Österreich wird noch einmal eine Großmacht. Mit Kanzler Kurz soll die Phantasie in Erfüllung gehen. Diese Sehnsucht der Nation ist das Geheimnis seines Erfolges.
Der Zerfall der glorreichen
Donaumonarchie ist das nationale Trauma der Österreicher. Gerade noch als
Kaiserreich eine gespürte Weltmacht, blieb nach dem Ersten Weltkrieg nur noch
ein kleiner Flecken, den man auf der Weltkarte mühsam suchen muss. Letztlich
nicht bedeutender als Moldawien oder Montenegro, so das Gefühl für die
österreichische Seele.
Auch in Alltagsgesprächen wurde diese Minderwertigkeit des Landes früher oft
betrübt artikuliert. Der Beitritt in die Europäische Union konnte einen solchen
Schmerz nicht nachhaltig lindern. Im Gegenteil, es blieb der Eindruck
vorherrschend, dass das Land von der EU aufgesaugt wird und somit endgültig in
die Bedeutungslosigkeit fällt.
Die Öffnung Südosteuropas nach dem Rückzug der Sowjetunion gab dann kühnen
Phantasien neuen Raum. Die Region sollte mit wirtschaftlichen Erfolgen
erschlossen werden. Damit schien es erreichbar, dass Österreich in der
kommenden Epoche wieder einen größeren Stellenwert in der Welt erhält. Am
meisten dürfte Sebastian Kurz diesen pulsierenden Phantasien der Österreicher
die ersehnte Nahrung bieten.
Vormarsch zur Weltmacht
Dafür sollen drei Beispiele genannt werden.
Im Februar 2017 kam Außenminister
Kurz zum mazedonischen Grenzübergang Gevgelija. Er schaffte es, dass
österreichische Polizei-Einheiten bis an die griechische Grenze vordringen
konnten. Als Vorwand für den Einmarsch der Polizeitruppe wurde ein Katastrophenszenario
mit Flüchtlingskrise inszeniert.
Die Fotos von Kurz mit den
österreichischen Polizisten an den Toren Griechenlands lösten frenetischen
Jubel in der aufstrebenden Großmacht Österreich aus. Ein solchen Gewinn an Territorium hatte schon
längere Zeit kein Herrscher im Land mehr erzielt. Eine solche Stimmung konnte zuletzt wohl an
der Sirk-Ecke in der Wiener Innenstadt erlebt werden, beim Ausbruch des Ersten
Weltkrieges, die Karl Kraus in seinem Drama „Die letzten Tage der Menschheit“
beschrieb.
Dann löste zu Beginn der Kanzlerschaft von Kurz seine Deutschlandreise im
Januar 2018 eine revanchistische Hysterie aus. So wie einst Hitler am Heldenplatz in Wien
triumphierend einmarschierte, so sollte Kurz einen gloriosen Anschluss in
Berlin feiern. Die Kronen-Zeitung, das nationale Blatt der Österreicher,
schrieb am 17. Januar in großen Lettern auf die Titelseite: „Kurz-Festspiele
in Deutschland: Berlin liegt unserem Kanzler zu Füßen“. Zwei Tage
später folgte: „Wie es Kurz den Deutschen zeigte“.
Die nächste Phase der nationalen Selbstübersteigerung wurde durch die
österreichische Ratspräsidentschaft ausgelöst, die im Juli 2018 für sechs
Monate übernommen wurde. Die Gruppe um Sebastian Kurz hoffte, dass damit
mehr Einfluss in der Europäischen Union erreicht wird. Da tauchte auch die
Phantasie auf, dass Kurz „alles alleine beschließen“
könne. In einer Presseaussendung der ÖVP wurde diese Erwartung, „das sei klar“,
nur mühsam relativiert:
„Klar sei auch, dass Österreich
durch die Ratspräsidentschaft etwas mehr Einfluss zukommen würde als bisher.
Trotzdem könne man nicht alles alleine beschließen und müsse den Konsens aller
28 Mitgliedsstaaten suchen“.
(Presseaussendung der ÖVP, 6. Juni 2018:
www.oevp.at/Bundesregierung-in-Bruessel)
Einst eine Kulturnation
Das Versprechen neuer Größe, das ist die Grundlage der Wahlerfolge des
Sebastian Kurz. Doch trotz aller gegenteiligen Behauptungen ist Kurz damit
keine Wahl für die Zukunft, sondern ein Kanzler der Vergangenheit.
Österreich hätte auch mit
einer verantwortungsbewussten Politik für die internationale Gemeinschaft eine
größere Bedeutung in der Welt erlangen können. In den siebziger Jahren war
dafür das Fundament bereits gelegt. Wichtige internationale Organisationen
wählten ihren Standort im neutralen Österreich, direkt an der Grenze zwischen
Osteuropa und Westeuropa, insbesondere die UNO, die bedeutende Institutionen in
Österreich ansiedelte. Diese Strukturen
nutzt jetzt die Gruppe um Kurz für ihre eigenen Ziele.
