Den Weltfrieden sehe ich langfristig in jedem Fall als eine Frage der strukturellen Voraussetzungen. Ich verstehe mich hier in der Nachfolge Gandhis: Swaraj durch Swadeshi, Autonomie der Weltgemeinschaft durch soziale Reformen.
Die neue globale Finanzarchitektur als soziale Reform des Kapitalismus ist daher mein Kernpunkt und dazu Stopp des Bevölkerungswachstums und ein Entwicklungsmodell für den Globalen Süden ohne Vollindustrialisierung.
Diese strukturellen Punkte sind dann durch ein diplomatisches Konzept zu ergänzen, dass es erlaubt, die aktuellen Konflikte zu bändigen und die Gewalt auf dem Planeten herunter zu kühlen.
Ich bin in diesem Zusammenhang kein ungeteilter Freund der Idee, die militärische Interventionsfähigkeit der UN weiter auszubauen, wie Kofi Annan dies vorgeschlagen hatte und Herr Jean Ziegler es vertritt. Es ist einfach zu kurz gegriffen, Organisationen wie den Islamischen Staat und die Al Kaida nur zu verteufeln. Wie ich in die „Elemente…“ [1] dargelegt habe, haben sie ihre historischen und sozialen Bedingtheiten in einer nachholenden Entwicklung politischer Integration im Mittleren Osten und in dem Kampf der Bevölkerungen dort um das tägliche Brot. Man bedenke einmal, wie gewalttätig dieselbe Phase bei uns in Europa verlaufen ist!
Während jedoch die Länder Europas in Nationalismen und jeweiligen nationalen Imperialismus verstrickt waren, hat sich die Einigungsbewegung im Mittleren Osten ihren äußeren Feind naturgemäß in den etablierten Supermächten gesucht, deren politische Interessen gegen diese Bewegung gerichtet sind.
Deshalb habe ich die Sorge, dass eine erweiterte Interventionsfähigkeit die Entwicklung in die Hände von Kriegstreibern bei uns verlagern würde.
Von einem ganzheitlichen Standpunkt her gesehen darf Interventionsfähigkeit (egal ob der UN oder EU) nicht zum politischen Feigenblatt werden, um die längst überfälligen strukturellen Reformen des Kapitalismus zu verweigern oder zu umgehen.
Wir brauchen keine Kriege mehr! Die Erde und selbst das ökonomische System halten eindeutig die Kapazitäten bereit – sogar für einen gewissen Überschuss im Lebensstandard – um die sozialen und demographischen Probleme der Gegenwart zu lösen. In diesem Sinne verbleibt die Aufgabe, für das Problem des systembedingten, selbsterzeugten Unfriedens – durch die Rohstoffinteressen und militärisch-politischen Interessen der Supermächte – eine diplomatische Lösung zu verlangen. Dazu schlage ich das nachfolgende Schema der Friedenspolitik vor, dass ich bereits in die „Elemente…“ [1] entwickelt und begründet hatte und das ich hier noch einmal zusammenfassend darstelle. Der wichtigste Punkt, der von der üblichen Politik abweicht, ist dabei, dass mit allen Konfliktparteien verhandelt werden muss. Die übliche Rosienenpickerei, sich die willfährigen Organisationen allein herauszusuchen, muss beendet werden, weil sonst zwar die Spaltung des Gegners, aber nie umfassender Frieden erreicht werden kann. Der Islamische Staat hat tatsächlich jetzt überall auf der Erde Metastasen gebildet, die friedenspolitisch gesehen unberechenbar sind. Dies hätte durch einen umfassenden Frieden gemäß dem nachfolgenden Schema verhindert werden müssen.
VERHANDLUNGSPOLITISCHES GRUNDMUSTER FÜR FRIEDEN MIT DEM ISLAMISMUS
1- Prinzip: Geringstmögliche Gewaltanwendung.
2- Deshalb: Allen relevanten feindlichen oder verfeindeten Gruppen werden Verhandlungen angeboten, keine Drohungen (Gesichtsverlust vermeiden).
3- Voraussetzung, um in weitergehende Verhandlungen einzutreten: Abstand nehmen von kriegsvorbereitenden Handlungen, Pause aller Kämpfe, Versorgung der Zivilbevölkerung.
4- Auch alle gesellschaftlich relevanten Gruppen, die keine militärische Machtbasis oder institutionelle Macht besitzen, werden einbezogen.
5- Friedens-vorbereitende Maßnahmen: Zum Beispiel betreffend Frontverlauf, Gefangenenaustausch, Flüchtlinge, der Stärkere beginnt.
6- Gesichtspunkte der Friedensverhandlungen: Territoriale Reglungen, militärische Reglungen (Waffenstillstand, Beobachter), ökonomische Reglungen (Handel).
7- Vertiefter Friedensprozess: Wahrheitskommission, Kompensation der Opfer, Vergeben können nur die Opfer,
8- Friedensvertrag – Zielsetzung: Aus Feinden werden Partner oder wenigstens nur Konfliktgegner oder friedliche Konkurrenten, Abrüstung, gegebenenfalls Entwaffnung.
9- Bedingungen von Westlicher Seite: Menschen (vor allem auch Frauen) müssen das Land verlassen dürfen, Freiheit, seine Religion oder Ideologie zu wählen, also keine Verfolgung deswegen, Freiheit ohne Verfolgung in das Land zurückzukehren.
Es macht hier durchaus Sinn verpasste Gelegenheiten zu reflektieren. Denn dies kann lehrreich für eine später Phase der Menschheitsgeschichte sein, wenn der Islamismus oder andere radikale Bewegungen wieder auf dem Vormarsch sein könnten. Wenn dann der Westen widersinniger Weise die Reform seines ökonomischen Systems tatsächlich der Welt vorenthalten haben könnte.
Wie der oben dargestellte friedenspolitische Bautein sich in ein Gesamtkonzept einfügt, werde ich in einem späteren Essay in der Tabula Rasa darstellen. Also ich werde dann auf die „Weltinnenpolitik“ (Carl Friedrich von Weizsäcker) oder Geopolitik der globalen politischen Transformation, die ich vorschlagen will, eingehen.
Referenzen:
[1] Alexander Sigismund Gruber: „Elemente einer globalen politischen Strategie – Wie die Menschheit besser kooperieren kann“, Verlagshaus Schlosser, 2019,
ISBN 978-3-96200-276-3
(Das
Buch wird voraussichtlich erst Mitte/Ende Dezember 2019 über den
Buchhandel verfügbar sein)