Der Fall Althaus bewegt in Thüringen die Menschen wie kaum ein anderes politisches Thema. Viele werden Althaus nicht wählen – vor allem jene, die der CDU ohnehin nicht die Stimme gaben. Sie haben skeptische Medien und kühle Argumente auf ihrer Seite.
Aber sie kommen meist aus dem Westen wie der profilierteste politische Gegner von Althaus, der analytische Kopf und Chef der Linkspartei Bodo Ramelow. Er sitzt in der emotionalen Althaus-Falle, weil er seinen Gegner entweder zu zahm oder zu angriffslustig attackieren muss. Wenn Althaus durchhält, hat er die Wahl gewonnen und wird Nichtwähler vor allem aus dem ländlichen und kleinstädtischen Raum mobilisieren. (Und aus dem besteht ganz Thüringen – Erfurt, Gera und Jena ausgenommen.)
Dabei spielt die DDR-Herkunft und sein ostdeutsch grundiertes Gegenwartsverhalten auf thüringer Art eine Rolle. Dort denkt man zum Vergleich an die DDR, die in ihren letzten Jahrzehnten von sportunfähigen Politikern geführt wurde. Hätte es damals einen Funktionär nach abfahrtsfähigen Pisten im Ostblock gelüstet, wären sie menschenfrei gemacht worden. Wäre er dennoch fahrlässig mit jemand zusammengeprallt, kein Gericht hätte eine Schuldfrage entscheiden müssen.
Dieses Zurückdenken zeigt einen Gerechtigkeitsvorsprung für die heutige Gesellschaft. Indem Althaus jede Schuld akzeptierte und juristisch auf sich nahm, blieb fast keine zurück. Ist es eine ostdeutsche Komponente, mehr Verständnis für eine zweite oder dritte Chance aufzubringen? Viele brauchten sie in den letzten zwanzig Jahren, andere hätten sie gern gehabt.
Althaus verkörperte bisher den Typ des hyper-aktiven, allseits belastbaren, sportlichen und omnipotenten Politikers, etwas blässlich zwar, aber 110 Prozent leistungsfähig. So wie sich die Leistungselite im Westen gern als Vorbild gibt. Die persönliche Lebenskrise von Althaus rückt ihn den Menschen näher – Adjektive wie tapfer, hartnäckig, nachdenklich, demütig beschreiben ihn plötzlich.
Dass er nie mehr ganz der Alte sein wird, sondern als ein anderer in die Politik zurückkehrt, zeigt eine Wandlungsmöglichkeit in der Kontinuität: Weg vom nachgeahmten West-Politiker-Muster. Und Althaus führt zusammen mit seiner Frau glaubhaft vor, wie ihm sein Christsein zusätzlichen Halt gibt. Das hat etwas Berührendes und Verstörendes in einer Gegend, in der Christen im allgemeinen und katholische im besonderen die Minderheit sind.
Natürlich spielte es bisher schon in der Thüringer Politik eine Rolle, dass Althaus vorwiegend seine alten Vertrauten aus der katholischen Studentengemeinde mit politischer Verantwortung versah. Aus der stillen Provokation in säkularisierter Gegend wird plötzlich eine offene Denkanregung. Sie macht einem bewusst, dass Althaus doch auf ungewöhnliche Art die Normalität eines gut integrierten DDR-Bürgers und ein Außenseiterdasein im verflossenen Staat verkörpert: als personifiziertes Versöhnungsangebot sozusagen. Und so wenig die Thüringer nun alle in die Kirchen strömen werden, so darf doch an das Extra-Vertrauen erinnert werden, das gerade die ostdeutschen Kirchen bei ihrer Rolle am Ende der DDR genossen oder das sie bei der Bewältigung sozialer Fragen heute noch haben.
Und es scheinen die Frauen zu sein, die hinter ihm stehen, die wie seine temporäre Amts-Nachfolgerin und die ehemalige Bundespräsidentenkandidatin Schipanski und seine mögliche Nachfolgerin Christine Lieberknecht. Sie alle sehen nicht nur ähnlich aus und sprechen ähnlich freundlich und erwartungsvoll von ihm – sie hielten ihm den Rücken von allen parteiinternen Machtkämpfen frei. Man darf an den Typus der erfolgreichen berufstätigen Frau aus der DDR – hier mit eigensinnig christlichem Hintergrund – denken, der nun das Comeback von Althaus bewerkstelligen wird, allen voran seine eigene Frau.
Und so wird sich doch einiges in Thüringen verändern, auch wenn es beim Alten bleibt.
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