Rachel Hanan: „Ich habe Wut und Hass besiegt. Was mich Auschwitz über den Wert der Liebe gelehrt hat, Heyne, München 2023, 978-3-453-21841-3, 20 EURO (D)
Dies ist die bewegende Autobiographie einer der letzten Überlebenden der Shoa. Die heute 93-Jährige Rachel Hanan hat sie zusammen mit dem Journalisten Thilo Komma-Pöllath verfasst.
Die Biografie ist in zwei Teile gegliedert, die in auch gewisser Weise zwei Leben beinhalten. Im ersten Teil wird ihre glückliche Kindheit und Jugend in Rumänien geschildert. Der Bruch kam dann, als sie wegen ihrer jüdischen Herkunft aufgegriffen und in Konzentrationslager verschleppt wird. An ihrem 15. Geburtstag kam sie in Auschwitz zusammen mit ihren drei Schwestern an. Dort begann die Hölle auf Erden, danach kam sie in kurzen Abständen nach Bergen-Belsen, Duderstadt und Theresienstadt. Sie überlebte nur durch Glück das Bombardement ihres Gefangenentransports und den Todesmarsch, aber auch durch ihren starken Überlebenswillen. Bei ihrer Befreiung war sie 16, aber ein ganz anderer Mensch als vorher.
Der zweite Teil der Autobiografie umfasst den Zeitraum nach ihrer Befreiung. Die ersten Jahre waren von Leid, Albträumen und schlimmen Kopfkino geprägt. Sie fasste den Entschluss zu einem Neuanfang und emigrierte 1947 nach Israel. Sie versuchte zu vergessen und baute sich ein neues Leben auf. Sie erzählt viel über den jüdischen Glauben und das Leben in Israel. Die Verarbeitung der Grausamkeiten und Unmenschlichkeit in den Lagern lässt sie dennoch nicht los, sie engagiert sich in Israel in hohem Maße für das Erinnern an die Opfer. Sie arbeitet als Sozialarbeiterin und setzt sich stark mit ihrer Familiengeschichte, ihren wechselnden Gefühlen und Fragen rund um die dunkle Zeit in den Lagern und die Folgen auseinander. Dennoch versucht sie, nach vorne zu blicken und nicht immer zurück. Dabei gelangt sie zu der
Erkenntnis, dass Liebe einen Menschen am Leben erhalten kann.
Nach der Biografie gibt es noch einen eigenen Teil von Thilo Komma-Pöllath, wo er von seinen Eindrücken der heutigen Gedenkstätte im polnischen Oświęcim berichtet und somit eine andere Perspektive einbringt.
Dies ist ein wichtiger und ergreifender Bericht einer der letzten Zeitzeug*innen der Überlebenden der Shoa.
Manches an den Schilderungen ist schwierig zu ertragen: Ihr wird eine Nummer zugeteilt und eingebrannt, genauso werden die Häftlinge auch behandelt: nicht als Menschen, sondern als Objekte ohne Seele.
Es ist keine Perspektive, die Spätfolgen, Trauma und transgenerationalen Wirkungen des zentralen Geschehens des Nationalsozialismus, der systematischen Verfolgung und industriell betriebenen Vernichtung der Juden in Europa berichtet, sondern eher der Umgang und die (hoffentlich) bewältigte Trauer und psychischer Gesundung mit einem Blick nach Vorne.
Während Holocaust-Berichte meist von Männern verfasst worden sind, bietet dieses Buch eine detaillierte Perspektive, wie es für eine junge Frau war, die Gräueltaten zu überleben.