Ein paar Monate nachdem Tom McCarthy mit seinem preisgekrönten Film Spotlight eine Ode an den investigativen Journalismus schrieb und dafür den Oscar in der Kategorie „Bester Film“ gewann, müssen wir uns nicht mehr vor die Leinwand setzen, um Zeugen eines ähnlich filmreifen Spektakels zu werden. Es genügt schon die Facebook-Seite, die Twitter App oder die Zeitung eine der größten journalistischen Recherchearbeiten des vergangenen Jahrzehnts zu verfolgen, die für manche ein Zeugnis der Glanzarbeit, für andere einen zweifelhaften Beigeschmack des investigativen Journalismus hinterlässt.
Mit Panama Papers hat ein Zusammenschluss von 400 Journalisten aus 80 Ländern am Sonntag eines der größten Datenlecks veröffentlicht und womöglich Geschichte geschrieben. Das Leak umfasst mit seinen 11,5 Millionen Dokumenten 2,6 Terrabyte, eine Zahl, die ebenso unvorstellbar wie abstrakt wirkt. Zum Vergleich: Edward Snowden veröffentlichte 1,7 Millionen filtrierte Dateien der NSA, Wikileaks umfasste zwei Millionen „Syria Fails“. Damit sind die Panama Papers größer als die von Wikileaks veröffentlichten Botschaftsdepeschen, Offshore-Leaks, Lux-Leaks und Swiss-Leaks zusammen. Doch immer noch steht Qualität vor Quantität, und so sollte man sich nicht von den überwältigenden Zahlen blenden lassen, denn noch ist unklar wie viel davon tatsächlich relevante und brauchbare Daten sind.
„Interessiert an Daten?“
In einem anonymen Anruf wurden sie, der Quelle zu Folge, aus moralischen Gründen, Bastian Obermayer von der Süddeutschen Zeitung anvertraut. Nach einer Authentizitätsüberprüfung und Verifizierung durch das Abgleichen mit einem kleineren Datenleak Mossack Fonsecas von 2014, entschied sich die Süddeutsche Zeitung, die Daten aufgrund ihrer internationalen Relevanz und Größe mit Medien zahlreicher anderer Länder und dem International Consortium for Investigative Journalists (ICIJ), einem internationalen Verein für investigative Journalisten, zu teilen. Zusammen recherchierten die Medienorganisationen etwa ein Jahr in den Dateien, für dessen Auswertung und Erfassung ein Programm, das sonst von internationalen Ermittlungsbehörden genutzt wird, benötigt wurde.
Was heraus kam waren handfeste Fakten zu einem offenen Geheimnis: über tausende E-Mails, Datenbankformate und Text-Dateien, die von der Zusammenarbeit vieler internationaler Prominenter und Regierungschefs mit der Briefkastenfirma Mossack Fonseca zeugen. Diese panamische Kanzlei gründet und verwaltet Briefkästen, deren Kauf zwar nicht illegal, aber häufig der Verschleierung von schmutzigen Geldgeschäften und Delikten dient. Mit diesem Einblick in die sonst verborgene Welt der Geldwäsche und Steuerhinterziehung ist dem Zusammenschluss an Journalisten ein großer Schritt zurück zu einem fast schon verschollenen investigativen Journalismus gelungen.
Mit Vorsicht zu genießen
Auch wenn von vielen als Meisterwerk gekürt, steht die Recherchearbeit für andere nun auch zunehmend in der Kritik. Die von der Süddeutschen Zeitung eigens für die Affäre angelegte Webseite wirkt schnell reißerisch, sie arbeitet mit fast karikaturistischen Zeichnungen, plakativen Schlagzeilen und wenig, aber dafür provokantem Text. In verschiedenen Artikeln wird das wer, das wie und das was zwar eloquent erklärt, viele Details werden jedoch in Schlagfertigkeit verschleiert und bleiben schwammig und unklar. Wo hört investigativer Journalismus auf, wo fängt Sensationalismus an?
