„Die Linken haben die soziale Frage vergessen“, warnt Nils Heisterhagen, Philosoph und Grundsatzreferent der SPD in Rheinland-Pfalz, und fordert so auch seine Partei auf, sich wieder vorrangig den sozialen Fragen zuzuwenden. Viele im linken Lager wähnen sich zwar links, bilden tatsächlich aber eine Allianz mit dem neoliberalen Großkapital, wie auch die amerikanische Philosophin Nancy Fraser überzeugend dargelegt hat. Linkssein bedeutet heute nämlich für viele „Ehe für alle“, „Gender-Mainstreaming“, „Internationalismus“ und „Refugees welcome“ – durchaus ernste und wichtige Themen, aber der Kampf gegen die himmelschreiend ungerechte Verteilung von Einkommen, Vermögen und Chancen gerät bei dieser „Weltbild-Diskussion“ (Heisterhagen) aus dem Blick. Dabei besitzen laut der Entwicklungsorganisation Oxfam in Deutschland inzwischen die reichsten 40 Personen das gleiche Vermögen wie die ärmere Hälfte der Bevölkerung zusammen. Da wären weniger Identitätspolitik und mehr Engagement für gerechtere Verteilung, höhere Löhne, bessere Renten und soziale Leistungen wirklich angebracht.
Nils Heisterhagen hat das lesenswerte Buch „Die liberale Illusion: Warum wir einen linken Realismus brauchen“ geschrieben und stellt fest: „Teile der Links-Liberalen müssen linker werden. Sie müssen ökonomische Themen in den Mittelpunkt stellen und nicht so viel darüber reden, wie doof sie Donald Trump finden und welche Werte sie haben, die sie gegen die Rechtspopulisten verteidigen wollen. Es würde helfen, von einer Polarisierung der Werte zu einer Polarisierung über ökonomische Interessen zu kommen, wo die Linke eindeutig die Interessen der unteren Mittelschicht, der kleinen Leute und derer vertritt, die sich unfair behandelt fühlen.“
Denn nur durch das Versagen der Parteien des linken Lagers kann sich die neoliberale AfD heute als Partei „der kleinen Leute“ aufspielen – was sie in Wirklichkeit nicht ist, weil sie ein gerechtes Steuer- und Sozialsystem ablehnt. Überall in Europa wird die Rechte stärker und die Linke schwächer, weil die traditionellen Arbeiterparteien die Seiten gewechselt haben. Aus ehemaligen Interessenvertretern der Arbeitnehmer wurden Parteien, die im Interesse der Reichen und Mächtigen Politik machten und machen, durch eine Deregulierung der Märkte, Sozialabbau und eine ungerechte Steuerpolitik. Die Agenda 2010, die die Lebensbedingungen für Millionen Menschen verschlechtert hat, wird durch das Eintreten für Minderheiten auch nicht erträglicher. Es ist höchste Zeit für einen neuen linken Aufbruch.
Würde die SPD, die wie alle Umfragen und Wahlergebnisse zeigen, ihren Markenkern verloren hat, Heisterhagens Buch zur Blaupause ihrer „Erneuerung“ machen, dann würde die Richtung wieder stimmen.
Nils Heisterhagen: Die liberale Illusion – Warum wir einen linken Realismus brauchen, Dietz-Verlag, ISBN: 978-3-8012-0531-7