Philosophische Aspekte der Gartenkunst am Beispiel des Wörlitzer Parks

Abstract

Wie in vielen englischen Gärten der damaligen Zeit, wurde auch im Wörlitzer Gartenreich die regelmäßig-barocke Anordnung der Natur zugunsten des freien Spiels der freien Formen aufgehoben. Die Natur wurde nicht mehr nach der geometrischen Methode (more geometrico) gezeichnet und unter das steife Joch der Architektur gebeugt, sondern als sich selbst erschaffende Kraft oder Potenz verstanden. Daher suchten die Gartengestalter in Wörlitz den Park als einen Ausschnitt der kosmischen Wirklichkeit zu gestalten, der das Besondere im Allgemeinen spiegelt. Diese neuen Gestaltungseinsichten waren aber ohne die Impulse, die die Philosophie lieferte undenkbar. So waren es Shaftesbury und Rousseau in erster Linie, die mit ihrem philosophischen Denken dazu wirkmächtige Impulse lieferten.

1. Einleitung

Wie sehr Philosophie, Theologie und Gartenkunst immer wieder ineinander verzahnt waren, läßt sich an der Geschichte der abendländischen Zivilisation ablesen. Aber nicht nur in den jüdisch-christlichen Schriften wird dem Garten eine große Bedeutung zuteil, auch in den islamischen, hinduistischen und buddhistischen Texten wird er als Ort religiös-motivierter Sehnsuchtssuche ausgewiesen. Selbst wenn sich die Religionen bezüglich ihrer Dogmatik, ihren Riten und ihrer Spiritualität unterscheiden, findet sich bei ihnen allen etwas Gemeinsames: die Idee vom idealen Garten. Dieser avanciert zum heilsgeschichtlichen Ort, ist das Refugium von stiller Hoffnung und ersehnter Vollkommenheit.
Welche Bedeutung philosophische und theologische Texte bei der Anlegung von Gärten hatten, zeigt auch ein Blick in die mittelalterliche, in die Renaissance- und Barockgartenkunst. Der Garten als abgeschlossenes Refugium wurde zum Ort der Kontemplation und darüber hinaus zugleich zum Spiegelbild der göttlichen Ordnung. Die naturphilosophischen, botanischen und dendrologischen Forschungen Hildegards von Bingen beispielsweise zeigen, daß es der Mystikerin nicht nur um ein kontemplatives Leben ging, sondern daß sie die Schöpfung als ein Abbild des göttlichen Urbildes begriff, das sich wissenschaftlich klassifizieren und beurteilen lassen mußte
Ebenfalls sind die Gärten der Renaissance ohne die Philosophie des christlichen Platonikers Ficino und des Philosophen Pico de la Mirandola nicht zu verstehen. Auch hier führt das Gartenerlebnis den Menschen geradewegs zu Gott, wenn er die Schönheit der Natur als eine Stufe seiner eigenen Intelligibilität betrachtet, die es ihm ermöglicht, von Stufe zu Stufe aufzusteigen, um die heiligen Mysterien zu schauen.
Auch ist der Barockgarten ohne die Philosophie und Theologie des Mittelalters undenkbar, da er die geometrische Ordnung repräsentiert. Die Methode more geometrico und die mathesis universalis prägten die Gartengestaltung, die nicht als liberaler Weltentwurf verstanden werden konnte, sondern als ein hierarchisches System, das für eine prästabilierte Ordnung stand, die man entweder als absolutistisch-politische oder als theologisch-dogmatische interpretierte. Das Sinnbild einer barocken Gartenanlage ist und bleibt das Versailles von Ludwig dem XIV.
Erst mit der Aufklärung jedoch wird auch die Idee des Gartens als liberaler Weltentwurf geboren. Wegweisend dafür war der englische Philosoph Anthony Ashley Cooper, Third Earl of Shaftesbury (1671-1713).[1] Shaftesbury setzte sich zum einen vom Empirismus Lockes kritisch ab, andererseits ging er hinter Locke und die empirische Erkenntnistheorie zurück, wenn er auf platonische und neuplatonische Philosopheme innerhalb seiner Metaphysik und seiner Lehre von der prästabilierten Harmonie zurückgriff.[2] Aber auch Shaftesbury war es, der bereits vor Kants berühmtem Aufsatz Was ist Aufklärung die selbstverschuldete Unmündigkeit kritisierte.
Um es vorwegzunehmen: Shaftesbury hat keine Theorie der Gartenkunst vorgelegt, ihn interessierte die freie Natur, nicht die Gartengestaltung als künstlerische Praxis. Wie die Neuplatoniker ging auch er davon aus, daß die Natur sich selbst produziert, daß ihr eine geistige Selbstorganisation zugrunde liegt, weshalb es ihm zwangsläufig fremdartig erscheinen mußte, die Natur oder Landschaft, wie es die Gartenkunst tat, zu domestizieren. Gerade in den Versuchen, der Natur eine dieser nicht immanenten Ordnung vorzuschreiben, sieht er eine Fehlleistung der Gartenkunst, deren schlechtester Auswuchs eben die französische Barockgartenkunst bleibt, die der Natur blind ihre Gesetze vorschreibt. Sie nimmt er zum Anlaß seiner Kritik, denn die Parzellierung, die geometrische Methode der Begrenzung und Einfriedung, die Reduktion der Natur auf die Ratio und die damit verbundene Unfreiheit, sind mit dem Gedanken einer poetischen Naturauffassung unvereinbar.
So verwundert es nicht, daß Shaftesbury am Absolutismus ein geometrisch-zentriertes Weltbild kritisiert, das Individualität und Freiheit aufhebt, denn die Natur wird zugunsten der absoluten Form reglementiert. Dagegen stellt er seinen eigenen Begriff von Harmonie und schreibt: „For HARMONY is Harmonie by Nature […]. So is Symmetry and Proportion founded still in Nature“.[3] „What is BEAUTIFUL is Harmonious and Proportionable: What is Harmonious and Proportinable, is TRUE; and what is at once both Beautiful and True, is, of consequence, Agreeable and GOOD“.[4]Harmonie, Proportion, Symmetrie, Schönheit und Sympathie werden die wichtigsten Kategorien der Ästhetik und Kosmologie des englischen Liberalen,[5] denn es ist nichts „stärker in unserem Verstande eingeprägt oder tiefer mit unserer Seele verwoben als die Idee von Ordnung und Ebenmaß“.[6] Der göttliche Geist gibt allen Formen ihre Gestalt. Er verleiht nicht nur der Natur ihre Form, sondern jede dieser einzelnen Formen verdankt ihr Formsein der Präsenz des Geistes in ihr, denn die Natur ist selbst Vernunft.[7] Sie entäußert sich als eine Architektur des Ganzen: „Es gibt keine andere Natur, die etwas hervorbrächte, außer der Natur des Kosmos, daher ist die Natur des Kosmos vernünftig und daher gibt es ein allumfassendes, vernünftiges und vorsorgendes Prinzip.“[8] Genau aus diesem Grunde „gibt es einen höchsten ewigen Geist, ein geistiges Prinzip dieses Ganzen, und dies ist Gott.“[9]
Um die barocke Gartenkunst, die einzelnen Staffagen und Gartenszenen zu entziffern und zu verstehen, benötigte der Gartenbesucher einen Entschlüsselungscode, denn die Ikonologie, die hinter den einzelnen Kunstwerken sich verbarg, war nicht durch den gesunden Menschenverstand zu entziffern. Überall bedurfte es des „Vernünftelns“, um den tieferen Sinn der Kunstwerke zu begreifen. Was hier zu kurz kam, war die sinnliche Natur des Menschen, eben jenes unmittelbare Erleben und der emotionale Genuß, der sich beim Naturerlebnis einstellt. Diese Vernachlässigung der sinnlich-emotionalen Seite der menschlichen Natur war es, die Shaftesbury immer wieder kritisierte; der Mensch ist in erster Linie beides, vernünftig und sinnlich zugleich. Er ist mehr als nur die Summe seiner Denkvermögen, aber auch mehr als die Summe seiner Affekte und seiner Sinnlichkeit. Diese Affekte tiefer zu ergründen, war Aufgabe und Zweck der sogenannten Affektenlehre.
