Paul Celan zu seinem 100. Geburtstag

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Am 23. November 1920 wurde Paul Celan in Czernowitz geboren. Er hieß ursprünglich Paul Antschel,  das im Rumänischen Ancel mit „c“ geschrieben wurde. Daraus leitete Celan das Anagramm Celan ab, indem er den Buchstaben eine neue Reihenfolge gab. Czernowitz war damals im Habsburger Reich die Hauptstadt der Bukowina, gehörte später zu Rumänien und liegt heute in der Westukraine. Paul Celan wurde leider nur 50 Jahre alt. Zum Verfassen seines umfassenden lyrischen Werkes hatte er etwa 20 Lebensjahre. Davon war er aber in den letzten 10 Jahren psychisch krank. Sein erster Gedichtband hieß „Der Sand aus den Urnen“ und erschien im Jahr 1948 in Wien. Seine Gesammelten Werke in fünf Bänden wurden im Jahr 1983 im Suhrkamp-Verlag publiziert. Die Literaturwissenschaftlerin Iris Radisch (2020) bezeichnete Celan kürzlich als den „bedeutendsten Dichter der deutschen Nachkriegsliteratur“. Er steht in der deutschen Nachkriegslyrik in einer Reihe mit anderen großen Lyrikern wie Gottfried Benn, Karl Krolow, Günter Eich, Marie Luise Kaschnitz und Hilde Domin.

Im folgenden Beitrag zum 100. Geburtstag stehen die ersten 25 Jahre seines Lebens im Vordergrund.

Geburtsstadt Czernowitz – Herz der Bukowina

Paul Celan verbrachte mit kurzen Unterbrechungen 25 Jahre in seiner Geburtsstadt Czernowitz. Dort lernte er die ebenfalls bekannt gewordene jüdische Lyrikerin Rose Ausländer kennen, mit der er lange Zeit freundschaftlich verbunden blieb. Rose Ausländer wurde ebenfalls in Czernowitz geboren. Von ihr stammen lebhafte Beschreibungen von Czernowitz. In ihrem Band „Gesammelte Gedichte“ findet sich der Essay „Erinnerungen an eine Stadt“. Dort beschreibt sie ihre Geburtsstadt wie folgt:

„Czernowitz, die Hauptstadt des Kronlandes Bukowina, der ehemaligen österreich-ungarischen Monarchie. Die Bukowina, auch „Buchenland“ genannt – von den Nordost-Karpaten breitet sie sich hin über die waldreichen Berge und Hügel des Karpaten-Vorlandes, zur podolischen Steppentafel im Norden, zur bessarabischen im Osten. …Mehr als ein Drittel der Bevölkerung war jüdisch, und das gab der Stadt eine besondere Färbung. Altjüdisches Volksgut, chassidische Legenden lagen in der Luft, man atmete sie ein. Aus diesem barocken Sprachmilieu, aus dieser mythisch-mystischen Sphäre sind deutsche und jüdische Dichter und Schriftsteller hervorgegangen: Paul Celan, Alfred Margul-Sperber, Immanuel Weißglas, Rose Ausländer, Alfred Kittner, Georg Drozdowski, David Goldfeld, Alfred Gong, Moses Rosenkranz, Gregor von Rezzori, der bedeutendste jüdische Lyriker Itzig Manger u.a… Hier gab es: Schopenhauerianer, Nietzscheanbeter, Spinozisten, Kantianer, Marxisten, Freudianer. Man schwärmte für Hölderlin, Rilke, Stefan George, Trakl, Else Lasker-Schüler, Thomas Mann, Hesse, Gottfried Benn, Berthold Brecht.“ (Rose Ausländer, Erinnerungen an eine Stadt, 1976, S. 504-508)

Elternhaus, Einzelkind und früh Vollwaise

Paul Celan wurde in eine deutschsprachige jüdische Familie geboren. Er war Einzelkind. Er besuchte in Czernowitz das Gymnasium und begann im 18. Lebensjahr ein Medizinstudium. Dies wurde unterbrochen, als im Jahr 1940 die Bukowina von deutschen Truppen besetzt wurde. Juden wurden in dem örtlichen Ghetto eingesperrt. Celans Eltern wurden in ein Zwangsarbeiterlager deportiert, in dem sein Vater kurze Zeit später an Typhus verstarb und seine Mutter von einem SS-Mann umgebracht wurde. Celan war also mit 22 Jahren Vollwaise und litt sehr darunter, dass beide Eltern durch den Nazi-Terror verstorben sind.

Gemeinsame Erlebnisse mit Rose Ausländer in Czernowitz

Rose Ausländer und Paul Celan lernten sich in der Zeit der Nazi-Besatzung in Czernowitz kennen. Das gemeinsame Ghetto war durch Elend, Horror und Todestransporte bestimmt. Beide konnten sich in Kellern verstecken und verbergen. Beide haben den Nazi-Terror überlebt, der schließlich 1944 durch die Sowjettruppen beendet wurde. Nun erfolgte eine neue und andere Besatzung. Während ihrer gemeinsamen Todesdrohung durch die Nazis retteten sich Celan und Rose Ausländer seelisch ein Stück weit durch ihre lyrische Ausdruckskraft. Sie lasen sich wechselseitig jeweils die neu geschriebenen Gedichte vor. Bald nach der Befreiung durch die Russen trennten sich die Wege von Paul Celan und Rose Ausländer. Paul Celan ging über Bukarest und Wien nach Paris, Rose Ausländer suchte in den USA eine neue Heimat.

