Petra Kelly – Friedens-Ikone und Jeanne d’Arc der Moderne. Erinnerungen zum 75. Geburtstag

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Petra Kelly (1947 bis 1992) hätte am 29. November 2022 ihren 75. Geburtstag feiern können. Doch ihr Lebenspartner Gert Bastian hat sie vor etwa 30 Jahren im Alter von 44 Jahren erschossen. Bis heute ist ungeklärt, aus welchen Motiven heraus Bastian zu dieser Tat getrieben wurde und ob Petra Kelly in ihre Tötung einwilligte. Die etwas vorschnelle Einordnung der Tat durch die zuständige Staatsanwaltschaft als „erweiterter Suizid“ suggeriert diese Möglichkeit, denn sie ging nicht von Mord aus. Zahlreiche Menschen, die beide gut kannten, vertreten die Mord-Hypothese.

Im folgenden Beitrag geht es nicht um das unrühmliche Ende des Liebespaares und die beteiligten Motive oder Triebregungen, sondern um die Person Petra Kelly, die eben in diesen Tagen 75 Jahre alt geworden wäre. Friedens-Ikone, Friedensengel, Gallionsfigur der Grünen oder „Jeanne d’Arc des Atomzeitalters“ sind Metaphern, die die beeindruckende Persönlichkeit von Petra Kelly oft in Worte fassten.

Das Leben von Petra Kelly

Petra Kelly wurde am 29. November 1947 in Günzburg geboren. Ihr Vater verließ bald die Familie. Ihre Kindheit verbrachte sie bei ihrer Großmutter, die lebenslang für sie die wichtigste Bezugsperson war und mit der sie ein gemeinsames Grab in Würzburg als letzte Ruhestätte teilt. Ihre Mutter hat einige Jahre später den amerikanischen Offizier Kelly geheiratet und die Familie übersiedelte gemeinsam in die USA. Aus der zweiten Ehe der Mutter gingen noch die Halbschwester Grace und der Halbbruder Lee hervor. Petra besuchte in Hampton in Virginia die High School und hatte dort den besten Schulabschluss. Sie begann ein Politik-Studium in Washington, das sie im Jahr als beste ausländische Studentin abschloss. Von 1971 an arbeitete sie bei der EU-Verwaltung in Brüssel. Ein Jahr später lernte sie Willy Brandt kennen und wurde Mitglied der SPD. Als im Jahr 1979 der Nato-Doppelbeschluss und die Stationierung von Pershing-Raketen in Deutschland diskutiert wurde, protestierte Petra Kelly vehement in den Medien, schrieb einen Protest-Brief an Bundeskanzler Helmut Schmidt und trat aus der SPD aus. Bereits ein Jahr später im Jahr 1980 wurde sie Gründungsmitglied der Grünen und zog für diese Partei im Jahr 1983 in den Deutschen Bundestag. Vier Jahre später wurde sie erneut in den Bundestag gewählt. Im selben Jahr machte sie Reisen in die Sowjetunion und traf deren Präsidenten Gorbatschow. Durch Richtungskämpfe innerhalb der Partei der Grünen verlor sie an Einfluss und ihre politischen Niederlagen begannen. Im Jahr 1990 wurde sie nicht mehr in den Deutschen Bundestag gewählt und ein Jahr später ist sie bei der Kandidatur als Vorstandssprecherin der Grünen kläglich gescheitert. Von 660 abgegebenen Stimmen erhielt sie lediglich 32. Dies war für sie eine große narzisstische Kränkung. Mit der Abwärtsspirale ihrer politischen Karriere wurde Petra Kelly zunehmend psychisch krank, hatte Angstzustände und Panikattacken sowie Ohnmachtsanfälle bei öffentlichen Auftritten. Sie zog sich immer mehr zurück und flüchtete sich zunehmend regressiv in die Partnerbeziehung mit dem verheirateten Gert Bastian.

