Ost und West passen immer noch nicht zusammen! Warum eigentlich?

DDR-Sandmaennchen, Foto: Stefan Groß

Am 5. Februar  2018 übertraf die Anzahl der Jahre (28), Monate (2) und Tage (27), an denen die Berliner Mauer von den DDR-Deutschen durchbrochen und historisch abgeräumt wurde, den Zeitraum, in dem das am  Sonntag, den 13. August 1961, errichtete Bauwerk bestanden hatte.

Die Konstruktion zum Erhalt einer – von den Machtrealitäten des Ost-West-Konfliktes geschützten – banalen Utopie, kaschiert mit ideologischem Billigmaterial („antifaschistischer Schutzwall“, a.k.a. Antifaschuwa), verschwand am 9. November 1989 im historischen Orkus. Dessen ungeachtet scheint sie, beidseitig der einstigen Grenze beschworen von Deutschen sowie anderen Deutern der deutschen Geschichte und Gegenwart, bis dato im Begriff der „Mauer in den Köpfen“ als Gebilde fortzuexistieren. Was sind dabei Fakten, was ist daran Fiktion? Und warum beides zugleich?

Klar, den stets moralisch besorgten Auguren in den Medien fallen sogleich die Wahlergebnisse in den neuen Bundesländern ein. Erst das Auftauchen der NPD in einigen Landtagen, sodann das groteske Zwischenspiel der so genannten DVU  in Sachsen-Anhalt und in Brandenburg und zuletzt die Zwanzig-Prozent-Ergebnisse für die AfD in Sachsen und anderswo. Hinsichtlich der – derzeit anscheinend schwindenden – Erfolge der Mutationspartei PDS/Linkspartei/DieLinke hatte sich die mediale Hauptverwaltung der deutschen Politik bald gewöhnt. Die Linke ist bekanntlich links, genießt daher den Demokratiebonus und durfte von Anfang an in Brandenburg mitregieren. Sie gehört zu verlässlichen Kräften im „Kampf gegen rechts“, wird darum auch nicht mehr vom Verfassungsschutz beäugt. Man stört sich allenfalls an der Evidenz der Fakten, dass die AfD „im Osten“ ihre Wählerschaft aus dem „volatilen“, sprich unzuverlässigen Potenzial vor allem von der CDU, auch von der SPD, last but not least  der „Linken“, bezieht. Und klar, die Pegida-Protestierer, die gegen „Flüchtlinge“ auftretenden Demonstranten in Cottbus und sonstwo, finden keinen Geschmack an der aus dem Westen hereingetragenen Multikulti-Parole „Bunt statt braun“.Warum auch? Sie stehen unter westdeutschem Nazi-Verdacht. N.b.: Die Neonazis und deren Gewalttaten sollen hier nicht bagatellisiert werden.

Die Feststellung der bloßen Fakten genügt nicht zur Erklärung. Die Analyse darf sich nicht auf den Realitätsschock beschränken, den die – ob ihrer „Euphorie“(alte Rechtschreibung) westmedial bespöttelten DDR-Deutschen (= „Ossis“) in den Jahren nach der 1989/90 herbeigesehnten Wiedervereinigung („Wir sind ein Volk“) erlebten: Zusammenbruch der teils verrotteten, teils – mit in der Hochzinsphase aufgenommenen Krediten – modernisierten Betriebe, Massenarbeitslosigkeit, Arbeitssuche in noch so entlegenen Produktionsstätten und Büros im Westen. Im Gegenzug kamen die Geschäftemacher,  die freigewordene Lehrstühle besetzenden, vordem der „deutschen Frage“, erst recht der „nationalen Frage“ mehrheitlich abholden linksliberalen Professoren sowie – mit „Buschprämie“ (haha!) entsandte –  Beamte aus dem Westen.  Unter den Neugekommenen gab es immerhin nicht wenige, die mit lauteren patriotischen Absichten in die neuen Bundesländer kamen. Der Gesamteindruck blieb – genährt von Ressentiments der politischen Verlierer – oft negativ. Die Reaktion der „Ossis“ fand Ausdruck im Begriff der „Besserwessis“.

