Der Physiker Ernest Rutherford hat gesagt, dass die Engländer der Welt die Sprache, den Fußball und die Atomphysik gegeben haben. Es hat keinen Sinn, mit Rutherford zu streiten, dem ehemaligen Farmer, der aus Neuseeland nach England kam, um ihm die Kernphysik mit zwei Nobelpreisen zu geben. Rutherford war Experimentator, kein Theoretiker, mithin ein wahrer Physiker, daher muss man ihm vertrauen. Er mochte Gespräche über neue Theorien nicht und verwarf sie als Hirngespinste. Eine Ausnahme machte er allerdings: Er stimmte Bohrs Theorie zu und als man ihn der Voreingenommenheit bezichtigte, entgegnete er schlagfertig im Stil eines Farmers: „Aber Bohr ist Fußballer!“ Sollte bedeuten, dass die Fußballer seriöse Leute sind und Respekt verdienen.
Die Fragen der Sprache und Physik sind unstrittig, hier kann man allenfalls darüber streiten, ob der Fußball ein Spiel ist oder nicht. Was ist ein Spiel? Etwas Veranwtortungsloses, Kindisches oder etwas Ernsthaftes? Es ist die Rede von finanziellen, von politischen Spielern oder Akteueren. Sind diese auch verantwortungslos? Ich neige der Auffassung zu, dass der Fußball kein Kinderspiel, sondern ein echter Sport, ja mehr als das ist. Fußball scheint ein Kampf zu sein, eine erbitterterte Auseinandersetzung um den Sieg, weil er mit der Politik und den Finanzen zusammenhängt – für ihn interessieren sich die Politiker, denn vom Ausgang der Schlacht hängt auch ihr Ansehen ab. Für ihn interessieren sich auch Leute mit viel Geld, weil sie auf einen bestimmten Sieg setzen, zudem ist der Unterhalt einer Mannschaft eine kostspielige Angelegenheit. Der Fußball ist kein Kinderspiel, weil er mit der menschlichen Psyche zusammenhängt und mit dem Bedürfnis der Menschheit, sich der angestauten Aggression zu entledigen. Menschenmengen sind aggressiv und können gefährlich werden. In diesem Sinne ist es freilich besser, dass dies auf dem Fußballfeld erfolgt als in den Schützengräben. Dort würde es weit mehr Mittel, Blut und gebrochene Beine kosten.
Diese Fußballweltmeisterschaft fand ich aber auch unter einem anderen Aspekt interessant. Mir kam in den Sinn, dass man ausgehend vom Relativitätsprinzip die Bewegungen vom Mittelpunkt des Spielfeldes aus betrachten, aber auch als System beigreifen kann, das mit dem… Fußball verbunden ist, was jedoch eine völlig aberwitzige Idee zu sein scheint! Die ganze Welt dreht sich um einen Fußball, der von zwei Mannschaften aus starken Männern getreten wird…
Hier eröffnen sich für die Physik zwei Wege. Wenn wir übereinkommen, die Bewegungen vom Standpunkt des Balles aus zu betrachten, erheben wir das Relativitätsprinzip in den Rang des Absoluten. Es wäre bedeutungslos, wo sich der Mittelpuknt des Koordinatensystems befndet. Wenn wir indes, wie der gesunde Menschenverstand nahelegt, diese aberwitzige Idee verwerfen, lehnen wir damit zugleich das Relativitätsprinzip ab, ohne welches die Physik unmöglich ist… Heute gibt es in der Physik zwei große theoretische Felder: die von Einstein eingeführte Relativität und die von Planck und Bohr begründete Quantentheorie. Derart gelangen wir zur traurigen Schlussfolgerung, dass der Fußball die Relativität negieren und die halbe Physik zunichte machen kann.
Um diesen Kollaps zu vermeiden, wäre es besser, ihn nicht weiter zu vertiefen, sondern zu versuchen, die Analogie zwischen dem Fußball und den sozialen Erscheinungen, die wir alle am eigenen Leib erfahren, zu betrachten. Die Analogie ist eine Art Symmetrie, die gesamte moderne Physik baut aber auf der Symmetrie auf. Wenn der Fußball eine Schlacht und Kampf ist, wird die Analogie mit der Gesellschaft – mit dem politischen, finanziellen, militärischen Leben – sofort deutlich. Konkreter sieht die Analogie folgendermaßen aus: Abseits, Gerangel, Unzufriedenheit, Wortgefechte, gebrochene Beine, unredliche Schiedsrichter, gelbe und rote Karten, Geschummel und Lügen… All das als Methoden und Ergebnisse ist nicht nur auf dem Fußballfeld, sondern auch im gesellschaftlichen Leben verbreitet. Vom Standpunkt der Symmetrie aus sind der Fußball und die Gesellschaft ein und dasselbe. Es gibt allerdings einen bedeutsamen Unterschied. Wenn man keinen Fußball schauen will, kann man den Fernseher abschalten, wenn man kein Anhänger einer bestimmten Mannschaft ist, braucht man diese im Stadion nicht anzufeuern. Von der Gesellschaft aber kann man nirgendwohin entkommen oder sich verstecken… Deshalb ist der Fußball ein Spiel, das Leben in der Gesellschaft jedoch nicht…