltes Mitglied des Präsidiums, als Ministerpräsidentin und als Vorsitzende eines Landesverbandes trage, vorstellen kann, im Team mit anderen mehr Verantwortung in Berlin zu tragen, habe ich mir diese Entscheidung nicht leicht gemacht. Ich bin vor knapp einem Jahr mit über 40 Prozent der Stimmen noch einmal als Ministerpräsidentin des Saarlandes bestätigt worden. Das ist heute Morgen schon angeklungen: Es war ein harter und schwerer Wahlkampf. Für mich ist klar, dass Menschen, die zur Wahl gehen, mehr abgeben als nur ihr Kreuz auf einem Zettel, als nur ihre Stimme. Sie schenken uns bei der Abstimmung ihr Vertrauen. Mit diesem Vertrauen muss man sorgsam umgehen. Deswegen war es für mich keine leichte Entscheidung. Aber, liebe Freundinnen und Freunde, wir alle erleben und spüren – das geben uns auch unsere Mitglieder mit –, dass wir in einer Zeit leben, die so unruhig und schwierig ist wie selten zuvor. Die Menschen haben Fragen an die Politik. Menschen sind in den letzten Monaten durch die Politik enttäuscht worden, weil sie welche gewählt haben, die dann, als es darauf ankam, sich der Verantwortung nicht gestellt haben. Im Leben jedes Einzelnen kommt es zu Situationen, in denen es nicht mehr genügt zu sagen: „Derjenige müsste“, oder: „Diejenige sollte“. Vielmehr muss man dann selbst
eine Antwort darauf geben. Diese kann nur lauten: Ich kann, ich will und ich werde.
Deshalb stelle ich mich gerne in den Dienst der Partei.
Ich habe mich ganz bewusst gegen das Angebot entschieden, Mitglied eines
Bundeskabinetts zu werden. Ich habe mich ganz bewusst – ja, es war mein eigener
Wunsch – für die Funktion in der Partei entschieden.
Denn, liebe Freundinnen und Freunde, alles, was ich in meinem Leben politisch erreicht habe, habe ich dieser Partei zu verdanken. Diejenigen, die morgens um fünf Uhr vor den Werkstoren gestanden und Flugblätter verteilt haben, diejenigen, die selbst dann, wenn wir zum Beispiel im Saarland einen knallharten Sparkurs gefahren haben, in ihren Vereinigungen und den Gewerkschaften den Kopf für unsere Entscheidungen hingehalten haben, und diejenigen, die an den Stammtischen und online nicht zurückgezogen haben, auch wenn die Angriffe unter die Gürtellinie gingen, sind die stillen Helden, die unsere Partei ausmachen. Das sind diejenigen, die mich und andere tragen. Es ist an der Zeit, etwas zurückzugeben, liebe Freundinnen und Freunde.
Es steht mehr auf dem Spiel als die Frage, wie wir uns als Partei fühlen. Es geht vielmehr um die Frage, wie wir in einer unruhigen Zeit Stabilität gewähren. Wie werden wir den Erwartungen der Menschen gerecht? Wer eine stabile Regierung haben will, muss ein stabiles politisches System haben. Ein stabiles politisches System gibt es nur mit stabilen Parteien. Das können nicht die Parteien sein, die nur zu einem kleinen Teil die Interessen der Menschen vertreten. Das müssen starke Volksparteien sein. Wir wollen keine Sammlungsbewegung, die inhaltsleer irgendjemandem hinterherläuft. Wir wollen wertebasierte, starke Volksparteien. Dafür müssen wir kämpfen. Das sind wir auch dieser Republik schuldig.