Das aus vielerlei Gründen –  Unkenntnis der realen westlichen Verhältnisse, real erfahrene und vermeintliche Kränkungen, von  PDS-Funktionären beförderte Ressentiments – erwachsene, sich im unerwünschten Wahlverhalten manifestierende „Sonderbewusstsein“ in den östlichen Regionen des vereinten Landes hat noch tiefere, selten beachtete Wurzeln. Eine davon ist die von dem atheistischen SED-Regime erfolgreich betriebene Abkehr der großen Mehrheit von der evangelischen Kirche, die eine faktische Entchristianisierung weiter Gebiete nach sich zog. Eine bemerkenswerte Ausnahme stellen dabei die als AfD-Hochburgen bekannten Städte und Dörfer im Erzgebirge dar, wo einst die DDR-Kirche („Kirche im Sozialismus“) die höchsten Spenden für die Aktion „Brot für die Welt“ einsammeln durfte.

Dass in einer kirchenfernen Landschaft die von Pastoren und grünen Führungsfiguren wie Göring-Eckardt, unvollendete Theologin aus „bürgerlichem“ – in den Innenräumen noch braun ausgestatteten  – Hause propagierte „Willkommenskultur“ samt diversity-Ideologie auf steinigen Boden fällt, kann nicht überraschen. Die Schuld liegt indes nicht allein bei einigen östlichen AfD-Funktionären, die, ausgestattet mit ML-Grundwissen, ihre Verachtung für „das Opium des Volkes“ kundtun. Die Aversion gegen die – mit vordergründigen gesinnungsethischen Parolen begründete – verkündete Liebe zu Multikultur und  Masseneinwanderung (Göring-Eckardt: „Unser Land wird sich ändern, und zwar drastisch. Und ich freue mich darauf.“) ist nicht unbegründet.  Gesunder Menschenverstand und politische Vernunft erkennen längst die Grenzen und Gefahren des nicht erst seit 2015 von Merkel et alii betriebenen gesellschaftlichen Laborexperiments. Es wäre die Pflicht der Kirchen, die Fragwürdigkeit des Experiments – den ungehinderten Zustrom von mehrheitlich muslimischen Immigranten in die – weithin von Sinnverlust geprägte – christlich-säkulare Kultur  zu erkennen und zu benennen.  Zur Ironie des von Kirchenaustritten – im Westen – akzentuierten Bedeutungsverlusts vornehmlich der protestantischen Kirche gehört, dass die von Bezügen auf die deutsche NS-Geschichte  getragene Idee von Schuld – anstelle des alten Sündenbegriffs – als vermeintlich transzendierende religiöse Botschaft kaum von der bundesrepublikanischen Zivilreligion zu unterscheiden ist. Immerhin liegt jetzt ein Buch vor, in dem drei unverdächtige Autoren aus christlicher Verantwortung die Problematik unbegrenzter Einwanderung aufzeigen. (Eva Quistorp – Richard Schröder – Gunter Weißgerber: Weltoffenes Deutschland? Zehn Thesen, die unser Land verändern, Herder-Taschenbuch 2018).

Ein anderes, von den „westlich“, id est  linksliberal („weltoffen“) sozialisierten Beobachtern der Szene im „Osten“ von Anbeginn mit Mißfallen registriertes Phänomen ist das offenbar ungebrochene Nationalgefühl der Ostdeutschen. Natürlich spielt dabei das Faktum eine Rolle, dass der in der DDR propagierte Antifaschismus als wohlfeiles historisches und identifikatorisches Sinnangebot eine tiefere Auseinandersetzung mit  Wurzeln und Fakten der deutschen Katastrophe überflüssig machte.