Mit der Lehre von den Affekten steht Shaftesbury in unmittelbarer Nähe zur Tradition des englischen Empirismus, denn auch für die Empiriker liefern die Affekte den materialen Fundus, den der Verstand zur Klassifizierung benötigt, um mit Hilfe der Vernunft die Einzelerlebnisse in einen universalen Zusammenhang zu stellen. Wenngleich die Affekte innerhalb der Erkenntnistheorie eine fundamentale Bedeutung hatten, so war doch der Kosmos nicht auf sie allein reduzierbar, was Shaftesbury mittels seiner Metaphysik und Kosmologie unterstrich.
In diesem Zusammenhang polemisierte er – wie später Schelling – gegen die Vorstellung, daß die Natur nicht mehr sei als ein Konglomerat unbestimmbarer Gegenstände. Vielmehr verwirklicht sich in der Natur sinnbildlich eine imaginäre Kraft, oder um mit Goethe zu sprechen, die Idee des Urbildes, das allen seinen Erscheinungen zugrunde liegt. Die Natur als natura naturata ist nicht nur ein Attribut der einen Substanz, wie Spinoza glaubte, sondern sie ist eine freiheitlich-autonome Entfaltung; die Natur bleibt Sinnbild einer geistigen Ordnung, in der das Schöne und das Gute „zusammenfallen“. Die Idee dieser moralisch-sittlichen Vollkommenheit findet Shaftesbury dann in der platonischen Kalokakathia. Diese Vereinigung von Gutheit und Schönheit bleibt auch für ihn das ausgewiesene Ziel des Menschen, Leitbild seiner möglichen sittlichen Vervollkommnung innerhalb der endlichen Lebenszeit. Das Schöne, so die platonische Vorstellung Shaftesburys, spiegelt das Gute wieder, das in der Schönheit erscheint; das Gute hingegen wird in den Werken der schönen Kunst versinnbildlicht.
Vom sittlichen Naturalismus Shaftesburys beeinflußt, entwickelte der Schriftsteller Joseph Addison (1672-1719) seine Vorstellungen vom neuen Landschaftsgarten. In seiner Schrift On the Pleasures of the Imagination erhebt er das Natur- über das Kunstschöne. Die Spectator-Nummern 411-421 belegen, daß auch Addison der „natural wilderness“ den Vorzug gab.
Auch Horace Walpole kritisiert, ähnlich wie Shaftesbury und Addison, den strengen barocken Formalismus, die axiale Anordnung im Sinne der Zentralperspektive, die Dominanz der Architektur gegenüber der Landschaft und sieht in der Reglementierung der natürlichen Anlage einen deutlichen Naturverlust. Anstelle barocker Regelästhetik setzt auch er auf das Naturgefühl. In seinem Buch Über die englische Gartenkunst schreibt er: „Der Zirkel und das Winkelmaß wurden in den Pflanzungen mehr gebraucht als der Baumwärter. Der gerade Gang, die Quadrate und sternförmige Anordnung drückten jeden Garten fürstlicher oder vornehmer Besitzer ihre unbefriedigte Einerleiheit auf. Die Bäume wurden geköpft und ihre Seiten weggeschnitten: Mancher Französische Lustwald gleicht grünen Kasten, die auf Stangen gestellt sind. Marmorsitze, Lauben und Lusthäuser begrenzten jeden Ausblick, und Symmetrie war selbst da, wo der Raum zu groß war, um sie auf einen Blick übersehen zu lassen, so wesentlich, daß, wie Pope bemerkt, jede Allee ihre Schwester hatte, und die eine Hälfte des Gartens genau die andere abdrückte.“[10] Deutlicher als Walpole es beschreibt, läßt sich die Kritik an der barocken Regelästhetik nicht formulieren.
Insbesondere Walpole war darüber hinaus davon überzeugt, daß die Gartenrevolution, die von England ausging, Europa und seine Gartenkünstler maßgeblich beeinflussen wird und vermerkte nicht unbescheiden: „that we have given the true model of gardening to the world“. Wie sehr er recht behalten sollte, hat die Geschichte des englischen Landschaftsgartens in Europa und insbesondere in Deutschland gezeigt.
Auch der Dichter und damals wohl berühmteste Literat Englands – Alexander Pope (1688-1744) – distanziert sich von der französischen Manier Gärten anzulegen, wenn auch er den politischen Absolutismus infrage stellt und schreibt: „A tree is a nobler object than a prince in his coronation robes.“
Beeinflußt von Shaftesburys philosophischer All-Einheitslehre vertrat Pope in seinem Essay on man naturreligiöse Ansichten. Im Unterschied zu Shaftesbury jedoch suchte er nach einer Synthese zwischen dem Natur- und dem Kunstschönen, während Shaftesbury daran festhielt, daß es in der freien Natur weder Kunst noch Gestaltung gab. Im Mittelpunkt seines Hymnus auf die Natur in Die Moralisten steht nicht die künstlich angelegte ideale Landschaft, sondern eben die reine Natur mit ihren rauhenFelsen, mit ihren moosigen Höhlen und mit ihren wilden Wasserfällen. Das Ideal von freier Landschaft einerseits und die Gartenkunst andererseits bleiben unvereinbar, was Shaftesbury, vom ästhetischen Standpunkt aus gesehen, veranlaßte, letztendlich sogar einen Misthaufen höher zu bewerten als einen Kunstgarten.
Insbesondere aber Alexander Popes Garten in „Twickenham“ war es, der vielen Besuchern zum Idealbild eines englischen Landschaftsgartens wurde, den man gern kopierte. Er wurde zum Pilgerziel für Adlige und Künstler der damaligen Zeit. Statt regelmäßiger Ordnung fand sich auch in „Twickenham“ eine unregelmäßige Gestaltung, die durch das Weglassen des Parterres begünstigt wurde. Die freistehenden Solitärbäume und die geschlängelte Wegführung verdeutlichten eine Gestaltungsmethode und Wirkungsabsicht, die auf Überraschung und Mannigfaltigkeit aus war, auf eine natürliche Naturinszenierung, wie sie sich bereits vor Pope in Miltons Werk Paradies lost fand.

2. Das Wörlitzer Gartenreich

Shaftesbury zählte zu den meist gelesenen Autoren seines Jahrhunderts. Seine Ästhetik, seine Naturphilosophie und seine religiöse Naturspekulation waren es, die auch in Deutschland rezipiert wurden. Sein aufgeklärtes Denken begeisterte Wieland und Goethe und die Vielzahl von Regenten, die sich den Ideen der Aufklärung nahe fühlten. Die Planung und Entstehung der englischen Parkanlage zu Wörlitz verdankt sich so dem Geist der Zeit, denn man will um jeden Preis dem friderizianischen Rokoko entfliehen. Ohne den Geist von Shaftesbury, Addison und Pope wären die neuen Gestaltungsmethoden auch im Mikrokosmos Wörlitz undenkbar gewesen. Der englische Garten in Wörlitz ist und war mehr als nur ein Architekturpark, obgleich sich in ihm eine Vielzahl von raffiniert ausgeklügelten technischen Innovationen fanden; er ist in aller erster Linie ein Garten, der über die Bildungsideale seines Erbauers Auskunft gibt, über seine Reisen und nicht zuletzt über die von ihm gelesene philosophische und theologische Literatur.