 Erinnerungen an Petra Kelly im Spiegel der Literatur und Medienberichte

Über das politische Vermächtnis von Petra Kelly liegen zahlreiche Bücher vor, die sie allein oder mit anderen geschrieben hat (Kelly 1982, 1983, 1988, 1990). Posthum erschien unter dem Titel „Lebe, als müßtest du heute sterben“ eine Sammlung von Texten und Interviews von ihr (Kelly 1997). Ihre engen Freunde Lukas Beckmann und Lew Kopelew gaben einen Sammelband mit den Reden anläßlich der Trauerfeier 1992 heraus, aus denen ihr Leben und Werk aus der Sicht von Freunden, Vertrauten und Wegbegleitern deutlich wird (Beckmann und Kopelew 1993). Zum 60. Geburtstag von Petra Kelly gab die Heinrich-Böll-Stiftung einen Sammelband über Petra Kelly heraus (Heinrich-Böll-Stiftung 2007). Es gibt zwei deutschsprachige Biografien über Petra Kelly. Zu ihren Lebzeiten erschien jene von Monika Sperr (1983), posthum erfolgte die sehr umfassende und fundierte Kelly-Biografie der Politikwissenschaftlerin Saskia Richter (2010). Diese Fülle von Buchpublikationen ergibt ein sehr plastisches und aussagekräftiges Bild des Menschen und der Politikerin Petra Kelly.

Zum Gedenken an den 60. Geburtstag von Petra Kelly verfasste der Journalist Stefan Reinecke das folgende aussagekräftige politische Porträt:

„Niemand verkörperte den idealistischen Glutkern der grünen Bewegung intensiver als Petra Kelly in der ersten Hälfte der 80er-Jahre: ihren Moralismus, ihr vibrierendes Menschheitspathos, ihren Schwung. 1980 bildeten sich die Grünen aus einer diffusen Mischung von ideologisch bankrottgegangenen Maoisten und Spontis, Deutschnationalen und Alt-68ern, rechten Ökologen und linken Kommunarden. Es war eine Mixtur, in der zusammenkam, was eher nicht zusammengehörte. Vor dieser Folie wurde Petra Kelly zum Star. Sie war, was gebraucht wurde: eine Symbolfigur, ein Unikat. Sie war politisch unkorrumpierbar, authentisch, fundamentalkritisch, ohne dogmatisch zu sein. Eine eigentümliche Mischung aus deutsch-protestantisch wirkendem Idealismus und pragmatischem, US-typischem Glauben an das Machbare.

Ihr Abstieg begann im Moment ihres Triumphes. 1983 zogen die Grünen in den Bundestag ein. Vielleicht hatte niemand daran so viel Anteil wie Kelly. Doch im parlamentarischen Normalbetrieb wurde Jeanne d‘Arc nicht gebraucht. Ihre Egozentrik war anstrengend, ihre Widersprüche waren schrill. Sie, die Menschenfreundliche, verbrauchte im Bundestag 32 Mitarbeiter. Sie redete der Basisdemokratie das Wort – und weigerte sich, zu rotieren. Sie agierte unermüdlich gegen Umweltzerstörung – doch süchtig war sie nach Telefonen und Fax. Bäume sah sie nur bei Fototerminen aus der Nähe. Sie plädierte für das Maßhalten – und kannte selbst in vielem keine Grenzen. Sie war unbeugsam. Doch das Unbeugsame wirkt oft nur von Ferne beeindruckend – aus der Nähe ähnelt es oft der Starre.“ (Reinecke 2007)

