Patricia Koller auf dem Slutwalk: „Der Beginn der Freiheit ist Mut!“

Wer frei sein will, darf nicht gehorsam sein

Slutwalk auf dem Münchener Marienplatz

Patricia Koller ist Aktivistin für Behindertenrechte und Inklusion, Leiterin eines bundesweit vernetzten Selbsthilfenetzwerks, Veranstalterin der Randgruppenkrawall-Behindertenproteste und Vorsitzende des Behindertenverband Bayern e.V. und sprach auf dem Slutwalk in München:

„Lasst uns Freiheit gemeinsam gestalten. Lasst uns freche, mutige Frauen sein, die sich ihren Stolz bewahren, wenn sie gedemütigt und verletzt werden und trotzdem weiter für unsere Ideale kämpfen. Lebt Euer Leben, wie IHR es wollt und lasst Euch von niemandem vorschreiben, wie Ihr zu sein habt. Ihr seid nicht auf der Welt, um so zu sein, wie Euch Männer haben wollen. Lasst Euch nicht in devote Rollen zwingen, sondern bringt ihnen bei, Euch zu respektieren und falls dies nicht klappt, Euch zu fürchten 😉 Niemand hat das Recht, uns klein zu reden, oder uns Angst zu machen. 

Als ich mal in einem Straßencafe saß, bekam ich mit, wie eine Gruppe von Männern die vorbeigehenden Frauen bewertete und ihnen Noten für ihr Aussehen gab. Sie machten sich einen Spaß daraus. Das ging eine ganze Weile so. Als ich mich aber zu ihnen umdrehte und sie fragte, welche Noten sie sich denn selbst geben würden, hörten sie damit auf. 

Die Illustrierten gaukeln Dir vor, daß Du nicht schön, schlank und sexy genug bist für diese Welt? Lach sie aus und kauf diesen Mist einfach nicht mehr. Nicht mal die Models sehen in der Realität so aus wie auf ihren stark retuschierten Fotos, für die sie eine ganze Weile in der Maske saßen. 
Die Medien sagen Dir, Du bist zu alt, um attraktiv zu sein? Für Frauen nach der Menopause interessiert sich niemand mehr?
Ich pfeife darauf, mit 60 megasexy sein zu müssen. Fuckability geht mir am Arsch vorbei. Ich stehe täglich meine Frau, kämpfe für unsere Rechte und reduziere mich nicht auf ein Objekt der Begierde. Es ist mir egal, ob mich irgendwer geil findet. Ich will gar keinen Klischees entsprechen und keine Rollen erfüllen, die man mir überstülpen möchte. Es ist wichtig, mit mir selbst im Reinen zu sein. Ich lasse mich nicht mehr einschüchtern, nicht unsichtbar und unhörbar machen. 

Männer sind wahrlich nicht das Maß aller Dinge und haben nicht 
darüber zu entscheiden, ob ICH mich gut finden darf. Ob WIR uns 
gut finden und fühlen dürfen. 
Seid selbstbewusst. Seid unbequem. 

Wartet nicht auf einen Prinzen. Seid Königinnen! Erzieht Eure Söhne zu Männern, die Frauen schätzen und respektieren gelernt haben. Erzählt Euren Töchtern keine Erlösermärchen mehr, sondern Geschichten von frechen, mutigen Mädchen, die ihre eigenen Wege gehen und damit die Welt verändern. Schenkt ihnen schon in jungen Jahren einen Selbstverteidigungskurs, oder schickt sie zum Kampfsport. Macht sie zu starken Frauen, die selbst denken und unabhängig sind. 


Man hat Dir als Kind beigebracht, gering von Dir zu denken, weil Du „nur“ ein Mädchen bist? Schmeiß das Muster weg und strick Dir ein neues! Fang mit: „Ich bin es wert, geachtet und geliebt zu werden“ an und mach damit den Weg für Deine Selbstwerdung frei. Tue auch Dir jeden Tag ganz bewußt etwas Gutes. Denk nicht nur an Familie und wer sonst noch alles Erwartungen an Dich stellt.


Man hat Dich missbraucht und verletzt? Hol und gib Dir alles, was Du brauchst, um zu gesunden. Du bist Dein eigenes Maß und nimmst Dir Deine Zeit. Das Gras wächst auch nicht schneller, wenn man daran zieht…
Man überzog Dich nach einem Verbrechen mit Schuldzuweisungen, weil der arme Täter ja nicht anders konnte, denn schließlich ist er ja nur ein MANN, den seine Hormone im Griff haben? Hör nicht hin, denn sie denken und sie fühlen nicht. Sie reden so, wie sie schon immer die Opfer geschmäht haben. So brauchen sie sich nicht in ihre Lage zu versetzen und schütteln die beängstigenden Gedanken ab. Weil es viel bequemer für sie ist. Die Gesellschaft ächtet viel zu oft die Geschädigten und bewirft sie obendrein noch mit Dreck.

„Es wird schon nicht so schlimm gewesen sein…“

Doch, das war es. Es war so schlimm und grausam, wie DU es erlebt und empfunden hast und nicht so, wie es diejenigen behaupten, die gar nicht dabei waren. 

Geh Deinen Weg für Dich und wenn Du ihn gefunden hast, hilf anderen Opfern, ihren Weg zu finden. Sei solidarisch mit anderen Betroffenen und lass Dich nicht gegen sie ausspielen. Sei Du ein Teil der Veränderung, die Du Dir wünschst.

Ein Trauma verändert ein Leben nachhaltig. 

Aus der Angst und der Verletzung wird Wut. Aus ihr erwächst die Stärke der Überlebenden. Nutzt Eure Wut, schickt sie ins All und wandelt sie in Energie um. Seid Euer eigener leuchtender Stern und geht denen voran, die im Dunkeln folgen. 

Der Weg wird leichter, wenn man ihn gemeinsam geht. 

Ich komme nun mit meinem Lieblingszitat von Nelly Sachs langsam zum Ende:  „Wer im Dunkeln sitzt, zündet sich einen Traum an.“

Ich träume von solidarischen Frauen, die sich gemeinsam wehren und damit ihre Freiheit stärken. Freiheit bedeutet nicht nur die eigene Freiheit, sondern auch die der anderen zu respektieren und in ihrem Kampf zu unterstützen. 

Zum Schluß noch eine Einladung: 

Wir demonstrieren am 1. August ab 14 Uhr auf dem Marienplatz in München für ein selbstbestimmtes (!) Leben, Teilhabe und Barrierefreiheit.

Wir protestieren gegen Ausgrenzung, Bevormundung und Unterdrückung.
Ich lade Euch hiermit herzlich ein, auch bei unserem Randgruppenkrawall-Behindertenprotest dabei zu sein!

Frauen mit Behinderungen sind doppelt so häufig Opfer von Gewalt wie Frauen ohne Behinderung und nahezu dreimal so oft Opfer von sexueller Gewalt.

Patricia Koller, Aktivistin für Behindertenrechte

Über Patricia Koller 22 Artikel
Die Autorin Patricia Koller recherchiert und schreibt zu sozialen Themen (wie z.B. Opfer von Gewaltverbrechen) und kämpft als Aktivistin für die Verbesserung der Rechte von Schwerbehinderten und psychisch Kranken. Sie ist ehrenamtliche Helferin für Schwerbehinderte und psychisch Kranke und Leiterin der Selbsthilfegruppe “Persönliches Budget für Schwerbehinderte – Behindertenrecht”.