Das kleine Fürstentum und seine Stellung innerhalb der europäischen Kultur und Aufklärungszeit werden meist unterschätzt. Den Konkurrenzkampf mit dem weitaus berühmteren Weimar kann es, wie einige Interpreten nahelegen, nicht aufnehmen. Dennoch muß man sich die Blütezeit, die Aufklärung in Dessau, ähnlich vorstellen wie in Weimar oder in Jena. Dessau und das etwas abgelegene Wörlitz bildeten zusammen ein geistiges Zentrum Mitteleuropas, hier versammelten sich die berühmten Geister der Aufklärung. Der kulturelle Austausch wurde auch hier dadurch möglich, weil es ähnlich wie in Weimar – erinnert sei an Anna Amalia und an Carl August – einen Regenten gab, der an literarischen, philosophischen, theologischen und politisch-historischen Themen interessiert war und eine Schar Intellektueller um sich versammelte. Sind dies im Weimar Anna Amalias in aller erster Linie Goethe, Wieland, Herder und später Schiller gewesen, die mit ihrer aufgeklärten Prosa, mit ihren theologischen und sprachphilosophischen Forschungen den Zeitgeist prägten, so waren es in Wörlitz August Rode, der Architekt Erdmannsdorff, Hesekiel, Lavater und Gellert.
Wie im benachbarten Preußen, zu dem es eine Haßliebe gab, weil der Dessauer Fürst von seinem Onkel den Preis der Unabhängigkeit seines kleinen Landes mit hohen finanziellen Entschädigungen erkaufen mußte, herrschte im anhaltischen Dessau Religionsfreiheit. Auch hier war man gezwungen, ausländische Arbeitskräfte einzustellen, was nur dann gelingen konnte, wenn man den vielen Einwanderern Religionsfreiheit gewährte.
Der Ideal der religiösen Freiheit, wie Shaftesbury es einst vorschwebte, wurde im Garten dann mittels eines Architekturprojekts umgesetzt, wo dicht nebeneinander eine jüdische Synagoge, ein griechischer Tempel und eine christliche Kirche erbaut wurden. Wie sehr Lessing mit seinem Werk Nathan der Weise und der „Ringparabel“ hierbei eine Vorbildfunktion hatte, ist nicht zu übersehen.
Der Gartenarchitekt und Planer, Fürst Leopold Franz III. von Dessau, war nicht nur ein engagierter Verfechter liberaler Ideale, sondern auch daran interessiert, die mißlich-soziale Not im kleinen Fürstentum zu lindern. Mit dem Gartenprojekt in Wörlitz verfolgte er daher nicht nur eine Idealisierung der Landschaft, sondern versprach sich von dieser auch einen sozialen Nutzen für seine Untertanen. Diese sollten nicht nur dazu angeleitet werden, sich in Schönheit und Vernünftigkeit zu üben, sondern auch aus der Natur und durch sie zu lernen. Der ökonomische Aspekt, das an der Elbe brachliegende Land wirtschaftlich nutzbar zu machen, ging mit der Idealisierung der Natur einher.
Ein anderes großes Vorbild für die Wörlitzer Gestalter war Arkadien. Diese ideale Landschaft und Hirtenidylle auf der Insel Peloponnes sollte in der mitteldeutschen Elbelandschaft wieder zu neuem Leben erweckt werden. Die ausgelassene Heiterkeit und die Schwermut dieser griechischen Ideallandschaft waren den für die klassische Antike aufgeschlossenen Gartenliebhabern durch die Werke Johann Winckelmanns vertraut. So wurde Winckelmanns „stille Größe“ und „heitere Gelassenheit“ zur Maxime der Dessauer Aufklärer, römische und griechische Philosophen zu auserwählten Vorbildern. Bereits Shaftesbury hatte immer wieder auf die Nähe zwischen Aufklärung und Antike hingewiesen, auf Seneca, Marc Aurel, Horaz, Epikur. Ihre Texte, insbesondere die stoischen, sollten gelesen werden, um das Neue mit dem Alten zu verbinden.
Ganz dem Geist des Engländers verpflichtet, hat August Rode, der Dessauer Goethe, 1785 eine Auswahl antiker philosophischer Texte und Gedichte veröffentlicht – darunter Übersetzungen von Lukrez, Catull, Ovid, Lukan und Vergil. 1791 erschien die Übersetzung der Metamorphosen von Ovid, 1796 die Übersetzung der Architekturlehre Vitruvs.
In Wörlitz – einem der ersten englischen Gärten auf dem Kontinent – suchte der Fürst, im Unterschied zum benachbarten Preußen, nach eben jener Idealisierung der Natur, wie sie Shaftesbury vorschwebte, wie sie sich aber auch bei Rousseau finden ließ. Rousseaus Schriften waren es, die in Dessau und Wörlitz begeistert gelesen wurden; ihm zu Ehren wurde mit der „Rousseauinsel“ ein Denkmal gesetzt. Das „Zurück zur Natur“, das Rousseau forderte, und das Ideal vom „contrait social“ hatten den Fürsten nachhaltig begeistert. Im Jahre 1775 kam es in Paris dann auch zu dem vom Dessauer Fürstenpaar lang ersehnten Treffen mit dem Philosophen. Nicht nur ein Blick in die fürstliche Bibliothek zeigt und untermauert das Interesse des Fürstenpaars an philosophischen Themen, die Klassiker sind dort ebenso vertreten, wie die neuesten Publikationen aus England und Frankreich, sondern auch die Wörlitzer Gartenanlagen belegen eindrucksvoll die intellektuelle Bildung ihres Erbauers.
Eines jener großen Ideale der Aufklärung war die Erziehung. Mittels ihrer sollte die natürliche Anlage des Zöglings gefördert und nicht ins steife Joch gebeugt werden. Ziel dieser Erziehung war der freie Bürger in einer freien Welt. Für die Umsetzung dieser Idee wurde in Wörlitz extra eine Bildungsanstalt geschaffen, das Philanthropium. Hier lehrten prominente Aufklärer und Erzieher – unter ihnen Basedow. Dem Geist der Aufklärung verpflichtet, galt es ein Bildungskonzept zu verwirklichen, das die Diener des Landes zur Mündigkeit erziehen wollte. Ganz der Maxime Kants verpflichtet, sollten die Anhaltiner aus den Fesseln der Unbildung, der sogenannten „selbstverschuldeten Unmündigkeit“, befreit werden – Bildung das dazu verordnete Allheilmittel. Doch so sehr es der Wunsch des Regenten war, sein Volk zu erziehen, ihm den Geist der Aufklärung zu vermitteln, der es dann befähigte, sittlich klug zu handeln, eine bürgerliche Revolution, wie sie in Frankreich und England stattgefunden hatte, in der tatsächlich der freie Mann regierte, war vom aufgeklärten Monarchen nicht erwünscht. Die Aufklärung hatte in Wörlitz ihre Grenzen. Zwar sollte Freiheit jeden Landesbürger zuteil werden, die Souveränität des Fürsten dabei aber nicht in Frage gestellt.
Dieses Erziehungsideal sollte in den Gartenanlagen mittels eines ikonographischen Programms, durch Inschriften und Statuen verwirklicht werden, die Kunstwerke wurden damit zu Bedeutungsträgern. So verwiesen beispielsweise die Statuen von Lavater und Gellert im „Neumarkschen Garten“ auf die Tugendhaftigkeit der beiden Literaten. Man hoffte mit diesen Kleinarchitekturen beim Besucher dessen moralische Gefühle zu erwecken, damit er – durch dieses Erlebnis vermittelt – sich mit den Texten von Gellert und Lavater beschäftigt.
Überall in den älteren, den früh angelegten Partien des Parkes, fanden sich derartige Staffagen, die auf die Literatur, die Philosophie, die Ästhetik und Sittlichkeit anspielen. Im ältesten Teil der Gartenanlage, dem „Neumarkschen Garten“, befindet sich das Labyrinth, hier sollte sich der Parkbesucher zwischen zwei möglichen Lebenswegen entscheiden. Einerseits ist es der „gedankenlose mühselige Steig des Menschen ohne Kenntnis und Geisteskultur“. Andererseits ist es der „geheimnisreiche Pfad der Mysten, der Lehrlinge erhabener Weisheit, welche ihren Anhängern […] geheime Aufschlüsse erteilt, die das Leben durch süße Hoffnungen erheitern“.