Rose Ausländers Besuch bei Paul Celan in Paris

Von den USA aus flog Rose Ausländer im Jahr 1957 nach Paris, um den befreundeten Paul Celan zu besuchen. In ihrem Essay „Alles kann Motiv sein“ beschrieb Rose Ausländer diesen Besuch mit folgenden Worten:

„1957. Zwei Wochen in Paris. Paul Celan lud mich mehrere Male zu sich ein, las mir viel Neuentstandenes vor, Gedichte, die später im „Sprachgitter“ erschienen sind. Er fragte nach meinen neuen Arbeiten. Zögernd zeigte ich ihm sechs Texte. Er reagierte sofort nach dem Lesen: „>Das unhörbare Herz<, >Atlantis<, >Ruf und Kristall< und >Eingeschneit< sind sehr, sehr, sehr schön. Auch >Blinder Sommer< ist ein gutes Gedicht.“ Das sechste gab er mir wortlos zurück. Kurz danach las ich „Mohn und Gedächtnis“ und „Von Schwelle zu Schwelle“: ein neues Modell poetischer Evokation. Celans sprachschöpferischer Existentialismus war überzeugend. Der Tod hatte seinen besten Dichter ins Leben gerufen.“ (Rose Ausländer, Alles kann Motiv sein, 1976)

Rose Ausländer blieb bis 1964 in den USA und kam dann zuerst über Wien nach Düsseldorf, wo sie noch 23 Jahre lebte.

Zwei wechselhafte Jahrzehnte bis zum Suizid

Von 1948 an lebte Paul Celan 23 Jahre in Paris. Dort heiratete er die Französin Gisèle Lestrange, mit der er einen Sohn mit Namen Eric gemeinsam hatte. Die Zeit in Paris lässt sich in zwei Hälften einteilen: Die Zeit vor der psychischen Erkrankung und die Zeit mit der Erkrankung bis zum Suizid. Paul Celan litt fast zehn Jahre lang unter schweren Depressionen, die mit heftigen Wahnvorstellungen einhergingen. Mehrmals versuchte er, seine Ehefrau umzubringen, so dass sie in den letzten Jahren zum Schutz der Ehefrau getrennt lebten. Es gab mehrere langdauernde Psychiatrie-Aufenthalte. Im 50. Lebensjahr hat sich schließlich Paul Celan suizidiert, indem er sich in der Seine ertränkt hat (Csef 2021).

Literatur:

Ausländer, Rose (1971) Alles kann Motiv sein. In: Motive, herausgegeben von Richard Salis, Tübingen, Erdmann-Verlag

Ausländer, Rose (1976) Erinnerungen an eine Stadt. In: Gesammelte Werke. Literarischer Verlag Braun, Köln 1976

Celan, Paul (1952) Mohn und Gedächtnis. Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart

Celan, Paul (1983) Gesammelte Werke in fünf Bänden. Hrsg. von Beda Allemann, Suhrkamp, Frankfurt/Main

Csef, Herbert (2020) Der Lyriker Paul Celan. Erinnerungen zu seinem 50. Todestag. Tabularasa Magazin vom 24. April 2020

Csef, Herbert (2020) „Die Todesfuge“ von Paul Celan. Rezeption und öffentliche Resonanz in Deutschland. Tabularasa Magazin vom 13. Juni 2020

Csef, Herbert (2021) „Versunken im bitteren Brunnen des Herzens“. Der Suizid des Lyrikers Paul Celan vor 50 Jahren. Suizidprophylaxe, Band 48

Emmerich, Wolfgang (2020) Celans Zerrissenheit. Ein jüdischer Dichter und der deutsche Geist. Galiani, Berlin, Köln

Radisch, Iris (2020) Etwas ist faul im Staate D-Mark. Ein Briefwechsel und neue Bücher zu Paul Celan, der sich vor 50 Jahren in der Seine ertränkt hat. Die ZEIT vom 16. April 2020

Korrespondenzadresse:

Professor Dr. med. H. Csef, Schwerpunktleiter Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Zentrum für Innere Medizin, Medizinische Klinik und Poliklinik II, Oberdürrbacherstr. 6, 97080 Würzburg

E-Mail-Adresse: Csef_H@ukw.de

Über Herbert Csef 150 Artikel
Prof. Dr. Herbert Csef, geb. 1951, Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Psychoanalytiker. Studium der Psychologie und Humanmedizin an der Universität Würzburg, 1987 Habilitation. Seit 1988 Professor für Psychosomatik an der Universität Würzburg und Leiter des Schwerpunktes Psychosomatische Medizin und Psychotherapie an der Medizinischen Klinik und Poliklinik II des Universitätsklinikums. Seit 2009 zusätzlich Leiter der Interdisziplinären Psychosomatischen Tagesklinik des Universitätsklinikums. Seit 2013 Vorstandsmitglied der Dr.-Gerhardt-Nissen-Stiftung und Vorsitzender im Kuratorium für den Forschungspreis „Psychotherapie in der Medizin“. Viele Texte zur Literatur.