Die Menschen stellen sich Fragen. Sie stellen diese Fragen auch uns. Sie wollen wissen: Wie geht das mit der Digitalisierung, und vor allen Dingen was tut ihr dafür, dass es auch für jeden Einzelnen etwas Positives wird? Sie wollen wissen, wie es um
Europas Zukunft bestellt ist. Vertreten wir noch die gleichen Werte und unsere Interessen gemeinsam? Sie wollen wissen: Wie soll man noch zusammenleben, wenn man den Eindruck hat, dass es nur noch um den Einzelnen geht, und nicht mehr klar ist, was uns eigentlich noch zusammenhält? Liebe Freundinnen und Freunde, auf diese Fragen müssen wir die Antworten geben. Ja, das ist natürlich Sache des Regierungshandelns einer Bundesregierung. Ich bin sehr froh und stolz auf das Team, das heute vorgestellt wurde. Es ist das richtige Team, um die richtigen Antworten auf diese Fragen zu geben.
Die Antworten müssen auch im tagtäglichen parlamentarischen Ringen gegeben werden. Da mache ich mir bei der Verfasstheit unserer Bundestagsfraktion überhaupt keine Sorgen. Ich hatte bei den Verhandlungen das große Glück, viele Kolleginnen und Kollegen kennenlernen zu dürfen, die gemeinsam mit den Ländervertretern verhandelt haben. Ich weiß, dass die Bundestagsfraktion mehr als gut aufgestellt ist. Aber, liebe Freundinnen und Freunde, die Grundlage für alles, was in einer Fraktion, was in einer Regierung entschieden wird, ist die Diskussion mit den Bürgerinnen und Bürgern, ist die Entwicklung einer politischen Idee, einer Vorstellung. Das ist die Aufgabe, die wir als Partei haben. Wenn wir – wie vor Jahren geschehen; das wurde bereits angesprochen – die Wehrpflicht aussetzen, dann ist es Aufgabe der Regierung und des Parlaments, sicherzustellen, dass die Verteidigungsfähigkeit erhalten bleibt und dass Ersatz für den Zivildienst geschaffen wird. Das alles ist erfolgreich passiert. Aber wir als Partei müssen die tiefergehende Antwort auf die Frage geben, wie es um unsere Gesellschaft bestellt ist. Stehen Rechte auf der einen Seite und Pflichten auf der anderen Seite noch in einem richtigen Verhältnis zueinander? Das sind die Fragen, die die Menschen stellen. Darauf müssen wir unsere Antworten geben, liebe Freunde.
Als ich Anfang der 80er-Jahre in die CDU eingetreten bin, habe ich mir – das gestehe ich ganz offen – weniger intellektuelle Gedanken darum gemacht, ob diese Partei konservativ, liberal oder christlich-sozial ist. Es war eine Entscheidung aus dem Herzen und aus dem Bauchgefühl heraus. Ich hatte den Eindruck, dass das christliche Menschenbild, das wir zur Grundlage unseres Handelns machen, genau
richtig ist. Es ist das Bild, das die Menschen, so wie sie sind, am besten beschreibt und am besten annimmt. Es nimmt den Menschen mit all seinen Fähigkeiten zur Selbstverantwortung, mit der Fähigkeit, für sich selbst Verantwortung zu übernehmen, wahr. Aber es nimmt ihn auch dort wahr, wo er schwach ist und wo er unsere Solidarität verdient hat.
Das ist das Entscheidende; das ist die Richtschnur. Daraus leiten wir unsere Werte ab. Das war so, das muss so bleiben, und das darf sich niemals ändern, liebe Freundinnen und Freunde.
Aus diesem Bild haben wir unsere Wurzeln mit entwickelt – das konservative, das liberale, das christlich-soziale. Natürlich kann man das sehr theoretisch diskutieren – philosophisch nach der einen oder anderen Seite unterlegt –, liebe Freundinnen und Freunde, hinter jeder dieser Wurzeln stecken aber ganz spezifische Fragestellungen, ganz spezifische Haltungen und ganz spezifische Erwartungen. Deswegen müssen wir diese Fragen auch konkret stellen und beantworten.
