Rechtsruck? Was macht Peter Tauber?

Leinenpflicht, Foto: Stefan Groß

Der frühere Generalsekretär der CDU, Peter Tauber, fühlte sich kürzlich bemüßigt, seine Partei vor einem „Rechtsruck“ und zudem „selbst ernannte Konservative“ davor zu warnen, anderen in der Partei ihre Haltung aufzuzwingen (Wir sind Christdemokraten, in: Die Politische Meinung, Ausgabe 549). Mit diesem merkwürdigen Appell an nicht weiter konkretisierte Adressaten bleibt sich ein Spitzenpolitiker treu, der auch als vordem höchster Parteifunktionär der CDU nicht gerade dadurch hervorstach, Diskursfreudigkeit und Meinungsvielfalt in der CDU zu fördern. Ecken und Kanten minderten nach der weiland vertretenen Auffassung die politische Anschluss- und Mehrheitsfähigkeit. Das lief streckenweise darauf hinaus, mit Vorsatz den politischen Betrieb zu sedieren. Man sollte allerdings denken, das sei nun überwunden.

 

Tauber versucht, die vermeintlichen Rechtsruck-Verfechter sprachlich schneidig in die Schranken zu weisen. Er schreibt von einer Haltung, die sich aus der christdemokratischen Idee entwickelt, von festzuhaltenden Überzeugungen, von Lebensinhalten, für die zu kämpfen sich lohnt, von jenen, die die Fackel übernehmen müssen, „um das Feuer weiterzutragen“. Es gehe um „Schaffen, Gestalten, Einen“. Angesichts dieser Hier-stehe-ich-ich-kann-nicht-anders-Pose ist die Pointe dann doch einigermaßen erstaunlich: „Unsere Partei hat keine Richtung“. Sie sei, ganz unbescheiden, einfach bürgerliche Mitte. Man reibt sich verwundert die Augen und möchte fragen, wenn denn das Wort „Richtung“ so verabscheuenswürdig sein soll, ob die CDU dann seines Erachtens wenigstens so freundlich sein darf, ihren Ort im politischen Koordinatensystem dieser Republik zu bestimmen.

 

Es ist ja nicht so, dass es an konkurrierenden Angeboten mangelte. Da sind die Sozialdemokraten mit ihrer sisyphoshaften Suche nach Gerechtigkeit, die marktgläubigen Liberalen, die zwischen Sozialnationalismus und Entgrenzungsutopien mäandernde Sozialisten und Kommunisten, die grünen Tugend- und Umweltwächter, neuerdings auch wieder Deutschnationale – Taubers Alb, der ihm umso schwerer auf der Brust hockt, als er ihm die Tür mit öffnete. Egal, ob die CDU nun eine Richtung haben soll oder nicht. Auf jeden Fall wird Deutschland sich in diese oder jene Richtung entwickeln, je nachdem wer in welchen Kombinationen regiert. Wenigstens in diesem Sinne werden alle Parteien an „Richtungsdebatten“ teilhaben, ob der frühere Generalsekretär es nun will oder nicht.

 

An einer politischen Verortung versucht sich bei aller Richtungs-Phobie am Ende auch Peter Tauber. Zutreffend umreißt er wesentliche Koordinaten der deutschen Christdemokratie: Das christliche Menschenbild als Ausgangspunkt, Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität als „zentrale Werte“. Menschenwürde, Freiheit, Leistungsgerechtigkeit, Recht, Demokratie, Wohlstand, die Soziale Marktwirtschaft, das geeinte Europa. Grundsätzlich zuzustimmen ist Tauber auch, dass die Politik einer Partei sich im Gang der Geschichte mit den Herausforderungen verändern muss. Eher passiv erduldend sieht er die CDU dabei als „Teil des gesellschaftlichen Wandels“. Die Überlegungen münden gar in eine kleine Vision: Ein wirtschaftlich starkes Land, in dem jeder unbeschadet seiner Herkunft sein Glück suchen kann.