Film-Dokumentationen

Im Jahr 2001 erschien eine erste TV-Film-Produktion unter dem Titel „Kelly/Bastian – Geschichte einer Hoffnung“. Das zugrundeliegende Buch schrieb Wolfgang Menge, Regie führte Andreas Kleinert. Drei Jahre später folgte die Dokumentation „Die Mordakte Kelly und Bastian“ aus der Reihe „Geheimakte Geschichte“. Der BKA-Psychologe Michael Baurmann und die Historikerin Jennifer Schevardo untersuchten die Todesumstände aus dem Jahr 1992 und deuteten die Tötungen als eine Verzweiflungstat von Gert Bastian. Der Film wurde am 10. November 2014 in der ARD ausgestrahlt. Im Jahr 2019 sendete der MDR die Dokumentation „Petra Kelly und Gert Bastian. Tragische Symbolfiguren.“ In dieser Dokumentation stehen der jahrelange Abstieg, die vielen politischen Niederlagen und Kränkungen sowie die finale Isolation und Einsamkeit des einstigen Vorzeigepaares im Mittelpunkt. Die ehemaligen Medienstars und Ikonen wurden aus dem Rampenlicht verbannt, waren abgeschoben und abgemeldet. Gert Bastian, der zuvor gefeierte Friedensgeneral wurde zu einem „Soldaten ohne Auftrag“. Er fühlte sich überflüssig und gescheitert, so dass ihm nur diese letzte Verzweiflungstat blieb. Im Herbst 2022 waren zwei besondere Gedenktage – der 30. Todestag des Paares und der 75. Geburtstag von Petra Kelly. Im Gedenken an diese Ereignisse erschien im deutschen Fernsehen auf Sky eine dreiteilige Dokumentation mit dem Titel „Petra Kelly – Der rätselhafte Tod einer Friedensikone“. Die Autorin Anna Grün versuchte eine Synthese von historischen Filmaufnahmen, von inszenierten Darstellungen der Todesumstände und von Interviews, die mit ehemaligen Freunden, Bekannten und politischen Wegbegleitern geführt wurden. Dabei wurde wiederholt die Aktualität des Engagements von Petra Kelly und Gert Bastian betont – insbesondere bezüglich der aktuellen Krisen vom Ukraine-Krieg bis hin zur Klimakatastrophe. Nukleare Bedrohung, Umweltzerstörung oder Krieg – das sind heute in neuer Gestalt existentielle Bedrohungen, die bereits Petra Kelly und Gert Bastian umtrieben und mit denen sie sich als Aktivisten und Politiker auseinandersetzten.

Petra Kelly – zwischen Erinnern und Vergessen

Die langjährige Freundin und Wegbegleiterin Eva Quistorp schrieb zu ihrem 75. Geburtstag symbolisch einen offenen Brief an Petra Kelly. Quistorp war wie Petra Kelly Gründungsmitglied der Grünen und fünf Jahre lang Abgeordnete der Grünen im Europäischen Parlament. In ihrem Brief beklagte Quistorp, dass im Jahr 2019, als das 40jährige Jubiläum der Parteigründung der Grünen gefeiert wurde, Petra Kelly als Gründungsmitglied dieser Partei gar nicht erwähnt wurde. Wurde sie schlicht vergessen oder wird sie heute noch totgeschwiegen? Die offensichtliche Distanzierung führender Grünen-Politiker und die Abkehr von Petra Kelly ist erstaunlich. „Warum redet keiner über Petra?“ fragt sie. Ihrem Brief-Essay gab sie den Titel „Du darfst nicht vergessen werden.“ (Quistorp 2022). Fast zeitgleich erschien der Essay „Kelly, die fast Vergessene“ von Pascal Becker. Der erste Satz seiner Abhandlung lautet: „Als sie starb, war ihr Stern bereits verglüht.“ Becker beschreibt die politische Abwärtsbewegung von Petra Kelly, die seiner Einschätzung nach bereits 1983 begann. Bald kamen grüne Gegenspieler wie Joschka Fischer, Otto Schily oder Jürgen Trittin an die Macht, die wenig Wertschätzung für Petra Kelly hatten. Sie war abgemeldet und abgesetzt, wie ihre letzte Fernsehsendung. Der Versuch eines politischen Comebacks ist kläglich gescheitert. Bei der Vorstandswahl der Grünen in Neumünster im Jahr 1991 erhielt sie nur wenige Stimmen. Petra Kelly war zwar zunehmend psychische labil und erschöpft – aber nicht hoffnungslos. Sie hatte weiterhin einen vollen Terminkalender und im Ausland wurden ihre zwei Professuren angeboten. Weit aussichtsloser schätzte Gert Bastian seine Lage und Situation ein. Er nahm seinen Revolver und vollzog die Verzweiflungstat. Was blieb? „Zwei Leichen, viele offene Fragen“ – wie dies Ulrike Winkelmann (2017)  treffend formuliert hat.