Was sagen wir dem älteren Ehepaar, das in einer Großstadt lebt und zum Beispiel sagt: „Wir trauen uns nicht mehr, in der U-Bahn zu fahren, weil wir uns nicht sicher
sind, ob das gut für uns ist oder nicht“? Welche Antwort geben wir darauf? Was sagen wir der jungen Familie mit Kindern, die zu Recht erwartet, dass sie vom Staat gefördert wird, und zwar egal, wie sie ihr persönliches Zusammenleben organisieren will? Was sagen wir dem Unternehmer, der sagt: „Ich will etwas tun, ich will
Arbeitsplätze schaffen, aber ich habe manchmal den Eindruck, dass bei mir die Einhaltung einer Richtlinie durch mehr Sicherheitsbehörden kontrolliert wird als bei manch anderem Delikt sonst wo“? Was sagen wir dem Arbeitnehmer, der Angst vor der Digitalisierung hat, weil er eben nicht weiß, ob er dann in einem halben Jahr noch einen Arbeitsplatz hat? Was sagen wir dem, der in der Jungen Union und gleichzeitig im NABU-Ortsverband organisiert ist, wenn er uns fragt: „Was tut ihr eigentlich dafür, dass unsere natürlichen Grundlagen erhalten bleiben?“ Was sagen wir unseren engagierten Mitgliedern in den Kirchengemeinden, die sich um Flüchtlinge kümmern?
Das alles sind Fragen, die die Menschen an uns richten, und wir müssen die Antworten darauf geben.
Jetzt frage ich euch: Welchen von diesen Menschen legen wir zur Seite? Bei welchen von diesen Fragen sagen wir: „Das interessiert uns nicht, weil das nicht unseren Wurzeln entspricht“?
Wir sind dann stark, wenn wir alle diese Menschen in die Mitte nehmen und alle unsere Wurzeln bespielen. Diejenigen, die nur versuchen, uns in die eine oder andere Richtung zu drängen, haben alles im Sinn, aber keine starke Volkspartei CDU, und darauf müssen wir vorbereitet sein.
Wir waren 2013 bei über 40 Prozent, und, ja, wir haben in den letzten Jahren Wählerinnen und Wählerinnen verloren: 900 000 an die AfD und 1,4 Millionen an die FDP.
Liebe Freundinnen und Freunde, das wollen und das werden wir nicht akzeptieren. Wir werden um diese Stimmen wieder kämpfen, wir werden das aber nicht mit Schaum vor dem Mund und nicht mit der moralischen Keule tun, sondern mit den richtigen Fragen, die wir stellen.
Ich frage euch: Was, bitte schön, ist bürgerlich, konservativ und angeblich in der jüdisch-christlichen Tradition an einer Partei, die die Menschen nicht mehr als Menschen betrachtet, die die Menschen nicht mehr danach beurteilt, was sie sind, was sie können und wie sich einbringen, sondern die die Menschen von vornherein in Schubladen steckt, je nachdem, was sie glaubt, woher sie kommen? Das hat mit unserer bürgerlich-konservativen Tradition nichts, aber auch gar nichts zu tun, und das müssen wir deutlich sagen.
Was sagen wir den 1,4 Millionen Menschen, die zur FDP gegangen sind, weil sie eine neue bürgerliche Regierung wollten? Die Leistungsträger, die Handwerker, die ein Unternehmen haben, die guten Facharbeiter, die jeden Morgen aufstehen und ihre Kinder zur Schule bringen, sagen: Ja, man muss auch etwas leisten. – Was sagen wir denen denn, und fragen wir sie nicht, was daran neu und bürgerlich ist,
wenn man in dem Moment, in dem man regieren kann, erklärt: „Lieber nicht regieren
als falsch regieren“? Wenn das alle Handwerker in diesem Land machen würden, dann würde ganz Deutschland in Schutt und Asche liegen. Das hat doch nichts mit
„bürgerlich“ zu tun.