 

Das alles ist nicht falsch – und im Übrigen auch eine Richtungsvorgabe. Die Frage ist eher, ob es ausreicht. Es ist bei aller knarzenden Haltungs- und Kampfrhetorik eine doch eher blasse Skizze, die im politischen Alltag wenig stört. Verbindlichkeit oder gar Leidenschaft und Faszination mag sie kaum erzeugen. Wo es konkret wird, da liest man dann, noch ganz im Modus des Parteigenerals, über die Einbeziehung der jungen Generation, mehr Frauen, mehr „Deutsche mit Einwanderungsgeschichte“, damit man Volkspartei bleiben könne. Alles gut und schön, doch das ist keine Antwort auf die Herausforderungen der Gegenwart und Zukunft. Auch wenn Tauber beansprucht, sich nach der Bundestagswahl viele Gedanken darüber gemacht zu haben, „wofür wir Christdemokraten kämpfen müssen“, ist im Prinzip außer einem Neuaufguss von #fedidwgugl – für ein Deutschland, in den wir gut und gerne leben –eigentlich nichts herausgekommen.

 

Statt den x-ten Versuch zu starten, die CDU auf sein Modernisierungs- und Veränderungsmantra einzuschwören, könnte Peter Tauber darüber nachdenken, ob nicht auch seine Partei über so etwas wie Schwarmintelligenz verfügt, ob die Kontroverse nicht der beste Weg ist, Erkenntnis zu fördern und einen intellektuellen und politischen Mehrwert zu erzeugen. Statt Mitglieder, die sich als konservativ verstehen, zu unterstellen, einen Rechtsruck zu planen, könnte man auch ihre Debattenbeiträge als Chance begreifen: die eigenen Argumente zu schärfen und zu überprüfen, vielleicht Übersehenes in den Blick zu nehmen, die CDU als weniger amorphe Partei zu platzieren.

 

Unter dem christdemokratischen Wertehimmel hat meist große Vielfalt geherrscht. Taubers Hinweis auf die „Union“ zeigt es – oder könnte es zeigen. Denn leider verkürzt er den Begriff aufs Brückenbauen. Dabei wird, um im Bild zu bleiben, ausgeblendet, dass Brücken auf soliden Pfeilern ruhen müssen. Ein wesentlicher Moment der Parteigeschichte war in diesem Sinne etwa die Gründung des Evangelischen Arbeitskreises (EAK) 1952. Wenn man so will, wurde damit eigens ein Pfeiler eingezogen, um einer protestantisch begründeten Sicht auf manche Fragen ein organisatorisches Fundament zu geben und den Absatzbewegungen protestantischer Mitglieder zu anderen Parteien etwas entgegenzusetzen.

 

Union, das ist nicht einfach Einheit, es ist Einheit in Vielfalt. Gewöhnlich wird sie etwas holzschnittartig mit christlich-sozial, liberal und konservativ beschrieben. Der bleibende Sinn gewollter Vielfalt liegt darin, das so dringend notwendige Gespräch über die großen Herausforderungen der Zeit zu fördern, und zwar innerparteilich wie in die Gesellschaft hinein. Denn abstrakte Formeln erklären wenig. Das fängt bei den von Tauber selbst angerissenen Themen an. Über Deutschlands Rolle in Europa, den Grad der Integration oder die Formen innereuropäischer Solidarität kann man höchst unterschiedlicher Meinung sein. Ob sich Frauen- oder sonstige Quoten mit dem Geist der Sozialen Marktwirtschaft vertragen, kann mit guten Argumenten bestritten werden. Die damit verknüpften Fragen der Familienpolitik blendet der vormalige Generalsekretär völlig aus.