Es obliegt dabei dem Rezipienten, einen der beiden Wege zu wählen. Entweder wählt er mit kluger Umsicht den tugendhaften Pfad oder den der Ausschweifung. Wird der Weg von Sitte und Tugend gewählt, kommt der Besucher am Ende des Labyrinths letztendlich ins Elysium, wo Glück und Seelenfrieden herrschen, wo er im Kreise der tugendhaft Erwählten anlangt. Die Vorstellung eines Reiches der Geister war aus der Antike bekannt, aber auch in Dantes Göttliche Komödie und in Fontanelles Gespräche im Elysium ist von der Insel der Glückseligkeit die Rede gewesen. In Wörlitz erinnerte man sich ihrer durch das Aufstellen der „goldenen Urne“, die der Fürst zur Erinnerung seiner früh verstorbenen Tochter errichten ließ. Aber auch die Staffage des „Warnungsaltars“ und seiner Inschrift, der sich auf der anderen Seite des als Styx bezeichneten Flußlaufes im Park befindet, verweist darauf, daß ein wahres Leben in und mit der Natur nur denjenigen möglich ist, die in ihre Mysterien eingeweiht sind.
Viele der Inschriften, die sich an Ruhesitzen, an Portalen und an Bänken im Park finden, hatten eine propädeutische Funktion. Diese bestand darin, wie der Gartentheoretiker Hirschfeld betonte, als „Zusätze bey Gebäuden oder Denkmälern […], ihren Ursprung und ihre Bestimmung“ zu erklären.[11] Darüber hinaus sollten sie „die Ungewißheit der Bedeutung aufheben, und die Wißbegierde, die bey der Annäherung gereizt wird, auf einmal befriedigen“.[12] Denn die Inschriften „können bald auf die besondern Schönheiten der Scenen hinwirken, bald eine nützliche Lehre ins Gedächtniß zurückrufen, oder eine Empfindung ausdrücken, die dem eigenthümlichen Charakter des Ortes angemessen und durch ihn selbst veranlaßt ist.“[13]
Statuen und Grabmale hingegen, wie die „Dietrichsurne“ im Schloßpark, sind Allegorien auf das Leben und den Tod; sie sind Symbole, die auf das Verhältnis von Endlichkeit und Unendlichkeit, von Vergessen und Erinnern, von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft anspielen sollten. Auch mit ihnen wollten die Gestalter an tugendhafte Vorbilder erinnern. So verwiesen Philosophenstatuen auf das stoische Ideal der Gelassenheit, auf eine reine und unbeirrbare Lebensführung, sie waren aber auch eine Reminiszenz an die aufgeklärte Politik der Polis. Insbesondere in der griechischen Polis zeigte sich beispielhaft das politische Ideal eines aufgeklärten Staates, in dem alle Bürger mit gleicher Freiheit, gleichen Rechten und gleichen Pflichten ausgestattet, am gemeinsamen Ideal, am Gemeinwohl, arbeiteten. Bereits der schon erwähnte Kieler Professor für Philosophie und Autor der berühmten Theorie der Gartenkunst Hirschfeld schrieb dazu: „Mehr noch interessieren uns Vorstellungen von Menschen, die wirklich gelebt haben, in der Gestalt, die ihnen eigen war, und die so ganz ihren Charakter darstellt; Vorstellungen von Menschen, die uns durch die Größe ihres Geistes und Herzens, durch den Glanz ihrer Talente oder durch die Wohltätigkeit ihrer Handlungen ehrwürdig sind; die uns durch ihre Schriften zur Weisheit und durch ihre Geschichte zur Tugend erheben, die großen Dichter und Weisen der Vorwelt.“[14]
Auch die Todesthematik, die Adrian von Buttlar unter dem Stichwort der Transzendenz beschreibt, wird im Wörlitzer Park bewußt inszeniert. Der Tod als transzendenter verweist auf die Endlichkeit: Urnen, Grabmäler und Sarkophage, wie beispielsweise der vor der Wörlitzer Kirche und die „Dietrichsurne“ unterstreichen dies nachhaltig.
Hirschfeld sah in den Inschriften, in den Staffagen und in den Allegorien eine würdige Form der Erinnerung und des Gedenkens. Kurze Zeit darauf distanzierte sich bereits der an Kants kritischer Philosophie geschulte Gartentheoretiker Johann Christian August Grohmann von der sinnstiftenden Erläuterung der Mahnmale. Mahnmale, so seine Kritik, beschränken die Einbildungskraft, denn es „muß jede aesthetische Empfindung nur allgemein, in unbestimmten Formeln ausgedrückt sein, bei welchen der Betrachter immer noch mehr denken kann, und auch deßwegen ist die Inschrift, wo Dichtung aesthetische Form sein soll, unzweckmäßig, weil sie alles zu hart, zu bestimmt vorhält.“[15]
Auch Boettiger hält in seiner „Reise“ nach Wörlitz daran fest, daß eine Allegorie, wie das Wörlitzer Labyrinth, für sich selbst sprechen müßte. „Die Allegorie ist treffend und deutlich, nur sollte eben deswegen die Inschrift ganz weggeblieben sein. Denn eine Allegorie, die der Inschrift bedarf, ist selbst dieser Krücke nicht wert. Und dies urteile ich denn auch über alle die übrigen Inschriften, die in diesem Labyrinthe hier und da dem Lebenswanderer zur Warnung und Lehre hingesetzt sind.“[16]
Die vielfältige Verwendung von allegorischen Kunstwerken hat letztendlich auch die Kritiker auf den Plan gerufen, die in dieser Künstelei eine Überfrachtung der Natur sahen. Bereits Goethe kritisierte im Triumph der Empfindsamkeit die Überladenheit der Gärten mit symbolischen und allegorischen Kunstwerken. Anstatt das unmittelbare Erleben der Natur ganz im Sinne Shaftesburys zu erfahren, wird der Besucher in ein ikonographisches Gartenprogramm gezwängt, das ihm seine Gefühlsregungen vorschreibt und diktiert.
Die Kritik an der übersteigerten Verwendung von künstlerischem Zierat hat somit auch die Gartentheoretiker gespalten. Ihre Kritik richtete sich gegen den sogenannten „sentimentalischen Garten“, in dem sich jene Vielzahl von Staffagen und Bedeutungsträgern fand. Mit diesem war eine Annäherung an eine freie und ungezwungene Naturvorstellung nicht möglich, er war zu artifiziell.
Die von Shaftesbury geübte Kritik an der Überladenheit des Barocks wurde nunmehr auch auf den „sentimentalischen Garten“ übertragen, denn er drohte, wie einst der barocke Garten, zu einer rein künstlichen Inszenierung zu verkommen, zu einem Artefakt naturwidriger Spielereien. Anstelle dieses mit Literaturzitaten und Reisearchitekturen überfrachteten Gartens trat nun der „klassische Landschaftsgarten“. Mit diesem wurde in der Mitte der fünfziger Jahre des 18. Jahrhunderts eine zweite Gartenrevolution eingeläutet. War die erste Revolution die englische Gartenkunst selbst, die sich von der barocken Gartenkunst absetzte, so kam die zweite einer Renaturalisierung des „sentimentalischen Gartens“ gleich.
Insbesondere der Gartenarchitekt Lancelot Brown in England ist es gewesen, der die Epoche des „klassischen Landschaftsgartens“ einläutete. Brown überarbeitete nicht nur die frühen sentimentalisch gehaltenen Gartenpartien, sondern er gestaltete sie unter dem Aspekt ihrer möglichen Nutzbarkeit. Ästhetik und Nützlichkeit, wie sie Goethe später in den Die Wahlverwandtschaften forderte, gingen in Browns Schöpfungen schon eine Synthese ein. Statt künstlicher Landschaftsgestaltung nutzte der englische Architekt die vorgegebene Landschaft aus, die nicht modelliert wurde, wo also keine künstlichen Wälle oder Seen um der Erlebnishascherei willen errichtet worden sind.
