In einem offenen Brief fordert der Paritätische Gesamtverband umfassende Nachbesserungen beim Entlastungspaket für die Bürgerinnen und Bürger angesichts der aktuell erheblichen Preissteigerungen. Der von Dr. Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbandes, unterzeichnete Brief in voller Länge:
Das Entlastungspaket für die Bürgerinnen und Bürger angesichts der aktuell erheblichen Preissteigerungen enthält eine ganze Reihe sehr begrüßenswerter Maßnahmen. Gleichwohl sind die Unterstützungsleistungen für Menschen mit niedrigem Einkommen oder in Armut nach unserer Einschätzung nicht ambitioniert genug, um angesichts der exorbitanten Teuerungsraten bei den Lebenshaltungskosten, verhindern zu können, dass eine große Zahl von Menschen in Deutschland in echte finanzielle Not gerät. Wirtschaftsexpert*innen gehen nicht von einer Entspannung in diesem Jahr aus. Es muss daher vielmehr von einer Vertiefung der sozialen Spaltung in Deutschland und einer Zunahme sozialer und wirtschaftlicher Not ausgegangen werden, sollte der Deutsche Bundestag keine Nachbesserungen an dem Paket vornehmen.
Die Soforthilfe für Kinder im SGB II-Bezug und im Asylbewerberleistungsgesetz in Höhe von 20 € monatlich ist unbedingt zu begrüßen, doch reicht sie angesichts der völlig unzureichenden Regelsätze nicht aus, um Kinderarmut spürbar abzumildern. Aus Sicht unseres Verbandes muss der Bundestag mindestens für eine Verdoppelung dieses Betrages sorgen, soll die Hilfe spürbar werden. Zugleich ist sicherzustellen, dass die im Koalitionsvertrag vorgesehene Neudefinition des Existenzminimums von Kindern nunmehr schnellstmöglich stattfindet.
Ähnliches gilt für die Einmalzahlung an Bezieher*innen von Leistungen nach dem SGB II. Die vorgesehenen 100 € sollen pandemiebedingten Mehraufwand kompensieren. Dieser Betrag ist dazu deutlich zu niedrig angesetzt. Auch ist die rasante Erhöhung der allgemeinen Lebenshaltungskosten bei der Zumessung dieses Betrages offenbar nicht berücksichtigt worden. Bedarfsgerechter als eine Einmalzahlung ist angesichts des starken Anstiegs der Lebenshaltungskosten eine schnellstmögliche unterjährige pauschale Erhöhung der Regelsätze, spätestens zum 1. Juli 2022. Ebenfalls müsste bis dahin ein neuer Mechanismus zur Fortschreibung der Regelsätze installiert werden, der in der Lage ist, Preissteigerungen zeitnäher abzubilden als das derzeitige Verfahren. Schließlich sind in SGB II und Altersgrundsicherung die Kosten für Strom nicht mehr als Bestandteil des Regelsatzes zu gewähren, sondern als Bestandteil der Kosten der Unterkunft in voller Höhe zu übernehmen.
Die Verdoppelung des Heizkostenzuschusses durch das Kabinett von 135 € auf 270 € begrüßen wir außerordentlich. Dass jedoch lediglich 2,1 Millionen Menschen Anspruch auf diesen Zuschuss haben werden, zeigt, dass die Anspruchsvoraussetzungen sowohl für das Wohngeld als auch für das BAföG zu restriktiv sind und zu wenig Menschen erreichen, die auf eine solche Leistung angewiesen wären. Baldmöglichst sind daher entsprechende Korrekturen, die Anspruchsvoraussetzungen beider Leistungen betreffend, vorzunehmen.
Darüber hinaus ist es aus unserer Sicht mit einem einmaligen Zuschuss nicht getan. Um die Hilfe nachhaltig zu gestalten, ist vielmehr angezeigt, über den pauschalen Heizkosten-Entlastungsbetrag hinaus eine Energiekostenkomponente in das Wohngeld zu integrieren bzw. die Warmmiete und nicht mehr die Kaltmiete zur Grundlage der Wohngeldberechnung zu machen.
Wir möchten Sie eindringlich bitten, unseren Vorschlägen zu folgen und im parlamentarischen Verfahren für entsprechende Verbesserungen im Entlastungspaket zu sorgen.
Erlauben Sie mir darüber hinaus eine allgemeine Anmerkung: Wir halten die zielgenaue Konzentration auf diejenigen Haushalte, die angesichts der enormen Preissteigerungen besonders auf Hilfe angewiesen sind, für den klar zielführenderen Weg. Sehr kostspielige allgemeine Preisdämpfungsmaßnahmen, seien es die Abschaffung der EEG-Umlage, ein Tankrabatt oder eine Absenkung der Mehrwertsteuer, sind verteilungspolitisch verfehlt. Wir halten die derzeit diskutierten allgemeinen Preissubventionen, wie etwa eine Abschaffung der EEG-Umlage, ein Tankrabatt oder eine Absenkung der Mehrwertsteuer, für ökologisch fragwürdig, haushaltspolitisch unvernünftig und sozial ungerecht. Stattdessen würden wir es sehr begrüßen, wenn das im Koalitionsvertrag der Ampel vereinbarte Klimageld nunmehr zügig auf den Weg gebracht würde. Mit einer pauschalen Pro-Kopf-Rückgabe der Einnahmen aus der CO2-Bepreisung an die Verbraucher*innen wäre ein Verfahren gewählt, dass nicht nur ökologisch die richtigen Anreize setzt, sondern darüber hinaus bekanntermaßen auch einen sozialen Ausgleich enthält.
Zu all den von uns vorgeschlagenen Maßnahmen stehen wir für Gespräche jederzeit zur Verfügung.