Spannungsfeld: Jugendliche – Erwachsenwerden – Familie. Wo endet die Jugend, wo fängt das Erwachsensein an? Der erste Job, die erste eigene Wohnung, das erste Kind, Heirat. Viele Schritte des Erwachsenwerdens, die noch vor wenigen Generationen direkt an die Schule anschlossen, verzögern sich heute bis ins vierte Lebensjahrzehnt. Gleichzeitig versucht die Politik in Deutschland, das Heranreifen der Jugend zu beschleunigen. Kinder werden früher eingeschult, die Schulzeit bis zum Abitur wurde verkürzt. Besteht darin vielleicht die Ursache, aus der die „Generation Vielleicht“, die „Generation Konjunktiv“ entsteht? Diese Titel beschreiben ganz gut die Haltung und das Dilemma, in dem sich die jungen Menschen heute befinden. „Auf der einen Seite wird die Welt immer anspruchsvoller, verlangt mehr Flexibilität und fordert Kompetenzen. Auf der anderen Seite will ein großer Anteil einer ganzen Generation nicht erwachsen werden“, kritisiert Psychoanalytiker und Buchautor Holger Salge, der den Bereich Psychotherapie Spätadoleszenter und junger Erwachsener an der Sonnenberg Klinik in Stuttgart leitet.
Es hat den Anschein, dass sich die „Patienten“ im Wartezimmer „Erwachsenwerden“ häufen. Ihr Symptom: das Dilemma der modernen Ratlosigkeit. Menschen, die in einer seltsamen Zeitblase leben und plötzlich merken, wie wenig sie in all den Jahren auf die Reihe gekriegt haben. Hinzu kommt ein schwindendes Gefühl für sich selbst und die eigene Einzigartigkeit. Was die Menschen dieser Generation vielleicht gerade erst beginnen zu realisieren, ist, dass die vielen Möglichkeiten sie bisher weder kreativer oder aktiver gemacht haben. Dass sie es selber sind, die diesen ganzen Wirrwarr immer wieder neu sortieren müssen. Dass ihre Stimme einfach untergehen kann im Weltweitrauschen. Und dass sie nicht nur jeden Winkel bereisen können, sondern dass sie der Welt nicht mehr entkommen können.
Ein derart typisch symptomatisches Exemplar hat Fabian Hischmann in sein Debütwerk gesetzt. Maximilian Flieger, Alter: 29, aus einem kleinen Dorf im Schwarzwald stammend, derzeit in Bremen ansässig, mit einem Faible für Tier-Dokus. „Das pralle Leben flimmert über den Bildschirm, und ich hänge als blasses Gegenstück auf dem Sofa, zwirble meinen Schwanz und das Schamhaar, lutsche alte, hart gewordene Gummibärchen.“ Doch dann reißt ihn ein Anruf seiner Eltern Claudia und Hans, zwei erfolgreichen Architekten, aus der Lethargie. Sie bitten ihn, während ihrer Abwesenheit – sie wollen für ein paar Wochen nach Griechenland, ins Ferienhaus einer Freundin -, Haus und Hund Lio zu hüten. Mehr widerwillig als enthusiastisch macht sich Max auf in den Süden, in seine ehemalige Heimat. „In den Sommern leuchteten die Hügel dort, wo Getreide wuchs, im Abendlicht orange, die Wiesen waren grüner als irgendwo sonst. Im Winter bauten wir Sprungschanzen für Schlitten, Reifen, Tüten, und jedes Jahr brach sich einer was.“ Doch die vorübergehende Rückkehr in die Heimat entwickelt sich nicht nur zu einer Reise in die Vergangenheit, sondern mit einem Knall – PENG! – zur Tragödie. Nun gilt es von heute auf morgen oder Knall – PENG! – auf Fall erwachsen zu werden. Max wird mit den Schatten seiner Lebensgeschichte konfrontiert. Und das ist keineswegs nur die verflossene Liebe zu Maria, die jetzt mit Jan, seinem damaligen Kontrahenten, und drei weiteren jungen Leuten in einer Art alternativer Wohngemeinschaft als „Hippie“ lebt. Und es ist auch nicht die „klebrige Reminiszenz an vergangene Sommerabende“. Der junge Mann wird beinahe einmal um die Welt reisen, dorthin wo er sich eine Antwort auf seine Alpträume und den weiteren Werdegang seines Lebens erhofft, um vielleicht am Ende anzukommen…
In kurzen und klaren Sätzen und ebensolchen knappen 83 + 0 Kapiteln, beschreibt Fabian Hischmann die persönliche Paranoia seines Protagonisten Max Flieger. Zuweilen ziemlich direkt und unverblümt, dann wieder sensibel und sensitiv offenbart sich der Text des Autors in seinem erstaunlich reifen Debütwerk als zwar geradlinig und inhaltsverkürzt, aber trotzdem unglaublich intensiv. Vom Duktus ähnelt sein Roman eher einer Kurzgeschichte. Nicht ausladend und opulent, sondern kurz und knapp, aber dennoch präzise und ausdrucksstark. Er vermag in zwei Zeilen mehr ausdrücken, als andere Bücher auf dreißig Seiten. Und auch wenn seine Erzählweise eher nüchtern ist, so schwingt doch eine große Melancholie zwischen den Zeilen mit. Eine Melancholie, ob der verlorenen, unbeschwerten Kindheit, der ungestümen Jugend und des noch nicht Angekommenseins, der vagen Zukunftsvorstellungen, der fehlenden Identität. „Ich spule zurück. Ich spule vor. Ich halte das Bild an. Ich schalte die Kamera aus. Erschöpft lehne ich mich zurück in den Sand. Zwei Möwen steuern über mich hinweg, die eine schreit und die andere kackt ins Wasser. Der Horizont ist diesig, keine Land in Sicht. (…) Mein ganzer Körper arbeitet an einem Gefühl, das ich nicht kenne, vage hat es wohl mit Angst zu tun, gleichzeitig aber auch mit Einsicht.“ Eingestreute Fantasien vermischen sich mit der Realität, lassen Umrisse und Grenzen verschwimmen zu einer neuen Wirklichkeit, die jedoch meist recht schnell wieder im Jetzt landet.
Fazit: Ein Buch über Heimat, Verlustschmerzen und Ankommen. Ein beeindruckendes Debüt über den Scheideweg Zukunft, das zu Recht für den Preis der Leipziger Buchmesse 2014 nominiert wurde.
Fabian Hischmann
Am Ende schmeißen wir mit Gold
Berlin Verlag (Februar 2014)
254 Seiten, Gebunden
ISBN-10: 3827011485
ISBN-13: 978-3827011480
Preis: 18,99 EUR
Kommentar hinterlassen
Du musst angemeldet sein, um einen Kommentar abzugeben.