Umgekehrt erwuchs in Westdeutschland  eine teils reflektierte Distanz zum überkommenen Nationalgedanken, teils – vornehmlich  im Gefolge von „1968“ – oberflächliche „postnationale“ Grundhaltung, bei einigen tonangebenden Grünen. etwa aus dem kreischenden Munde einer Claudia Roth,  eine geradezu pathologische Ablehnung jeglicher Definition von nationaler Identität – und
dies unter ständigem Bezug auf die deutsche NS-Geschichte. Zwar wären die Grünen anno 1990 um ein Haar aus dem Bundestag geflogen – hätte nicht der Wahltrick Wolfgang Schäubles ihnen über das ostdeutsche „Bündnis ´90“ zum Entree verholfen. Von dieser peinlichen, von gesamtdeutschen Emotionen verursachten Niederlage erholten sich die westdeutschen Grünen in den 1990er Jahren schnell wieder. Im weitesten Sinne „grüne“ (oder linksliberale)  Ideologie – ein Gemisch aus moralischem Überlegenheitsanspruch, historischer Selbstverleugnung und naivem Universalismus – fungiert als Überbau des vor 28 Jahren wieder vereinten Deutschland.

Den Deutschen im östlichen Teil der Bundesrepublik war die westdeutsche Ideologie von vornherein fremd. Ihre Lebenserfahrungen mit der teils ertragenen, teils akzeptierten kommunistischen Diktatur waren grundsätzlich andere als die von mehreren  wohlstandsverwöhnten Jugendgenerationen der bundesrepublikanischen  Gesellschaft. Die Hoffnungen der DDR-Deutschen auf den Prager Frühling von 1968 waren grundverschieden von den utopischen Konzepten der westdeutschen „Achtundsechziger“.

Dass die Deutschen im östlichen Deutschland sich in ihrer politischen Kultur- und in ihrem Selbstverständnis – noch immer weithin von den Westdeutschen unterscheiden, ist vor dem skizzierten Hintergrund nicht verwunderlich. Inzwischen – so entnehme ich dem „sozialen Medium“ Facebook – ist das geistige Innenleben, die kulturelle Sonderheit der „Ostdeutschen“  Forschungsgegenstand an der seit der von westlichen „Linken“ abgelehnten Wiedervereinigung westlich-weltoffen umgewandelten  Humboldt-Universität zu Berlin. Eine Facebook-„Freundin“ schrieb, die Bewußtseinsverfassung der deutschen Bewohner der Gebiete zwischen Elbe und Oder werde an der HUB „beforscht“.

Die Forschungsergebnisse sind absehbar. Eine eindrucksvolle Erklärung des politisch unerwünschten Gebarens,  geschrieben aus der Innenperspektive eines Deutschen mit spezifischer ost-deutscher Geschichtserfahrung – die Eltern wurden anno 1946 von ihrem Hof in Schlesien vertrieben –  lieferte unlängst der Schriftsteller Klaus-Rüdiger Mai in einem Aufsatz „Der Tag, an dem ich Ostdeutscher wurde. Er schrieb: „Nicht nur, dass die ostdeutschen Bürgerrechtler den Westlinken die Transzendenz des besseren Deutschland genommen hatten. Sie tanzen auch heute nicht nach der Pfeife, suchen nicht die «richtige Seite», sondern das Richtige für die Gesellschaft und treten weiter für Demokratie und Freiheit ein. Wenn aber Journalisten nicht mehr informieren, sondern sich darin erschöpfen, zu beeinflussen, zu animieren, anzufeuern, am grossen, guten Werke mitzutun, dann ist dieses Neue für die Ostdeutschen etwas ganz Altes, dann werden Medien schnell zum DDR-Fernsehen oder zum «Neuen Deutschland» und zur «Jungen Welt».“

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Über Herbert Ammon 99 Artikel
Herbert Ammon (Studienrat a.D.) ist Historiker und Publizist. Bis 2003 lehrte er Geschichte und Soziologie am Studienkolleg für ausländische Studierende der FU Berlin. Seine Publikationen erscheinen hauptsächlich auf GlobKult (dort auch sein Blog https://herbert-ammon.blogspot.com/), auf Die Achse des Guten sowie Tichys Einblick.