„Zahllose Ehemänner und Freundinnen hätten Grund gehabt, ihn umzubringen. Eigentlich sehr erstaunlich, dass er achtundachtzig wurde.“, äußerte im Dezember 2011 Mark Fisch in einem Interview mit Geordie Greig. Eine Frau, die einmal für ihn Modell saß, meinte: „Mit ihm zusammen sein, das fühlt sich an, als fasse man in eine Steckdose“. 14 Kinder hat er gezeugt, davon nur zwei aus einer seiner beiden Ehen (die Dunkelziffer liegt noch höher). Seine Freundinnen (ein Insider berichtete von mehreren Hundert) gaben sich mitunter die Klinke in die Hand und immer wieder war er in Schlägereien verwickelt. „Der Grund war nicht, dass ich so gerne kämpfe; die Leute haben wirklich Sachen zu mir gesagt, auf die ich meiner Ansicht nach nur mit Schlägen antworten konnte“, äußerte sich der Künstler selbst. Für die einen war er ein Rebell, für die anderen ein Provokateur oder gar Pornograf. Die Rede ist vom „besessenen Maler des Fleisches“ und der Hinfälligkeit des menschlichen Leibes“, dem mutig-gewagten Portraitmaler des Monströsen und des allzu Menschlichen – Lucian Freud. Ein Künstler, der es trotz allem schaffte, die Grenzen der Ästhetik nicht komplett zu sprengen.
Im Dezember 1922 in Berlin geboren, wanderte Lucian Freud als damals Zehnjähriger im September 1933, dem Jahr der Machtübernahme der Nationalsozialisten, mit seiner Familie nach Großbritannien aus; mit 16 wurde er britischer Staatsbürger. In diesem Alter besuchte er bereits die Central School of Art , mit 21 hatte er seine erste eigene Ausstellung. Nachdem er sich zunächst als Zeichner von Stadtlandschaften einen Namen gemacht hatte, schlug er seinen eigentlichen Weg als Portrait- und Aktmaler mit seiner ersten Frau Kathleen ein, die er als halb entblößte Schönheit im Bademantel verewigte. Seit der Teilnahme an der Biennale von Venedig 1954, gemeinsam mit seinem Kollegen Francis Bacon, mit dem er sich immer wieder wechselseitig portraitierte, ließ er sich endgültig auf den brachialen Realismus ein, der ihn berühmt machen sollte. „Er verachtete die abstrakte Malerei, Expressionismus, postmoderne und Konzeptkunst. Für ihn stand das intensive Studium des menschlichen Körpers im Zentrum der Kunst.“, so Geordie Greig. Beeinflusst von Surrealismus und Romantik, mit einem Schuss Groteske, wurden seine Bilder von Familienangehörigen, Freunden und schließlich auch Berühmtheiten (Kate Moss, Jerry Hall und sogar die Queen ließen sich von ihm porträtieren) zu unerbittlichen Dokumenten der Realität, die zuweilen als schockierend und verstörend empfunden wurde. „Am Ende war Lucian Freud ein Symbol figurativer Kühnheit“ und ein Mann mit einem enormen Lebenshunger, der „sich über alle konventionellen Moralvorstellungen hinwegsetzte und Rivalen ignorierte. Er wollte etwas Bleibendes hinterlassen, und die Malerei war sein Lebensinhalt. (…) Intellekt und Emotion kollidierten in seinem Werk und Leben“, so sein Biograf, der nach Freuds Tod sogar zu einer der drei Personen gehörte, die ein Stück aus der Wand des Ateliers sein Eigen nennen durften.
Der Autor wirft einen sehr persönlichen Blick auf seinen literarisch Porträtierten und dessen Werk. Nicht der Analyse eines Kunsthistorikers oder Kunstkritikers lauscht man im Buch, sondern der eines intimsten Kenners und ja, sogar so etwas wie eines Freundes. 35 Jahre verfolgte Geordie Greig den Weg des Enkelsohns von Sigmund Freud, der in Großbritannien als Künstler und Lebemann den Bekanntheitsgrad des berühmten Psychoanalytikers fast getoppt hat. Durch Hartnäckigkeit und stetes Nachhaken gelang es ihm, im letzten Lebensjahrzehnt zum inneren Kreis des medienscheuen Malers vorzudringen und sich regelmäßig mit Freud zum Frühstück zu verabreden. Das vorliegende Buch ist beredtes Zeugnis der raren Informationen aus dem Mund von Lucian Freud sowie vieler Interviews mit Bekannten und unzähliger Recherchen im Bannkreis des Malers. Allerdings, und hier liegt auch der größte Kritikpunkt des Buches, walzt Greig die zahllosen Affären und Liebschaften des Künstlers nahezu ins Unermessliche aus, so dass man mehr als einmal wegen der unzählig eingestreuten Namen seiner Liaisons den Überblick zu verlieren meint. Ob dies wirklich derart detailliert von Nöten gewesen wäre und jede noch so ausufernde Beschreibung seiner mitunter gefräßigen, unersättlichen Lebensgier abgebildet werden musste, mag bezweifelt werden. Das behält beim eher Werksinteressenten einen leicht schalen Nachgeschmack und hat auch nichts mit einer intensiven künstlerischen Introspektion zu tun. Weniger und pointierter wäre hier eindeutig mehr gewesen und hätte dem Buch deutlich besser zu Gesicht gestanden.
Leider erfährt man auch kaum etwas von eventuellen Einflüssen seines berühmten Großvaters, von dem er, laut Geordie Greif, immer mit großer Wärme sprach. Selbst wenn die ständigen Vergleiche mit Sigmund Freud konstruiert wirken, so kann man vielleicht doch festhalten, dass beide in die Tiefen der menschlichen Seele eintauchten. Lucian Freud stellte sie dabei gleichzeitig nach außen. Er blieb im Gegensatz zu seinen Zeitkollegen, die sich von der darstellenden Kunst abwandten und die Leinwände mit Abstraktion füllten oder leerten, sein Leben lang der zielgenauen Darstellung menschlichen Lebens, Leidens und Leibes treu. „Lucian veränderte Psychologie und Sprache der Porträtmalerei.“ Und, so Greig: „Er forderte Gefahren heraus, er liebte das Risiko und führte ein Leben voller Widersprüche, lustvoll, chaotisch und befremdlich.“ Dies zu lesen und dabei seine zahlreich im Buch abgebildeten Gemälde zu betrachten, stimmt letztendlich dann doch wieder versöhnlich.
Geordie Greig
Frühstück mit Lucian Freud
Aus dem Englischen von Matthias Fienbork
Titel der Originalausgabe: Breakfast with Lucian. A Portrait of Artist
Nagel & Kimche Verlag (Februar 2014)
272 Seiten, Gebunden
ISBN-10: 3312006090
ISBN-13: 978-3312006090
Preis: 21,90 EUR
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