Rechtsbeschneidungen

Was hat das Kölner Landgericht mit der Olympiade zu tun? Beide Sphären, die rechtsstaatliche Ordnung wie der sportliche Wettbewerb dienen, trotz gegenteiliger Beteuerungen, nicht unbedingt der Völkerverständigung und dem Religionsfrieden. Sie sollen aber bitte nicht die auf engem Raum leicht entflammbaren Konflikte zwischen Kulturen, Religionen und Nationalitäten auch noch anheizen. Beim Sport gibt es festgefügte Regeln, die Geltung beanspruchen dürfen. Daran haben sich alle Spieler gefälligst zu halten, die schwachen wie die starken. Und über die Einhaltung der Regeln eines Spiels, das ernsten, manchmal fanatischen Charakter annimmt, wachen unparteiische Schiedsrichter.
Ohne Sanktionen geht es dabei nicht, denn Strafe muß sein, schon zur abschreckenden Warnung vor künftigen Regelverstößen. Die rechtspolitische Pointe liegt aber darin, daß die das Spiel beherrschenden Regeln nicht während seines Verlaufs einfach verändert oder beschnitten werden dürfen. Das wäre ein Vertrauensbruch, ein Attentat auf die Rechtssicherheit. Und liefe schließlich auf die Selbstermächtigung von Richtern hinaus, die sich als Gesetzgeber gebärden. Eine kreative Anmaßung dieser Art von richterlicher Selbstjustiz, verbunden mit unabsehbaren Folgen, die ein solcher Rechtsvertrauensbruch nach sich ziehen kann, hat sich kürzlich ausgerechnet in Köln ereignet, wo es normalerweise ziemlich human, also lässig und langsam zugeht. Dort hat sich – wir betreten etwas betreten die ehrwürdige Aura des Rechtsstaats – das hohe Landgericht einfallen lassen, die Beschneidung von ganz jungen Jungen als Körperverletzung zu bewerten: Eine Interpretationsentscheidung, die vor allem Juden und Muslime in diesem „unseren“ Lande betrifft, die dann auch in seltener Eintracht dagegen heftig protestiert haben. Verständlicher Weise. Denn vor allem können es deutsche Juden, die überlebt haben, und die mit ihnen befreundeten Christen, die aus der Geschichte gelernt haben, kaum glauben, daß es sich bei diesem Kölner Ereignis nicht um einen rheinischen Karnevalsscherz, sondern um eine bitterernste Strafandrohung handelt.
Spaß beiseite: Kann ein törichter Richter glauben, eine viertausendjährige Tradition religiöser Beschneidung, die zur Identität des Judentums gehört wie die Kindertaufe zum Christentum, mit einem Federstrich eliminieren zu können? Das wäre eine geschichtstheologische und zugleich rechtspolitische Hybris, der nicht einmal der alt eingesessene „christliche“ Antijudaismus verfallen war. Und was den braunen Rassenantisemitismus betrifft, der wollte nicht die Beschneidung der Juden, sondern diese selbst abschaffen.
Ähnliche Absichten lassen sich dem Kölner Amtsgericht natürlich nicht unterstellen. Aber wie gering muß die kulturelle Sensibilität dieses Gerichts und wie hoch seine religiöse Ignoranz ausgebildet sein, wenn es ein Urteil fällt, das in seinen Folgen wie ein neues Pogrom wirkt? Die Beschneidung mit Strafe zu bedrohen, stellt einen juristischen deutschen Sonderweg dar, den deutsche Juden fluchtartig zu verlassen geneigt sind. Hier blamiert ein Landgericht ein ganzes Land vor der Welt. Aber in diesem Fall geht es nicht bloß um einen peinlichen Fauxpas, den man leicht aus der Welt schaffen könnte.