Browns Naturalisierungskonzept, die zweite Gartenrevolution, wurde dann auch bei der späteren Gestaltung und bei den weiterführenden Ausbauten der Wörlitzer Anlagen berücksichtigt. Die Partien „Weidenheger“ und „Neue Anlagen“ sind allesamt Schöpfungen im Stile Browns, Reminiszenzen an die freie Natur, die auch die spätere Generation von Landschaftsgestaltern, wie Fürst Pückler-Muskau, Lenné und Sckell tief beeinflußten. Bei ihren Gartenschöpfungen stand die unverbaute Natur an erster Stelle, denn sie kann, wie Shaftesbury forderte, den besten Beitrag zur sittlichen Erziehung des Individuums leisten.
Vom Erziehungsgedanken verabschiedete man sich auch in Wörlitz letztendlich nicht ganz. Der Park stand, im Unterschied zu vielen englischen Anlagen, die nur ihren Besitzern, den reichen Finanziers und dem Adel zugänglich waren, von Beginn an allen Bürgern offen.
Wie Shaftesbury im Selbstgespräch sich fest in den Kopf gesetzt hatte, daß seine Wissenschaft durch die Kunst des Argumentierens dazu führen könne, daß man seinen „Rat annimmt, falls er etwas taugt“,[17] verfahren auch die Gestalter in Wörlitz. Literatur-Zitate und Kunstwerke sollen zwar belehren, können aber darüber hinaus frei interpretiert werden. Wie das Kunstwerk also letztendlich zu interpretieren war, überließ man dem Gartenbesucher, der seine Einbildungskraft, Verstandestätigkeit und Urteilskraft zu Rate ziehen mußte.
Zwar waren auch Gartenführer in Mode, in Wörlitz der von Rode, doch die freie Interpretation und Kritik war immer auch mit assoziiert. Der berühmte „taste of ridicule“, der Sinn oder der Geschmack für Kritik, wurde zum Gradmesser beim Umgang und der Beurteilung der Kunstwerke, denn ganz der Maxime Shaftesburys verpflichtet, kann nur jene Schöpfung einen Anspruch auf Kunst erheben, durch die der Mensch in die Lage versetzt wird, kritisch auf sich selbst zu reflektieren.
Auch dann wird der Einfluß Shaftesburys sichtbar, wenn das gesamte Gartenkonzept in Wörlitz in den Blick kommt. So verschieden die einzelnen Gartenpartien auch gewesen sind, stand hier die Kunst im Mittelpunkt, dort die Natur, letztendlich sollten auch die Anlagen um Dessau ein Gesamtkunstwerk werden. Die einzelnen Kompositionen sollten dem Ganzen nicht widersprechen, sondern die Verschiedenheit in der Einheit, das Besondere im Allgemeinen verdeutlichen. Einheit und Vielheit waren Kategorien der platonischen und neuplatonischen Metaphysik, die auch in der spätantiken „Ästhetik“ eine zentrale Rolle bei der Beurteilung des Schönen gewannen, denn je einheitlicher ein Kunstwerk war, desto vollkommener seine Schönheit. Diese Lehre von der Einheit und Verschiedenheit hatte Shaftesbury in seiner Kosmologie und in seiner Harmonienlehre aufgegriffen, die auch für die Landschaftsgestalter eine zentrale Rolle spielte.
Schönheit wurde auch für sie Einheit in der Mannigfaltigkeit, Vereinigung verschiedener disparater Elemente, die sich in einer höheren, eben harmonischen Einheit miteinander verbinden. Diese vereinheitlichende Ordnung oder Harmonie, die sich als zentraler Gedanke schon in der christlichen Theologie von Augustinus und später bei Pseudo-Dionysius Areopagita und dem schon angesprochenen Ficino fand, wird auch dadurch noch hervorgehoben und unterstrichen, da man nicht nur den Wörlitzer Park als diese Einheit begriff, sondern die Vielzahl der kleinen, um Dessau gelegenen Gärten in das Gesamtkonzept Landschaftsgarten Anhalt integrierte – das gesamte Fürstentum sollte ein Landschaftsgarten sein.
Diesem Wunsch, einzelne Landschafts- oder Parkpartien systematisch einzuordnen, hatte Shaftesbury bereits in seinem Hauptwerk Die Moralisten vor Augen, als er schrieb: „Sicher ist nichts unserem Geiste stärker eingeprägt oder mit unserer Seele enger verwoben als die Idee oder das Gefühl von Ordnung und Ebenmaß.“[18] „[…] alle Dinge, die Ordnung haben, auch Einheit des Plans haben und in eins zusammenlaufen“, da sie „Teile eines einzigen Ganzen oder für sich vollständige Systeme sind“, bilden eine ideale Ordnung ab. „So verhält es sich bei einem Baum mit all seinen Zweigen, einem Lebewesen mit all seinen Gliedern, einem Gebäude mit all seinen äußeren und inneren Verzierungen. Was ist denn gar eine Melodie oder ein Instrumentalsatz oder jedwedes vorzügliche Musikstück anderes als ein gewisses System von ebenmäßig abgestimmten Tönen?“[19]
Die Ordnung, von der Shaftesbury hier spricht, ist nicht die Ordnung des Barocks, sondern die der Natur selbst immanente. Mit der Kritik am Gestaltungsprinzip „formal mockery of princely gardens“ schwingt beim englischen Liberalen auch immer eine Kritik am für ihn nicht zu tolerierenden politischen Absolutismus mit, in dem die Freiheit des einzelnen Menschen unterdrückt und in ein Korsett von Zwängen gepreßt wird. Die Natur selbst ist es, die das Individuum zu Freiheit und Sittlichkeit befähigt. Das ästhetische Naturerlebnis und das religiöse Gefühl im Einklang mit dem Kosmos zu stehen, auf diesen als vernünftiges Wesen zu reflektieren, bilden zusammen eine Einheit und tragen letztendlich zur moralischen Verbesserung des Menschen bei, da das Landschaftserlebnis diesen besser zu erziehen vermag als eine gesellschaftliche Institution es je kann. So heißt es in Eine Untersuchung über Tugend und Verdienst: „Die Weisheit, welche die Natur regiert und die erste und oberste Macht in ihr ist, hat es daher so eingerichtet, daß es dem persönlichen Interesse und Wohle jedes einzelnen entspricht, zum allgemeinen Wohle zu wirken. Hört er auf, dies zu tun, so handelt er im gleichen Maße gegen sich selbst und hört damit auch auf, sein eigenes Glück und Wohlergehen zu befördern. Er wird deshalb zu seinem eigenen Feind. Er kann auch keine andere Weise gut zu sich selbst sein oder seinen eigenen Interessen dienen als dadurch, daß er das Wohl der Gesellschaft, also das Ganze, von dem er selbst ein Teil ist, im Auge hat.“[20]
Auch der Dessauer Fürst geht wie Shaftesbury davon aus, daß dem Menschen ein angeborener moralischer Sinn immanent ist – der moral sense. Diesen zu verwirklichen, darin sehen beide, der Potentat und der Philosoph, das anzustrebende Ziel jedes einzelnen Menschen und jeder Zivilisation, denn die „Tugend, die von allen Vortrefflichkeiten und Schönheiten die oberste und liebenswerteste ist“, ist „die Stütze und Zierde aller menschlichen Dinge.“ Sie ist „die Kraft, die Gemeinschaften aufrecht erhält, Einheit, Freundschaft und gute Verhältnisse zwischen den Menschen bewahrt, die Kraft, durch die ganze Länder genau so wie einzelne Familien blühen und glücklich sind und deren Fehlen dazu führt, daß alles Anmutige, Hervorragende, Große und Edle zugrunde geht und zerfällt, daß also diese einzigartige Eigenschaft, die so vorteilhaft für die ganze Gesellschaft und die Menschheit im allgemeinen ist, sich als ebenso nützlich für das Glück und Wohl jedes einzelnen Geschöpfes erweist und dasjenige ist, durch das allein der Mensch glücklich sein kann und ohne das er stets unglücklich sein muß“.[21] Dieses Idealbild, das Shaftesbury am Ende seiner Untersuchung über Tugend und Verdienst zeichnet, hatte auch der Dessauer Regent verinnerlicht, sich selbst als weiser Landesvater verstehend, der seinen Untertanen ein friedliches Miteinander zu ermöglichen hoffte und zu garantieren suchte.