Wir wollen und müssen Antworten darauf geben, und zwar nicht nur die Regierung und die Fraktion, sondern auch wir als Partei. Die Basis dafür, dass wir diese Antworten geben können, ist unser Grundsatzprogramm. Deswegen ist es vollkommen richtig – und ich bedanke mich auch dafür –, dass so viele von der Basis
– die Kreisverbände vom Bodensee, die Junge Union und sehr viele andere – erklärt haben: Wir wollen über eine Fortschreibung, ein neues Grundsatzprogramm, diskutieren.
Das letzte Grundsatzprogramm haben wir zu einer Zeit beschlossen, als es noch die Kernenergie gab, und das iPhone kam gerade auf den Markt. Die Dinge haben sich geändert. Wir müssen ein Programm entwickeln, das in die 30er-Jahre hineinträgt. Deswegen wird das der Hauptarbeitsschwerpunkt für die nächsten Jahre sein.
Ich sage ganz klar: Das wird keine Beschäftigungstherapie für diese Partei sein, nach
dem Motto: „Die Partei kann diskutieren, und wir können in Ruhe regieren“, sondern das ist das, was wir als Grundlage für die Partei und für die Regierung der nächsten Jahre schaffen müssen. Das ist unser Anspruch!
Es wird eine klare Arbeitsrichtung geben. Zuerst geht es ums Zuhören, und deswegen werde ich schon in den nächsten Wochen und Monaten mit den
Vereinigungen, aber auch mit euch in den Landesverbänden reden und vor allen Dingen auch zuhören, was die Themen sind, die die Menschen umtreiben, und was die entscheidenden Leitfragen für die nächsten Jahrzehnte sind. Worauf müssen wir unsere Antworten geben?
Danach werden wir dieses Programm und diese Fragen in der Partei, aber eben auch mit anderen außerhalb der Partei offen diskutieren. Wir wollen das im Jahr 2020/2021 entscheiden, und dann wollen wir es im Wahlprogramm und vor allen Dingen nach einer erfolgreichen Wahl auch im Regierungsprogramm der CDU so umsetzen, dass wir sagen können: Wir haben es gewollt, wir haben es reingeschrieben, und wir sind diejenigen, die es umsetzen werden.
Zu diesem Prozess lade ich euch alle ganz, ganz herzlich ein. Heiner Geißler hat gesagt: „Die Zukunft gehört den interessanten Parteien“. – Wir sind eine interessante Partei, und wir wollen noch interessanter werden, und zwar nicht dadurch, dass wir alle drei Tage diskutieren, wer was werden kann, sondern indem die Menschen spüren: Die CDU ist der Ort, an dem um die Zukunft und die besten Lösungen gerungen wird.
Ja, dazu gehören auch die kritischen Stimmen. Mein Gott, ich bin nicht in die Junge Union gegangen, um meinem Landesvorsitzenden zuzujubeln, sondern um ihm Feuer unterm Hintern zu machen. Das ist die Arbeitsbeschreibung der Jungen Union, liebe Freundinnen und Freunde!
Für dieses Ringen wird in den nächsten Monaten ausreichend Raum und Zeit sein, und ich lade euch alle ein, da mitzumachen.
Liebe Freundinnen und Freunde, wir alle haben in den letzten Tagen, sofern das bei den Verhandlungen möglich war, immer zumindest mit einem Auge auch die
Olympischen Spiele verfolgt. Es waren hervorragende Olympische Spiele mit ganz hervorragenden Momenten.
Ich sage euch offen: Mein Lieblingsolympionike mit meinem Lieblingsmoment war die deutsche Eishockeymannschaft.
Sie war es nicht nur, weil sie eine historische Medaille gewonnen hat, sondern auch weil diese Mannschaft etwas gelebt hat, was wir brauchen. Es war klar, diese Mannschaft war nicht eine Ansammlung von einzelnen Stars, vielmehr war der Star die Mannschaft. Darauf kommt es auch uns an. Der Star ist die CDU. Es geht nicht darum, welcher Einzelne in der CDU glänzt, es geht darum, dass unsere Partei glänzt. Dafür müssen wir arbeiten, dafür müsst ihr mittun, und dafür bitte ich euch um euer Vertrauen.