Vor zehn Jahren wollte Österreich noch mit der Betonung kultureller Leistungen,
die Bedeutung des Landes beweisen. Neujahrskonzert, Wiener Philharmoniker,
Wiener Sängerknaben, Staatsoper und Burgtheater, bedeutende Sammlungen in den
Museen.
Doch Kultur in Österreich wurde museal an vergangenen Blütezeiten ausgerichtet.
Zeitgenössische Kunst hingegen wird mit Skepsis betrachtet. Brauchtum mit
Schuhplattler und Marschmusik statt Bernhard und Hrdlicka. Im Unterschied zu
den Künstlern früherer Zeiten wurde für Thomas Bernhard kein Denkmal errichtet im
Wiener Volksgarten, zwischen dem Monument für Grillparzer und dem Burgtheater.
Das Mahnmal von Alfred
Hrdlicka, im Zentrum der Innenstadt, gegenüber der Albertina, würde man gerne
entfernen.
Einfluss in Europa
Noch scheint für Kurz und das Land Österreich alles möglich. Es keimt
Hoffnung im Land, wie sie zuletzt im Skisport erlebt wurde, dem Volkssport der
Österreicher, wo nach einer längeren Strecke des Versagens, schließlich mit
Hermann Maier, den sie den „Herminator“ nannten, nochmals siegreiche Rennen
erreichbar schienen. Zu Beginn der Karriere der Herminators sagten sie: Er
könne noch alles erreichen, Weltcup, Weltmeisterschaft, sogar Goldmedaillen bei
den Olympischen Spielen.
Nach den triumphalen Jahren im Skisport, bei einem unvergessenen Rennen waren
neun Österreicher unter den schnellsten zehn Läufern platziert, soll jetzt
Größe in der Weltpolitik errungen werden. Kurz soll noch mehr Einfluss in der
Europäischen Union erhalten. Darauf scheinen die Strategien, bereits deutlich
ausgerichtet zu sein. Kurz ist noch ein junger Politiker, der nach zehn Jahren
Kanzlerschaft wichtige Funktionen auf europäischer Ebene erhalten soll. Für
viele Jahre könnte Kurz als Kommissionspräsident zur Verfügung stehen.
Das wäre der erhoffte nächste Karriereschritt. Ansonsten gäbe es noch die
Möglichkeit, die EU zu spalten und eine totalitär ausgerichtete Mitteleuropa-Union
der Visegrád-Staaten
mit Hauptsitz in Wien zu etablieren.
Skandale drohen
Doch dem Land Österreich und Kanzler Kurz drohen Skandale, die diese
Wunschphantasien rasch nihilieren können. Zahlreiche Korruptionsfälle brodeln
seit Jahren, verbunden mit Privatisierungen von Staatseigentum und
Auftragsvergaben. Es geht um Beträge in Milliardenhöhe. Dazu schwere
Verletzungen der Grundrechte, insbesondere des Eigentumsrechts, mit eklatanten
Vorfällen. Willkür und Amtsmissbrauch in der Justiz tritt gemeinsam auf mit dem
Aufbau eines Polizeistaates, der mit ungeheuerlichen Übergriffen bereits
auffiel.
Die Gruppe um Kanzler Kurz will noch mehr. Die Regierung Kurz beschloss den
Zwölf-Stunden-Arbeitstag und die 60-Stunden-Woche. Das Gesetz wurde am 1. September 2018 gültig.
Das ist eine Absicht, die noch für Aufruhr im Land sorgen sollte, wenn eine
größere Gruppe von Arbeitnehmern mit diesen Bedingungen konfrontiert wird. Eine
starke Aufrüstung der Polizeieinheiten ist bei solchen Konzepten fraglos
erforderlich gewesen.
Schließlich die Affäre mit dem Nordvietnamesen Ho, der als enger Freund von
Sebastian Kurz bezeichnet wurde. Kurz frequentierte den Club von Ho, in dem
Drogen konsumiert werden. Auch öffentliche Aufträge sollen dort, laut Berichten,
in einem Freundeskreis verteilt worden sein.
Es bliebe noch eine Forderung mit der Kurz und seine
Gruppe für weitere Aufregung sorgen könnten: Die Atombombe für Österreich. Als Symbol
der neuen Größe des Landes.
Wahlergebnis
Das österreichische Bundesministerium für Inneres gab als vorläufiges
Endergebnis der Nationalratswahl vom 29. September 2019 bekannt:
ÖVP (Liste Kurz) 37,5 % + 6,1 %
SPÖ 21,2 % –
5,6 %
FPÖ 16,2 % –
9,8 %
GRÜNE 13,8 % + 10,0 % (Rückkehr ins Parlament)
NEOS 8,1 % + 2,8 %
JETZT (Liste Pilz) 1,9 % – 2,6 % (nicht
mehr im Parlament)
Quelle: Bundesministerium für Inneres,
wwwwahl19.bmi.gv.at
Stand vom 1. Oktober 2019
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