Der Wörlitzer Park war aber nicht nur der Ort, in welchem ein geselliges Miteinander möglich war, sondern wo es dem einzelnen Subjekt auch gestattet sein durfte, sich in die Welt der Einsamkeit zurückzuziehen. Diese Zurückgezogenheit in Stille und Einkehr ermöglichte es auch, das Gesehene bewußter zu verarbeiten, was letztendlich zu einer Intensivierung des Gefühlshaushalts führte, zur Selbstreflexion und zum möglichen intimen Gespräch mit dem Wesensverwandten, wie es Shaftesbury in Die Moralisten wirkungsmächtig in der freien Natur in Szene gesetzt hatte. Die Rückzugsorte im Wörlitzer Park, die diese Einsamkeit ermöglichen sollten, waren kleine Eremitagen, Grotten und Einsiedeleien. Doch sollte diese Einsamkeit nicht dazu führen, sich von der Gesellschaft und Geselligkeit abzukoppeln, sondern durch die läuternde Stille sollte jenes, sich seiner selbst bewußt werdende Ich erneut und moralisch gefestigter in die Bande der Geselligkeit zurückbegeben. Der Common sense verlangt, wie Shaftesbury betont, nicht in dieser Einsamkeit zu verweilen, weil damit zugleich das Ideal einer sittlichen Gesellschaft aufgehoben wird. Moral sense und common sense sind miteinander zu vermitteln, und zwar so, daß die innere moralische Stimme des Gewissens mit dem Gemeinschaftssinn einhergeht. Diese harmonische Einheit herzustellen, dazu kann das Naturerlebnis motivieren, denn die Erkenntnis der panharmonischen Ordnung bleibt das in die Einheit verlagerte Wechselspiel von Individuellem und Allgemeinem. Wie der göttliche Geist harmonisch die Welt ordnet, stiftet der einzelne Mensch jene Einheit von Individualität und Geselligkeit.
Insbesondere der Genfer Philosoph JeanJacques Rousseau hat nicht nur mit seiner Naturphilosophie und Gesellschaftskritik einen maßgeblichen Anteil zur ersten Gartenrevolution beigetragen, sondern auch bei ihm rückte das Thema Einsamkeit immer dann in den Mittelpunkt, wenn das einsame Subjekt und seine produktive Einbildungskraft bedacht wurden. Diese Einsamkeit ermöglichte nicht nur, zum höchsten Glück aufzusteigen, sondern in der Einsamkeit gelang die tatsächliche Identifikation mit der Natur am besten. Wie beim Traum, wo Wirklichkeit und Illusion wechselseitig ineinandergreifen, soll es das Ziel der Gartenträumereien sein,die Vorstellung einer besseren Welt hervorzurufen, wie es allein die produktive Einbildungskraft vermag.
Nicht umsonst spricht man bei Rousseau von einer Wahrnehmungs- oder Wirkungsästhetik, die sich von der Gehaltsästhetik eines Goethe oder Schiller unterscheidet, denn dort ist es die Urform (Goethe) oder der gesetzgebende Verstand (Schiller), dessen Regularien die ästhetische Urteilskraft motivieren.
Für Rousseau spannt sich die Moralität erst dort in die Seele ein, wo nicht der Verstand allein regiert, sondern wo es zu einem Wechselspiel zwischen Einsamkeit, Einbildungskraft, Betrachtung und empirischer Anschauung kommt – reine Wirkungsästhetik also.
Die moralgebende Kraft, die der Einbildungskraft innewohnt, ist es auch, die Sulzer und Hirschfeld immer wieder faszinierte. Auch für diese Denker wird sie zur kreativen Instanz, die einen wesentlichen Beitrag zu einem wahrhaft harmonischen Naturerleben beisteuert. So beschreibt Hirschfeld in seinerTheorie der Gartenkunst ausführlich die Bedeutung und den Stellenwert der Einbildungskraft: „Bewege durch den Garten stark die Einbildungskraft und die Empfindung, stärker als eine blos natürlich schöne Gegend bewegen kann.“[22]
Damit diese Wirkung erzielt und die Einbildungskraft produktiv werden kann, bedarf es einer Gartenkunst, die der rezpierenden Sinnlichkeit entgegenkommt. Die Aufgabe des Gartenkünstlers besteht demnach darin, daß mittels einer schön gestalteten Natur jene Wirkungen erzielt werden können. Die Beförderung der Einbildungskraft wird damit zu einer zentralen Wirkungsabsicht der Gartengestaltung, deren Stellung innerhalb der Wirkungsästhetik dann auch enorm aufgewertet wird. Dieser Aufwertung der Einbildungskraft steht ein negativer Begriff derselben gegenüber, wie er noch in der Deutschen Metaphysik von Wolff zu finden ist, denn hier wurde die Einbildungskraft nur als reproduzierendes und nicht als aktives Vermögen vorgestellt. So heißt es auch in Wolffs Vernünfftige Gedancken von Gott, Der Welt und der Seele des Menschen, auch allen Dingen überhaupt: „Die Vorstellungen solcher Dinge, die nicht zugegen sind, pfleget man Einbildungen zu nennen. Und die Kraft der Seele, dergleichen Vorstellungen hervorzubringen, nennet man die Einbildungs-Kraft.“[23]
Erst Sulzer kam, gegen Wolff und Kant sich wendend, in seinem Artikel über die „Einbildungskraft“ zu einer neuen ästhetischen Bewertung derselben. „Einbildungskraft. (Schöne Künste.) das Vermögen der Seele die Gegenstände der Sinnen und der innerlichen Empfindung sich klar vorzustellen, wenn sie gleich nicht gegenwärtig auf die würken. […] Insgeheim erstreckt sich der Begriff dieser Fähigkeit noch etwas weiter, indem man ihr auch noch das zuschreibt, was wir die Dichtungskraft genannt haben.“[24] Diese wird dann zu derjenigen Kraft, die „Vorstellungen von Gegenständen der Sinnen und der innern Empfindung, die man nie unmittelbar gefühlt hat, in sich hervorzubringen“ vermag.[25]
Es war aber nicht nur das Thema Einsamkeit, das die aufgeklärten Dessauer mit dem Namen Rousseau verbanden. Es war insbesondere der anti-gesellschaftliche Effekt, den die aus seiner Kulturtheorie herauslasen und –filterten. Für Rousseau war es die Kultur gewesen, die den Menschen verrohte, seine Gefühle und Sitten abgestumpfte und aufhob. Doch auch die Dessauer wollten nicht die letzte Konsequenz aus Rousseaus Kulturkritik ziehen und in den ursprünglichen Naturzustand zurückkehren. Selbst wenn man extra Einsiedler beschäftigte, die in den Grotten des Parkes vom einsamen Leben in der Natur kündeten, so verbanden die Wörlitzer damit eben nicht das radikale „Zurück zur Natur“, sondern sie suchten zu beweisen, wie viel Bedürfnisse der Mensch entbehren könnte, um dennoch glücklich und zufrieden zu leben.