 

Die von Tauber angedeutete „neue Idee von und für Deutschland“ kommt ohne eine substantielle Überlegung aus, ob und wie die Integration einer kulturell immer vielfältigeren Gesellschaft befördert werden kann. Kein Wort zu einem Patriotismus, der Menschen aus starken Herkunftskulturen zur Identifikation mit ihrer Wahlheimat einlädt. Von einer Volkspartei kann und muss man mehr erwarten als die „Chance zum Aufstieg und Wohlstand für alle“. Landauf, landab fragen Bürger nach der Leistungs- und Funktionsfähigkeit des Staates und der Identität des Landes. Darauf muss auch die CDU eine Antwort geben. Es gibt keine Zukunft ohne Herkunft. Kein Gemeinwesen hat die Freiheit, sich jederzeit neu zu erfinden. Der promovierte Historiker Tauber wird es selbst wissen.

 

Wer von sich behauptet, auf diese und viele weitere Fragen fertige Antworten zu haben, kann getrost ein politischer Hochstapler gescholten werden. Umso dankbarer sollte eine Partei sein, wenn Mitglieder ihre unterschiedlichen Perspektiven formulieren, im besten Fall auch noch gut begründet, als ernstzunehmende gedankliche Beiträge. Wer diese Vielfalt nicht will, läuft ein hohes Risiko, dass Personen und Themen abwandern. Und er mindert die Möglichkeiten, in die politische Öffentlichkeit, zu den Bürgern wirklich Brücken zu bauen und zur Mitte hin zu integrieren, wie die Volkspartei CDU ihren Anspruch oft genug formuliert hat. Denn durch innerparteiliche Vielfalt bleibt die CDU besser anschlussfähig oder wird es wieder.

 

Damit wüchse schließlich auch die Chance der Partei, sich nicht nur als „Teil des gesellschaftlichen Wandels“ zu verstehen, sondern ihn womöglich mit zu beeinflussen. Dieser Wandel ist schließlich kein Naturereignis. Er wird von vielem beeinflusst, von technischen Entwicklungen etwa, doch ganz sicher bewirken ihn auch Menschen mit ihren Ideen. Mit Blick auf das Symboljahr 1968 werden die Folgen ja gerade heftig gefeiert oder beklagt. Von links wie rechts wird beherzt und mit harten Bandagen um die Deutungshoheit gekämpft. Der von Tauber herausgestellte Pragmatismus reicht in diesen geistigen Kämpfen auch dann nicht, wenn er in festen Überzeugungen wurzelt. Keine Politik kommt dauerhaft ohne Begründungen, Symbole und Erzählungen aus.

 

Auch deshalb braucht die CDU eine lebendige, eine fordernde Streitkultur. Die von Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer angestoßene Programmdebatte bietet dafür einen Rahmen. Entscheidend ist, dass dieser Prozess offen verläuft und auf den Tisch kommt, was die Mitglieder und Bürger bewegt. Konservative sind keine Reaktionäre und werden deshalb auch das Rad der Geschichte nicht zurückdrehen wollen. Die Behauptung, mit ihren Wortmeldungen sei gar die Erwartung verbunden, andere mögen ihre Überzeugung preisgeben, stellt die Dinge auf den Kopf. Am Ende wird es Peter Tauber mit diesem taktischen Scheingefecht schlicht darum gehen, sein programmatisches Erbe der Diskussion zu entziehen. Daraus dürfte nichts werden.

 

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Karl-Eckhard Hahn, Dr. phil., Jahrgang 1960, verheiratet, vier Kinder. Historiker und Publizist; Leitender Ministerialrat a.D. Mitgliedschaften (Auswahl): Landesvorstand des Evangelischen Arbeitskreises der CDU Thüringen, Vorstand der Deutschen Gildenschaft, Historische Kommission für Thüringen, Ortsteilrat Stotternheim, Gemeindekirchenrat der Evangelischen Kirchengemeinde St. Peter & Paul in Stotternheim. Veröffentlichungen zu politischen Grundsatzfragen, Themen der Landespolitik und Landesgeschichte Thüringens und zur Stotternheimer Lokalgeschichte. X: @KE_Hahn.