Literatur

Baurmann, Michael, Schevardo Jennifer, Die Mordakte Kelly und Bastian. Geheimakte Geschichte Folge 2. Film von Heike Nelsen-Minkenberg und Tom Müller. ARD, Sendung von 10. November 2014

Becker, Pascal, Kelly, die fast Vergessene. Taz vom 1. Oktober 2022

Beckmann, Lukas, Lew Kopelew (Hrsg.): Gedenken heißt erinnern. Petra K. Kelly, Gert Bastian. Lamuv-Verlag, Göttingen 1993

Heinrich-Böll-Stiftung (Hrsg.): Petra Kelly. Eine Erinnerung. Heinrich-Böll-Stiftung, Berlin 2007

Kelly, Petra, Jo Leinen (Hrsg.): Prinzip Leben. Ökopax, die neue Kraft.  Verlag Olle und Wolter, Berlin/W. 1982

Kelly, Petra, Manfred Coppik (Hrsg.): Wohin denn wir? Texte aus der Bewegung. Oberbaumverlag, Berlin/W. 1982

Kelly, Petra, Um Hoffnung kämpfen! Gewaltfrei in eine grüne Zukunft. Lamuv-Verlag, Bornheim-Merten 1983

Kelly, Petra,  Gert Bastian (Hrsg.): Tibet: ein vergewaltigtes Land. Berichte vom Dach der Welt. Rowohlt, Reinbek 1988

Kelly, Petra, Mit dem Herzen denken. Texte für eine glaubwürdige Politik. Beck, München 1990

Kelly, Petra, Lebe, als müßtest Du heute sterben. Texte und Interviews. Zebulon-Verlag, Düsseldorf 1997

Quistorp, Eva, Du darfst nicht vergessen werden. Brief an Petra Kelly. Taz vom 29. November 2022

Reinecke, Stefan, Authentisch und unbeugsam. Erinnerung an Petra Kelly. Taz vom 29.November 2007

Richter, Saskia, Die Aktivistin: Das Leben der Petra Kelly. Deutsche Verlags-Anstalt, München 2010

Schwarzer, Alice, Eine tödliche Liebe. Petra Kelly und Gert Bastian. Kiepenheuer & Witsch, Köln 1993; aktualisierte Neuausgabe Kiepenheuer & Witsch, Köln 2001

Sperr, Monika, Politikerin aus Betroffenheit Petra Karin Kelly, Bertelsmann, Gütersloh 1983

Winkelmann, Ulrike, Zwei Leichen, viele offene Fragen. Deutschlandfunk vom 1. Oktober 2017

 

Korrespondenzadresse:

Professor Dr. med. Herbert Csef, An den Röthen 100, 97080 Würzburg

Email: herbert.csef@gmx.de

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Prof. Dr. Herbert Csef, geb. 1951, Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Psychoanalytiker. Studium der Psychologie und Humanmedizin an der Universität Würzburg, 1987 Habilitation. Seit 1988 Professor für Psychosomatik an der Universität Würzburg und Leiter des Schwerpunktes Psychosomatische Medizin und Psychotherapie an der Medizinischen Klinik und Poliklinik II des Universitätsklinikums. Seit 2009 zusätzlich Leiter der Interdisziplinären Psychosomatischen Tagesklinik des Universitätsklinikums. Seit 2013 Vorstandsmitglied der Dr.-Gerhardt-Nissen-Stiftung und Vorsitzender im Kuratorium für den Forschungspreis „Psychotherapie in der Medizin“. Viele Texte zur Literatur.