Philosophinnen-Lexikon

Feministische Philosophie!

Das wurde wahrlich einmal Zeit! Marit Rullmann zeichnet in ihrem ersten Philosophinnenband über 40 literarische Portraits, der zweite enthält 38 Lebensbilder wissenschaftsphilosophisch wirkender Frauen. Bisher veröffentlichte Werke zur Philosophiegeschichte oder auch philosophische Lexika weisen volitiv entweder gar nicht oder aber nur spärlich hin auf die wissenschaftlichen Arbeiten und Leistungen weiblicher Philosophen – dies gilt bezeichnenderweise für nahezu jeglichen Beitrag von Frauen zur Philosophie seit der Antike. Die Philosophinnen wirken als Korrektiv zu dem somit leicht entstehbaren Eindruck, weibliches Philosophieren gäbe es erst seit diesem Jahrhundert, seit sich etwa Hannah Arendt oder Simone de Beauvoir Gehör verschafften.

Marit Rullmann macht es sich zur Aufgabe, den „verschwiegenen Anteil der Frauen am philosophischen Geschäft“ aufzuzeigen. Die „vergessenen“ Leistungen der Philosophinnen, das entsprechend eindimensionale Bild, das lediglich männliches Wirken in Philosophie, Politik und Wissenschaft innerhalb der Philosophiegeschichte reflektiert, gilt es nicht nur zu kompensieren. Vielmehr erarbeitet das Werk eine spezifisch feministische Philosophie mit der Zielsetzung, beide Geschlechter zu thematisieren. Das Verhältnis der Geschlechter wird zur vorrangigen Frageperspektive der philosophischen Forschung erhoben. Die Philosophinnen amendieren ein zur Polemik tendierendes Verständnis, das Forschen nach einer letzten, umfassenden Klarheit und Wahrheit sei a priori männlich. Die Suche nach Antworten auf philosophischem Terrain wird von jeher von Männern und Frauen gleichermaßen bestritten – wobei allerdings stets mitbedacht werden muß, daß die Entfaltungsmöglichkeiten von Frauen aufgrund der ihr zugedachten Stellung und ihres damit verbundenen Alltags erheblich eingeschränkt waren. Die Philosophinnen beenden den gravierenden Ausschluß von Frauen aus der philosophischen Reflexion, längst überkommene, fossile Universalitätsansprüche werden mehr als nur in Frage gestellt und somit die seit Begründung der wissenschaftlichen Philosophie durch Aristoteles systematisierten Axiome revidiert.

Vertreten sind abendländische Philosophinnen unterschiedlicher Herkunftsländer und verschiedener philosophischer Richtungen. Eingang gefunden haben in das Werk auch solche Denkerinnen, die nicht in erster Linie Philosophinnen waren, sondern z. B. Ärztin wie Dorothea Erxleben oder Physikerin wie Mme du Châtelet oder Laura Bassi. Darüber hinaus werden Denkerinnen vorgestellt, deren Arbeit bisher wenig erforscht ist oder deren wissenschaftlicher Beitrag im philosophischen Diskurs als nicht unumstritten gilt (so etwa Margaret Cavendish oder Cassandra Fedele). Der soziokulturelle Hintergrund der jeweiligen Philosophinnenkarriere wird beleuchtet; eine Einbettung in den historisch situativen Kontext erfolgt mittels knapp gehaltener, dennoch unterhaltsam informativ gestalteter Einleitungskapitel, die dem Rezipienten den thematischen Zugang in Form eines kurzen philosophiegeschichtlichen Wegweisers erleichtern. Die jeweils spezifische Situation der weiblichen Philosophen wird in diesen Eingangskapiteln erörtert. Die Philosophinnen bieten dem Leser Sichtweisen an, die nicht grundsätzlich konform gehen mit historischen Traditionen. Die Epoche der Aufklärung bedeutete einen nicht zu leugnenden Fortschritt – für den männlichen Bevölkerungsteil, de facto einen Rückschritt für den weiblichen. Dagegen erfährt man, dass ein Frauenleben im (frühen) Mittelalter mit weitaus mehr Rechten ausgestattet war, als bisher gemeinhin angenommen.
Mit den Philosophinnen liegt endlich ein Werk vor, das weiblichen Denkerinnen einen Platz in der philosophischen Wissenschaftsgeschichte zuteil werden lässt und ihre Kongenialität nicht länger zu vertuschen sucht. Allerdings kann man sich des leisen Verdachts nicht vollends erwehren, Quantität könne ein mögliches Auswahlkriterium dargestellt haben. Insgesamt wäre vertiefende Information innerhalb einzelner Lebensbilder wünschenswert.

Dennoch: Die Philosophinnen verkörpern eine in der Tat interessante Einführungslektüre in Werk und Wirkung philosophisch tätiger Frauen in einer leicht verständlichen, lebendigen wie anschaulichen Darstellungsform. Philosophiegeschichtliche Orientierungskapitel und Philosophinnenportraits werden ergänzt durch ein verständnisförderndes Glossar und ein nach Epochen gegliedertes Literaturverzeichnis. Die Lektüre lohnt sich (nicht nur) für philosophisch Interessierte und bietet hoffentlich neben einigem Dissens- auch anregenden Diskussionsstoff.

Marit Rullmann (Hg.): Philosophinnen. 2 Bde. Suhrkamp Taschenbuch 2877 / 2878. Erste Auflage 1998
Bd. 1: Von der Antike bis zur Aufklärung
Bd. 2: Von der Romantik bis zur Moderne
(jeweils 19,80 DM)

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