Mit dem anti-kulturellen Effekt ging das Ideal einer asketisch-spartanischen Lebensweise als Tugendideal einher, wie sie nirgends besser verwirklicht werden konnte als in der Zurückgezogenheit des Landlebens. Wie Goethe später in seinem Wohnhaus im Park an der Ilm, sehnte sich auch der Dessauer Fürst nach ungestörter Ruhe, die ihm die Selbstfindung erlaubte, und wo er fern des höfischen Alltags ohne Etikette als freier Bürger leben konnte. Dieses Lebensideal – dafür stand letztendlich Rousseau Pate. Wie Cicero, Seneca, Plinius und Wieland lebte der Fürst in Wörlitz ganz für sich und für sein Privatvergnügen. „Er hielt da nicht Hof und hatte nur eine geringe Dienerschaft, einen Kammerdiener, zwei Lakaien, Koch und Reitknecht und zwei Vorbereiter um sich. Er betrachtet sich am liebsten wie einen englischen Lord, der, sich auf einige Zeit von Staatsgeschäften zurückziehend, im Kreise seiner Familie das Landleben genießt. Täglich speiste er im Gotischen Haus, wo er in engen aber kostbar in mittelalterlicher Art ausgestatteter Räume wohnte, im Sommer in der Turmkammer, wo nur sechs Personen Platz hatten. Kamen vornehme Freunde oder fürstliche Personen zum Besuch nach Wörlitz […] war große Tafel im Schlosse, […] dann machte der Lord dem Fürsten Platz.“[26]
So sehr das Thema Einsamkeit bei der Landschaftsgestaltung nachdrücklich Wichtigkeit erlangte, gehörte auch das gesellige Miteinander dazu, das sich in einer ausgeprägten Festkultur offenbarte. Die Feste am „Drehberg“, an dem jährlich zum Geburtstag der Fürstin Luise Festspiele für die gesamte Bevölkerung veranstaltet wurden, sind dafür ein sinnbildliches Zeichen. Die hier zelebrierte Festkultur erinnerte an griechische und römische Vorbilder, denn gemäß der Maxime „ein gesunder Geist wohnt in einem gesunden Körper“ legte der Fürst großen Wert auf die Verbindung von Spiel und Festlichkeit in einer als frei empfundenen Umgebung. Das Spielen und Feiern in der Natur, dies zu ermöglichen und seine „Untertanen“ daran teilhaben zu lassen, war Ausdruck und Spiegelbild der Menschenfreundlichkeit des Dessauer Regenten.

3. Schluß

Durch die Liebe zur Natur, durch die Erziehung an und durch den Park oder die Landschaft, die beim Gartenbesucher geweckt werden sollte, erhofften sich die Gestalter, ganz im Sinne Schillers, eine Ästhetisierung, die letztendlich dazu führt, daß sich das Individuum, durch die Schönheit vermittelt, zu einem sittlichen Weltbürger formt und frömmt. Bereits Kant unterstrich, wenngleich er nicht den Optimismus Schillers in Sachen Ästhetik teilte, der mit seinen ästhetischen Briefen Sinnlichkeit und Gesetzlichkeit synthetisieren wollte, die Nähe zwischen dem Gefühl für das Naturschöne und dem guten Willen. In seiner Kritik der Urteilskraft heißt es: „Ich räume zwar nun gerne ein, daß das Interesse am Schönen der Kunst […] gar keinen Beweis einer dem Moralischguten anhänglichen, oder auch nur dazu geneigten Denkungsart abgebe. Dagegen aber behaupte ich, daß ein unmittelbares Interesse an der Schönheit der Natur zu nehmen (nicht bloß Geschmack zu haben, um sie zu beurteilen) jederzeit ein Kennzeichen einer guten Seele sei; und daß, wenn dieses Interesse habituell ist, es wenigstens eine dem moralischen Gefühl günstige Gemütsstimmung anzeige, wenn es sich mit der Beschauung der Natur gerne verbindet.“[27] Moses Mendelsohn gar wird den Genuß des Naturschönen auf die Idee der göttlichen Vollkommenheit zurückführen, die sich in der Natur offenbart. Denn das Schöne der sinnlichen Erscheinungen als Vollkommenheit zu fassen, trägt bei ihm theologische Grundzüge, die das harmonische Verhältnis der Menschen untereinander – angesichts des Naturschönen – in eine Abhängigkeit vom idealen Bezug des Menschen von Gott versetzt.
Nicht nur die Themen von Einsamkeit und Ästhetisierung waren es, für die die Philosophie Pate stand, sondern auch wenn es darum ging, das Gefühl des Erhabenen und des Schönen beim Gartenbesucher hervorzurufen, blieb ein Rekurs auf diese unverzichtbar. So zielte der Gartenarchitekt Chambers auf der britischen Insel ganz auf die Wirkung des Erhabenen, während der schon angesprochene Lancelot Brown das künstlerisch Schöne und das Naturschöne vordergründig bei seinen Gestaltungsmaßnahmen berücksichtigte. Auch im Wörlitzer Gartenreich kamen die ästhetischen Kategorien des Schönen und Erhabenen immer wieder zur Anwendung.
Beides, die hervorgerufene Wirkung, die das Schöne oder das Erhabene beim Betrachter auslöst, ist ohne Edmund Burke und dessen Gefühls- oder Wirkungsästhetik undenkbar. Burke zählte nicht nur zu den einflußreichsten Empiristen der damaligen Zeit, sondern er hat die Unterscheidung zwischen dem Erhabenen und dem Schönen am sorgfältigsten gezogen. So verwundert es nicht, daß bedeutende Vertreter der Philosophie und Ästhetik wie Kant, Schiller, Solger und Vischer in ihm den Repräsentanten der ästhetischen Typologie sahen. Die sinnliche Wahrnehmung bleibt für Burke ausschlaggebend für die Emotionalität des Individuums. Das Schöne steht dabei als Grundinstinkt für die Selbsterhöhung, das Erhabene stimuliert die Selbsterhaltung. In seiner Schrift Philosophische Untersuchung über den Ursprung unserer Ideen vom Erhabenden und Schönen heißt es: „Alles, was auf irgendeine Weise geeignet ist, die Idee von Schmerz und Gefahr zu erregen, das heißt alles, was irgendwie schrecklich ist oder mit schrecklichen Objektiven in Beziehung steht oder in einer dem Schrecken ähnlichen Weise wirkt, ist eine Quelle des Erhabenen; das heißt, es ist dasjenige, was die stärkste Bewegung hervorbringt, die zu fühlen das Gemüt fähig ist.“[28] Das Schöne hingegen wird als Wohlgeordnetheit, Sympathie und Harmonie bestimmt.
Mit dem Ideal des Schönen verbanden die Gartengestalter immer wieder das bukolische Ideal der Hirtenlandschaft und die Pittoreske, wie sie sich idealtypisch in den Landschaftsbildern von Nicolas Poussin, Claude Lorrain, Salvator Rosa, Gaspard Dughet finden ließ. Diese ideal-gemalten Landschaften, die der Schönheit geweiht waren, wurden dann auch in den Gärten nachgebaut. Die Malerei wurde oft zum Vorbild der Landschaftsgestaltung, was sich auch heute noch exemplarisch in den Gärten von Stowe und Stourhead zeigt. Wie sehr den Besitzer von Stourhead – Henry Horare – Claude Lorrains Küste mit Äneas auf Delos inspirierte, wird dort ganz deutlich.
Auch in Wörlitz verbanden die Schöpfer mit der Idee des Schönen vorrangig Kleinarchitekturen, wie den „Floratempel“, die „Luisenklippe“, den „Venustempel“ und den „Englischem Landsitz“, mit dem Erhabenen hingegen das Moment der Überraschung. Dieser Effekt der Überraschung, der mit dem Affekt des Überwältigtseins einhergehen sollte, verbunden mit dem inszenierten Erschrecken vor dem „Unbekannten“, vor dem „Unendlichen“ und vor dem „Großen“, sollte beim Gartenbesucher mittels der Staffagen des Vesuvs und durch die Kettenbrücke, die zur „Mystischen Partie“ führt, hervorgerufen werden. Die Inszenierung der Natur war auf das Erleben und Erfühlen der Dimension der Unendlichkeit angelegt, denn wie man schon bei Burke lesen konnte, führte das Erlebnis des Unendlichen mittelbar zum Gefühl des Erhabenen. „Die Unendlichkeit ist eine weitere Quelle des Erhabenen, wenn sie nicht […] der Riesigkeit zuzurechnen ist. Unendlichkeit hat die Tendenz, den Geist mit derjenigen Art frohen Schreckens zu erfüllen, die die eigentümlichste Wirkung und das sicherste Merkmal des Erhabenen ist. Unter den Dingen, die zu Objekten unserer Sinne werden können, gibt es schwerlich irgendwelche, die in Wahrheit und ihrer eigen Natur nach unendlich sind. Aber da das Auge bei vielen Dingen nicht fähig ist, die Grenzen wahrzunehmen, sind diese Dinge scheinbar unendlich und bringen dieselben Wirkungen hervor, als ob sie es wirklich wären.“[29] Nur: Den Gedanken, daß das Unendliche das Erhabene impliziert, dies hatte der englische Philosoph keineswegs mit der Gartenkunst in Verbindung bringen wollen, sondern mit der Natur und deren gewaltigen Landschaftsformationen.