Zunächst sollte uns (als Christen oder Atheisten) die religiös, kulturell, national oder sonstwie begründete Beschneidung nichts angehen, solange damit keine schwere, medizinisch konstatierbare Schädigung der Betroffenen verbunden ist. Natürlich stellt jeder chirurgische Eingriff eine Körperverletzung dar, die legitimiert werden muß. Im Unterschied zur straffreien, aber rechtswidrigen Abtreibung ungeborener, aber lebensfähiger Kinder, die auf dem Altar des emanzipatorischen Fortschritts geopfert werden und im Müll verschwinden, geht es bei einer medizinisch korrekten Beschneidung nicht um einen menschenfeindlichen Akt brutaler Gewalt. Sondern um einen für Juden essentiell-rituellen Akt der Aufnahme in die Glaubensgemeinschaft. Andere Kulturen mögen darin bloß eine hygienische Maßnahme erblicken. Irreversibel ist dieser Akt keineswegs. Eine Vorhaut läßt sich heute ebenso leicht nachträglich implantieren wie man ein Glaubensbekenntnis wechseln kann.
Mit ihrer Entscheidung haben die Kölner Landrichter das Grundgesetz auf den Kopf gestellt. Sie wollten die körperliche Unversehrtheit (Art. 2) dort retten, wo sie nicht gefährdet ist, und haben dabei gegen die Religionsfreiheit (Art. 4) und das Elternrecht (Art. 6) verstoßen. Die Kölner Urteilsbegründung liefert dabei selber den entscheidenden Grund. Die Entfernung der Vorhaut ist nur ein Vorwand. Nicht die Beschneidung als solche, sondern die Tatsache, daß sie an Säuglingen vorgenommen wird, gilt als strafwürdiger Tatbestand. Konstruiert wird ein Selbstbestimmungsrecht von Kindern, die bisher, seit Bestehen der Menschheit, nie gefragt worden sind, welche Eltern sie denn gerne hätten, in welcher Muttersprache, Kultur, Religion etc. sie am liebsten aufwachsen würden. Diesem Skandal kindlicher Unmündigkeit will nun ein Landgericht endlich ein Ende bereiten. Im Namen eines allmächtigen Vater-Staats, der als Vormund die Eltern entmündigt und zugleich die Religion unter Kuratel stellt.
Eine Kindertaufe böte nach Kölner Rechtslogik den Christen das zweifelhafte Privileg, unerkannt zu bleiben, während die jüdische Beschneidung ein Corpus delicti liefert, das vor Gericht von hoher Beweiskraft ist. Allerdings hat sich die familiäre Erziehung inzwischen immer mehr auf staatliche Anstalten und mediale Einflüsse verlagert, deren Legitimität kaum mehr kritisch „hinterfragt“ wird. Auch kirchliche Einrichtungen spielen dieses Spiel mit, je stärker sie finanziell vom Staat abhängig werden. Wen wundert es da noch, wenn Polygamie, Inzest und „Homo-Ehe“ in den öffentlichen Raum vordringen und christliche Lebensformen verdrängen? Wenn diese nicht einmal innerkirchlich praktiziert werden, bröckelt auch das kirchliche Selbstbestimmungsrecht weiter ab.
Nichts weniger als die Religionsfreiheit und das Elternrecht stehen auf dem Spiel. Aber nicht das Kölner Landgericht stellt die Spielregeln auf. Es steht nicht über dem Grundgesetz und sollte von Karlsruhe zurückgepfiffen werden.
www.die-neue-ordnung.de

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Über Wolfgang Ockenfels 43 Artikel
Prof. Dr. Dr. Wolfgang Ockenfels, geboren 1947, studierte Philosophie und Theologie in Bonn und Walberberg. 1985 erhielt er eine Professur für Christliche Sozialwissenschaften mit den Lehrgebieten Politische Ethik und Theologie, Katholische Soziallehre und Sozialethik, Wirtschaftsethik sowie Familie, Medien und Gesellschaft an der Theologischen Fakultät Trier. Ockenfels ist zudem Geistlicher Berater des Bundes Katholischer Unternehmer BKU und Chefredakteur der Zeitschrift "Die Neue Ordnung" in Bonn. Er gehört zum Konvent Heilig Kreuz der Dominikaner in Köln.

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