Debatte anlässlich des Tages der Menschenrechte
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren,
Wir nehmen den Tag der Menschenrechte am 10. Dezember auch in diesem Jahr zum Anlass, die Menschenrechtsituation weltweit kritisch zu betrachten und auf aktuelle Brennpunkte hinzuweisen. Die Bilanz für 2015 fällt leider wiederum nicht positiv aus. Die Diskrepanz zwischen „Soll“ und „Haben“ bei der Umsetzung der Menschenrechte ist gewaltig.
Auch mehr als 65 Jahre nach der Verabschiedung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, kommt es weltweit immer wieder zu schwersten Menschenrechtsverletzungen. Wollte ich all das aufzählen, würde keine Stunde, kein Tag, keine Woche dafür ausreichen. Deshalb nur einige, besonders dramatische Beispiele:
Die Gewaltherrschaft der Terrormiliz „Islamischer Staat“ in Teilen Syriens und des Iraks entsetzt jeden Menschen der ein Herz hat. Der IS ist für schwerste Menschenrechtsverletzungen wie Massenhinrichtungen,
gezielte Angriffe auf Zivilisten und zivile Infrastruktur verantwortlich.
Seit der Ausrufung ihres“ Kalifats“ vor eineinhalb Jahren muss von mindestens 3.600 Hinrichtungen allein in den syrischen Gebieten ausgegangen werden. Die Begründung für die Hinrichtungen lauten Homosexualität, Hexerei, Ehebruch, Abfall vom islamischen Glauben.
Der IS rekrutiert Kinder und seine Schergen scheuen nicht davor zurück, Frauen und selbst Kinder systematisch zu vergewaltigen. Religiöse und ethnische Minderheiten wie Jesiden und Christen werden nicht nur unterdrückt,
sondern vertrieben und ermordet.
Der unter die Haut gehende Film der Jesidin Düzen TEKKAL hat und das beklemmend vor Augen geführt. Eine regelrechte Entführungsindustrie ist zu einer wichtigen Finanzierungsquelle der Islamisten heran gewachsen. Das barbarische Vorgehen dieser Terrormiliz muss von der Staatengemeinschaft gezielt und planvoll beendet werden. Zumal auch Europa inzwischen zu ihrem Aktionsfeld gehört.
Der Antrag der Koalition, über den wir heute beraten, greift einen weiteren zentralen Brennpunkt heraus. Er ist jenen gewidmet, die sich oft unter Einsatz ihres Lebens selbstlos für die Einhaltung der Menschenrechte in ihrem Land einsetzen: den Menschenrechtsverteidigern.
Sie engagieren sich in ihrem Land, wenn Menschenrechte missachtet und verletzt werden. Das Risiko für dieses Engagement ist hoch. Immer wieder werden Menschenrechtsverteidiger inhaftiert, gefoltert oder sogar getötet, manche „verschwinden“ für immer spurlos.
International dürfen wir nicht die Augen verschließen, wenn in Russland, der Türkei und China die Zivilgesellschaften immer mehr eingeschränkt, Nichtregierungsorganisationen in ihrer Arbeit behindern und kritische Journalisten in größter Gefahr sind.
In Russland eröffnen Gesetze gegen die Nichtregierungsorganisationen den Behörden die Möglichkeit, Andersdenkende zu verfolgen und die Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit massiv einzuschränken. Russland stellt Menschenrechte nun sogar unter seinen nationalen Vorbehalt. Mit dem gestrigen Beschluss der DUMA kann das russische Verfassungsgereicht selbst Urteile des europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zurückweisen.
Die Zahl der Nichtregierungsorganisationen, die vom russischen Justizministerium als „ausländische Agenten“ geführt werden, wächst. Es ist auch beunruhigend, wenn international das hohe Gut der Meinungs- und Medienfreiheit massiv unter Druck steht. Laut „Reporter ohne Grenzen“ wurden allein 2015 63 Journalisten getötet, 152 sind in Haft, 161 Blogger und Bürgerjournalisten sitzen ebenfalls in Gefängnissen ein.
Leider ist auch die Menschenrechtslage in der Türkei besorgniserregend. Insbesondere vor dem Hintergrund der derzeit laufenden Verhandlungen. Nach dem jüngsten sogenannten EU-Fortschrittsbericht sind eher Rückschritte auf dem Weg zu den Menschenrechtsstandards und den Werten der Europäischen Union zu verzeichnen. In Istanbul durften die Menschen den Tod des Menschenrechtsanwalts Tahir Elci, der am vergangenen Samstag unter ungeklärten Umständen auf offener Straße erschossen wurde, nicht einmal betrauern. Die Versammlung von hunderten Trauernden wurde mit Tränengas und Wasserwerfern gewaltsam beendet.
Im Iran haben sich die diplomatischen Annäherungen zur Entschärfung des iranischen Atomprogramms leider bislang noch nicht auf die Menschenrechtslage im Land ausgewirkt. Menschenrechtsanwälte und –verteidiger werden über zum Teil Jahrzehnte hinweg „weggesperrt“ und ihnen rechtstaatliche Verfahren verwehrt, um sie mundtot zu machen.
Wir signalisieren diesen Opfern mit unserer Debatte auch, dass sie nicht vergessen sind. Unvergessen sind die inhaftierten sieben Bahai-Führungsmitglieder, unter ihnen zwei Frauen, deren Freilassung wir immer wieder fordern. Sie verbüßen aufgrund falscher Anklagen und ausschließlich wegen ihrer Religionszugehörigkeit zwanzigjährige Haftstrafen unter menschenunwürdigen Bedingungen.
Auch in Kuba hat das diplomatische Tauwetter die Menschenrechtslage im Land nicht verbessert.
Allein im August wurden 768 Kubaner aus politischen Motiven kurzzeitig festgenommen,
mehr als 50 Regimekritiker sind im September 2015 von der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte als politische Gefangene registriert. Und Kuba geht mit ungeheurer Härte gegen die Frauen der Nichtregierungsorganisation „Damen in Weiß“ vor.
Die Förderung und der Schutz von Menschenrechtsverteidigern sind ein wesentliches Element der EU-Außen- und –Menschenrechtspolitik. Deshalb wollen wir die Umsetzung der EU-Leitlinien zum Schutz von Menschenrechtsverteidigern. Die Auslandsdelegationen der Europäischen Union, die deutschen Botschaften und die politischen Stiftungen nehmen hier eine Schlüsselrolle ein und tragen unsere Werte in die Länder.
Herzlichen Dank allen, die sich für Menschenrechte und deren Verteidiger einsetzen.
Quelle: erika-steinbach.de
Datum der Rede vor dem Deutschen Bundestag: 03.12.2015
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