In Wörlitz, so muß man resümieren, und dies war auch letztendlich die Kritik vieler Gartenästheten, schlug dieser Versuch letztendlich fehl, denn mittels Staffagen und künstlichen Erdwällen das Gefühl der Erhabenheit wachzurufen, war doch nicht mehr als eine ästhetische Spielerei. Die Gartenkunst konnte das Gefühl, das den Wanderer in der freien Natur überkommt, nicht ersetzen. Darauf hatte schon Goethe früh hingewiesen und die Nachahmungssucht heftig kritisiert. Die Schilderungen, die Goethe von seinen Landschaftserfahrungen während seiner Schweizreisen beispielsweise gibt, waren schließlich mit dafür ausschlaggebend, daß eine Parkgestaltung nach den Maximen des Erhabenen zusehends an Wirkmacht verlor. Das in Freiheit erlebte Landschaftsgefühl, so wie es von Shaftesbury beschworen wurde, siegte letztendlich über einen bloßen Ästhetisierungswillen, die Romantik trat zugunsten der klassischen Sicht auf die Natur in den Hintergrund zurück.
Immer waren es diese romantischen Gefühlsspielereien, die nicht nur Goethe die Freude an einer Gartenkunst verdarben, die auf diese Affekthascherei aus war. Selbst wenn Goethe in seinen ästhetischen Schriften größtes und gesteigertes Interesse auf die Wahrnehmung und die Visualität legte, auf das Sehen, das aller künstlerischer Tätigkeit vorausgeht, so hatte er dabei doch nicht die verspielte Garten- und Wirkungsästhetik im Blick, sondern das reine Naturerlebnis, von dem es zu lernen gelte. Gärten, so zumindest für den Goethe der späteren Weimarer Jahre, erlangten letztendlich nur noch für die Botanik eine herausragende Bedeutung.


[1]Friedrich A. Uehlein, Kosmos und Subjektivität, Lord Shaftesburys Philosophical Regimen, Freiburg, München 1976. Shaftesbury wird zitiert: Anthony Ashley Cooper, Third Earl of Shaftesbury, Standard Edition, Sämtliche Werke, ausgewählte Briefe und nachgelassene Schriften, In englischer Sprache mit deutscher Übersetzung, herausgegeben, übersetzt und kommentiert von W. Brenda, G. Hemmerich, W. Lottes & E. Wolff, 6 Bde., Stuttgart 1984ff.
[2] Fritz P. Hager, Aufklärung, Platonismus und Bildung bei Shaftesbury, Bern, Stuttgart, Wien 1993, S. 79.
[3] Shaftesbury, Soliloquy, I, 1, S. 286.
[4] Shaftesbury, Miscellaneous Reflections, I, 2, S. 222-224.
[5] Shaftesbury, Die Moralisten, S. 148f.
[6] Shaftesbury, A.a.O., S. 107.
[7] Shaftesbury, A.a.O., S. 72.
[8] Shaftesbury, Philosophical Regimen, S. 15.
[9] Shaftesbury, A.a.O., S. 16.
[10] Horace Walpole, Über die englische Gartenkunst, Übersetzt von August Wilhelm Schlegel, hg. v. Frank Maier-Solgk, Heidelberg 1994, S. 18.
[11] Christian Cay Lorenz Hirschfeld, Theorie der Gartenkunst, Bd. III, Hildesheim, Zürich, New York 1985, S. 154.
[12] Ebda.
[13] Ebda.
[14] Hirschfeld, Theorie der Gartenkunst, Bd. III, S. 131.
[15] Johann Christian August Grohmann, Neue Theorie der Gartenkunst, Zwei Bände, Bd. 2, Leipzig 1797, S. 46f.
[16] Carl August Boettiger, Reise nach Wörlitz 1797, Aus der Handschrift ediert und erläutert von Erhard Hirsch, Wörlitz, Oranienbaum 1988, S. 22.
[17] Shaftesbury, Selbstgespräch I, I, S. 43.
[18] Shaftesbury, Die Moralisten II, 4, S. 234.
[19] Ebda.
[20] Shaftesbury, Eine Untersuchung über Tugend und Verdienst, S. 161.
[21] Ebda.
[22] Christian Cay Lorenz Hirschfeld, Theorie der Gartenkunst, Bd. I, Hildesheim, Zürich, New York 1985, S. 155f.
[23] Christian Wolff, Vernünfftige Gedancken von Gott, Der Welt und der Seele des Menschen, auch allen Dingen überhaupt, Achte, und hin und wieder vermehrete Auflage, Halle 1741, S. 130.
[24] Johann Georg Sulzer, Allgemeine Theorie der schönen Künste, 4 Bände, Neue vermehrte Auflage, Bd. II, Leipzig 1786/87, S. 10.
[25] Johann Georg Sulzer, Allgemeine Theorie der schönen Künste, 4 Bände, Neue vermehrte Auflage, Bd. I, Leipzig 1786/87, S. 459.
[26] Reil, F., Leopold Friedrich Franz, Herzog und Fürst von Anhalt-Dessau, Nach seinem Leben und Wirken, Wörlitz 1990, S. 113f.
[27] Immanuel Kant, Kritik der Urteilskraft, in: Kant Werke V, Darmstadt 1983, § 42, S. 395f.
[28] Edmund Burke, Philosophische Untersuchungen über den Ursprung unserer Ideen vom Erhabenen und Schönen, Hamburg 1980, S. 72.
[29] A.a.O., S. 110.

Über Stefan Groß-Lobkowicz 2159 Artikel
Dr. Dr. Stefan Groß-Lobkowicz, Magister und DEA-Master (* 5. Februar 1972 in Jena) ist ein deutscher Philosoph, Journalist, Publizist und Herausgeber. Er war von 2017 bis 2022 Chefredakteur des Debattenmagazins The European. Davor war er stellvertretender Chefredakteur und bis 2022 Chefredakteur des Kulturmagazins „Die Gazette“. Davor arbeitete er als Chef vom Dienst für die WEIMER MEDIA GROUP. Groß studierte Philosophie, Theologie und Kunstgeschichte in Jena und München. Seit 1992 ist er Chefredakteur, Herausgeber und Publizist der von ihm mitbegründeten TABVLA RASA, Jenenser Zeitschrift für kritisches Denken. An der Friedrich-Schiller-Universität Jena arbeitete und dozierte er ab 1993 zunächst in Praktischer und ab 2002 in Antiker Philosophie. Dort promovierte er 2002 mit einer Arbeit zu Karl Christian Friedrich Krause (erschienen 2002 und 2007), in der Groß das Verhältnis von Metaphysik und Transzendentalphilosophie kritisch konstruiert. Eine zweite Promotion folgte an der "Universidad Pontificia Comillas" in Madrid. Groß ist Stiftungsrat und Pressesprecher der Joseph Ratzinger Papst Benedikt XVI.-Stiftung. Er ist Mitglied der Europäischen Bewegung Deutschland Bayerns, Geschäftsführer und Pressesprecher. Er war Pressesprecher des Zentrums für Arbeitnehmerfragen in Bayern (EZAB Bayern). Seit November 2021 ist er Mitglied der Päpstlichen Stiftung Centesimus Annus Pro Pontifice. Ein Teil seiner Aufsätze beschäftigt sich mit kunstästhetischen Reflexionen und einer epistemologischen Bezugnahme auf Wolfgang Cramers rationalistische Metaphysik. Von August 2005 bis September 2006 war er Ressortleiter für Cicero. Groß-Lobkowicz ist Autor mehrerer Bücher und schreibt u.a. für den "Focus", die "Tagespost".

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