Aus Halbwahrheiten werden Schlagzeilen
Auffällig ist, dass Putin intensiv in den Mittelpunkt gerückt wird. Sein Name taucht in fast jeder zweiten Schlagzeile auf, in den Dokumenten jedoch kein einziges Mal. In die Geschäfte war lediglich ein mit ihm befreundeter Cellist, der Patenonkel seiner Tochter involviert. Selbst wenn Putin Unschuld strittig ist, lässt das eher auf Verwirtschaftlichung als auf nachhaltige Recherche schließen. Das Nennen vieler bekannter Namen, die jedoch nur indirekt betroffen sind, sorgt nämlich für skandalträchtige Schlagzeilen und damit für erhöhte Leserzahlen. Fragwürdig ist außerdem, wieso keine Namen westlicher, beispielsweise Deutscher oder US-amerikanischer Politiker genannt werden, obwohl die USA bekanntlich als eine der größten Steueroasen gilt. Die Erklärung liefert die Süddeutsche Zeitung auf ihrer Webseite selbst, ihnen zu Folge befänden sich bisher „keine Daten westlicher Politiker in den Unterlagen“. Sollte dies stimmen, stellt sich die Frage, inwiefern die anonyme Quelle die Daten tatsächlich aus „moralischen Prinzipien“ und nicht aus parteilichen Gründen geliefert hat. In dem Falle drohe der Presse die Gefahr, instrumentalisiert zu werden und als Lautsprecher für die unbekannten Motive und Absichten der anonymen Quelle zu dienen.
Nichts als heiße Luft?
Strittig ist außerdem die Frage um die ethische Korrektheit der Aufdeckung. Die Journalisten wandern auf einem schmalen Grat zwischen Recht und Gerechtigkeit, denn auch wenn sie viele Delikte aufdecken, wurden die Daten durch eine Straftat erlangt, und somit machen sich die Medien zu Informanten ebenso wie zu Komplizen. Und das alles, wofür? „Cui bono?“, „wem nützt es?“ lautet die essenzielle Frage des investigativen Journalismus. Nun ist die Bombe geplatzt, noch scheinen jedoch alle mit der Explosion überfordert zu sein. Die Daten hängen in der Luft und niemand weiß wirklich etwas mit ihnen anzufangen. Ein Grund dafür ist womöglich die vorherrschende Unklarheit über die tatsächliche strafrechtliche Lage, zumal das Errichten von Briefkastenfirmen im Ausland an sich nichts Illegales anhaftet. Verstärkt wird die allgemeine Ratlosigkeit durch die Verweigerung des Journalistenkonsortiums, die Daten der Staatsanwaltschaft und der Steuerfahndung zur Verfügung zu stellen. Ist es fair, verschleierte Fakten hinauszuposaunen und damit für eine Sensation zu sorgen, den Ruf etlicher Menschen zu ruinieren ohne jedoch die komplette Wahrheit ins Licht rücken und die Daten öffentlich machen zu wollen? Die moralische Korrektheit der Journalisten bleibt somit ebenso debattierbar, wie die Frage nach der wahren Sensation: ist der tatsächliche Skandal nun die Aufdeckung an sich oder seine Bedeutung für den Journalismus? Wir bleiben mit unserer Popcorn-Tüte vor dem Live-Ticker sitzen und sind gespannt: the show must go on.
Isabella Escobedo wuchs als Tochter einer deutsch-spanischen Familie mit venezolanischem Einfluss in Madrid auf. 2009 tauschte sie Flamenco gegen Karneval und zog ins schöne Rheinland. Weiterhin vom Fernweh getrieben verschlug es sie nach dem Abitur 2014 für ein Freiwilliges Soziales Jahr nach Südindien. Nun, zurück in Deutschland, hat sie vorerst in Bonn ihr Zelt aufgeschlagen, wo sie nachhaltige Wirtschaft studiert und sich nebenbei ihrer großen Liebe für das geschriebene Wort widmet. Als rasende Reporterin ist sie bei f1rstlife für gesellschaftliche und wirtschaftliche Themen mit einem Schwerpunkt auf Nachhaltigkeit unterwegs.
Kommentar hinterlassen
Du musst angemeldet sein, um einen Kommentar abzugeben.