Die Legitimität Theologischer Fakultäten an staatlichen Universitäten wird immer wieder einmal mit dem Argument in Frage gestellt, ob es sich bei der Theologie überhaupt um eine Wissenschaft handle. Die österreichische Tageszeitung Der Standard belebte diese Debatte im Sommer des vergangenen Jahres mit einem Beitrag. In der Ausgabe vom 14. Juni 2012 wurde beklagt, dass „theologische Fakultäten zwar von der Uni bezahlt würden, den Lehrplan allerdings von der Kirche erhielten“ (Laizisten gegen „steuerliche Diskriminierung Konfessionsloser, in: Der Standard, 14. Juni 2012). Solche Argumente sind nicht neu, sie machen seit gut einhundert Jahren die Runde. Allerdings werden sie durch ihre gebetsmühlenartige Wiederholung weder wahrer noch fundierter. Ja, man muss leider sagen, dass sie eine geradezu peinliche Unwissenheit ihrer Verfechter verraten. Solche Argumente differenzieren nicht nur nicht zwischen den Theologischen Fakultäten der unterschiedlichen christlichen Konfessionen, sondern sie bestechen durch ihre hochgradige Unkenntnis der theologischen Debatten in der protestantischen Theologie seit der Europäischen Aufklärung sowie der protestantischen Wissenschaftskultur.
Protestantische Theologen haben seit dem Ende des 18. Jahrhunderts strikt zwischen Theologie als Wissenschaft und der gelebten Religion unterschieden. Dabei haben sie nicht nur die Theologie zu einer hoch spezialisierten Fachwissenschaft ausgebildet, die historisch-kritische Methode auf die in der Bibel vorliegenden religionsgeschichtlichen Urkunden angewandt, sondern in diversen Diskursen die Standpunktgebundenheit ihrer eigenen Wissenschaft auf einem hohen Niveau reflektiert. Jede Deutung und Interpretation der Geschichte und ihres Verlaufs und jede Untersuchung einer bestimmten Kultur oder Gesellschaft ist an einen bestimmten Standpunkt und ihn leitende normative Überzeugungen gebunden. Der Standortgebundenheit entgeht keine Kulturwissenschaft, auch nicht die Theologie. Die Standortrelativität ihrer eigenen theologischen Entwürfe nicht nur thematisiert, sondern auch einer kritischen Reflexion unterzogen zu haben, zeichnet die protestantische Theologie seit der Aufklärung aus. Es ist folglich kein Wunder, dass die protestantische Theologie im 19. und im 20. Jahrhundert zu einer der führenden Wissenschaftskulturen avancierte. Dass in totalitären Staaten, welche den Atheismus gar in seiner wissenschaftlichen Form zur gesamtgesellschaftlichen Ideologie erhoben, protestantische Theologische Fakultäten der einzige Ort freier Wissenschaft und Forschung mit einem hohen Allgemeinbildungsfaktor waren, braucht nicht weiter ausgeführt werden.
Der an den Universitäten betriebenen akademischen Theologie des Protestantismus einen dunklen Glaubenspositivismus oder eine Instrumentalisierung durch die Kirchen zu unterstellen, verrät mehr über den Dogmatismus der Kritiker als über die theologische Wissenschaftskultur. Gewiss, an den protestantischen Theologischen Fakultäten werden zukünftige Pfarrerinnen und Pfarrer, Religionslehrerinnen und Religionslehrer ausgebildet. Aber das bedeutet weder, dass die Curricula einer protestantischen Theologischen Fakultät von der Kirche diktiert noch dass in einem Theologiestudium dogmatische Basics eingetrichtert werden. Vielmehr zielt das Studium der protestantischen Theologie auf eine kritische Urteilsbildung in religiösen Angelegenheiten. Ohne eigene religiöse Reflexionskompetenz, wie sie durch ein Theologiestudium erworben wird, vermögen sich hauptberuflich mit Religion Befasste nicht in ein kritisches Verhältnis zu ihrer eigenen Religion und religiösen Tradition zu stellen. Ein Umgang mit religiöser Alterität, wie er für moderne Gesellschaften konstitutiv ist, stände dann aber auch unter erheblich schwierigeren Bedingungen. An hermeneutisch, historisch, theologisch und religionsgeschichtlich gebildeten und in diesem Sinne aufgeklärten religiösen Spezialisten muss folglich auch eine demokratische und durch einen hochgradigen religionskulturellen Pluralismus geprägte Gesellschaft ein elementares Interesse haben. Gerade angesichts der mit dem religionskulturellen Pluralismus verbundenen Spannungen und Konflikte bedarf es religiöser Reflexionskompetenz, die es erst ermöglicht, mit sich widersprechenden religiösen Überzeugungen konstruktiv umzugehen. Solche religiöse Bildung, die zum Umgang mit religiösen und kulturellen Unterschieden anleitet, vermitteln protestantische Theologische Fakultäten.
Protestantisch Theologische Fakultäten wären also schlecht beraten, wenn sie ihre kultur- und religionsanalytische Kompetenz nicht in der universitären und gesellschaftlichen Öffentlichkeit zum Zuge bringen und das Feld vorgeblich neutralen und unvoreingenommenen Religionswissenschaften überlassen würden. Die religiöse Reflexion von Religionskulturen in historischen und normativen Perspektiven gehört nicht nur zu den großen Leistungen des modernen Protestantismus, sondern auch zu seinem Kerngeschäft.
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