Österreich kann seine Staatsbürgerschaft verleihen an wen es will

Staatsgrenze Oesterreich, Foto: Stefan Groß

Rom hält die Absicht Wiens, Südtirolern, die dies wünschen, die österreichische Staatsbürgerschaft zu gewähren, für einen „mehr als ein feindseligen Akt“ (Außenminister Enzo Moavero Milanesi). Dies als Reaktion auf Agentur- und Presseberichte, wonach der dies  ermöglichende Gesetzesentwurf „bis auf wenige textliche Präzisierungen“ bereits ausgearbeitet sei und nach der nächsten Sitzung der die gesetzliche Grundlage erarbeitenden Strategie-Gruppe (Rechtswissenschaftler; Anwälte; Juristen der beteiligten österreichischen Ministerien) vorgelegt werden könne. René Pollitzer, Österreichs Botschafter in Rom, pflegte daraufhin einen „freundschaftlichen Meinungsaustausch zum Thema Doppelpass für Südtiroler“ mit Milanesi. Dabei dürfte er ihn mit der Wiederholung der von seiner Außenministerin Karin Kneissl vorgegebenen Formel – welche auch die offizielle Position der türkis-blauen Wiener Regierung ist – beruhigt haben: Das „im EUropäischen Geiste“ angelegte Vorhaben solle „im permanenten Dialog mit Rom“ verwirklicht werden.

Sollte es bei dieser und einer anderen öffentlichen Festlegung Wiens bleiben, nämlich  Südtirolern die Staatsbürgerschaft „nur im Einvernehmen mit Italien“ zu erteilen, so liefe dies unweigerlich auf eine politische Selbstfesselung Österreichs hinaus. Rom lässt wohl kaum von seiner Verweigerungshaltung ab, welche seine Diplomatie in Formeln zu kleiden vermag, zufolge derer Wien sozusagen als Störenfried der – übrigens längst nicht mehr existenten – „gemeinsamen staatsbürgerschaftsrechtlichen EU-Verfahrensweise“ und also der (auch in anderen Angelegenheiten ins Wanken geratenen)  EUropäischen „Ordnung“ erscheinen soll. Seit der Annexion des südlichen Landesteils Tirols 1918 und mittels (Un-)Friedensvertrags von Saint-Germain-en-Laye 1919 legitimierten Einverleibung dieser durch 1915 vollzogenen Seitenwechsel erlangten Kriegsbeute gilt für Italien die vom einstigen Ministerpräsidenten  Antonio Salandra (1853-1931) geprägte  Maxime vom  „heiligen Eigennutz“  („sacro egoismo“). Wer auch immer vor und nach 1945 Italien regierte  – stets betrachtete Rom wider Verträge und  Bekundungen, wonach die mühsam erkämpfte (und immer wieder von Rom ausgehölte) Autonomie ein „Vorzeige-Model“ sei und damit zusammenhängende Fragen  „im europäischen Geiste“ beantwortet würden,  Südtirol als inneritalienische Angelegenheit.

 

Die derzeitige, aus Lega Nord (LN) und Movimento 5 Stelle (M5S; Fünf-Sterne-Bewegung) gebildete Regierung dürfte das kaum anders sehen. Umso mehr als sich deren „starke Männer“, Innenminister  Matteo Salvini (LN) sowie Arbeits- und Sozialminister Luigi Di Maio (M5S), nicht klar zur Causa äußern, hat das Wort des Staatspräsidenten Gewicht. Sergio Mattarella nannte  das österreichische Vorhaben  unverblümt eine „ohne Bedacht gefasste Initiative“, welche das „Rad der Geschichte“ zurückzudrehen beabsichtige. Mit Verlaub – dies ist pure Heuchelei.

 

Natürlich weiß Mattarella, dass sein Land italienischstämmigen Bürgern anderer Staaten überall auf der Welt  die Staatsbürgerschaft erteilt. Davon machten mehr als eine Million Menschen (insbesondere in Süd- und Nordamerika) Gebrauch. Italien hat eigens das 1975 getroffene Europaratsabkommen zur „Verringerung von Fällen mehrfacher Staatsangehörigkeit“  aufgekündigt und mit Gesetz 91/1992 nicht nur sein (von anno 1912 stammendes) Staatsbürgerschaftsgesetz entsprechend geändert, sondern mit Gesetz 124/2006 den  im slowenischen Küstenland sowie in Kroatien (Istrien, Fiume, Dalmatien) ansässigen ethnischen Italienern den Erwerb seiner Staatsbürgerschaft eröffnet. Davon wiederum machten 37.000 Personen Gebrauch. Zudem hat Italien allen Auslandsitalienern auch das aktive und passive Wahlrecht sowie feste Parlamentssitze (12 Vertreter in der Abgeordnetenkammer; 6  im Senat) zugestanden. Kein anderes Land, um dessen primäre Staatsbürger es dabei ja ging, ist um sein Einverständnis ersucht worden.

 

Österreich hingegen soll  nicht Gleiches für die deutsch-österreichischen und ladinisch-österreichischen  Südtiroler tun dürfen, deren Vorfahren Staatsbürger Österreichs waren wie die Istrianer, Fiumener und Dalmatiner (respektive die Nachfahren der nach Brasilien, Argentinien bzw. in die USA ausgewanderten Italiener) Staatsbürger Italiens? Soll etwa gelten, worauf die italienische Haltung – wie in der Selbstbestimmungsfrage, die es 1945/46 hinsichtlich Südtirols verweigerte, 1954 aber für Triest und das Hinterland gegenüber Jugoslawien beanspruchte – hindeutet, nämlich die altrömische Maxime „Quod licet Iovi non licet bovi“ („Was Jupiter erlaubt ist, ist dem Ochsen nicht erlaubt“)?.

 

Mitnichten. Niemand kann Österreich untersagen, im eigenen nationalen Interesse zu handeln und kraft eigener Souveränität  die rechtliche Grundlage für die im Regierungsübereinkommen von ÖVP und FPÖ (vom 19. Dezember 2017) vorgesehene Erteilung der österreichischen Staatsbürgerschaft zu schaffen, welche für die Angehörigen der Volksgruppen deutscher und ladinischer Muttersprache in Südtirol, für die Österreich auf der Grundlage des Pariser Vertrages und der nachfolgenden späteren Praxis die Schutzfunktion ausübt“, gelten soll. Besagter Personenkreis bliebe, sofern von den 528.379 Südtirolern (Wohnbevölkerung  im I. Quartal 2018 laut Landesstatistik-Institut) alle gemäß dieser Definition Anspruchsberechtigten (62,3 % deutsch-österreichischer Ethnizität =  329.180 Personen; 4,1% ladinisch-österreichischer Ethnizität = 21.663 Personen) tatsächlich den österreichischen Pass beantragten und annähmen, weit unter der Zahl der gut 1,2 Millionen Auslandsitaliener, denen Rom den italienischen Pass zuerkannte.

 

Im Übrigen hätten, wenn Wien den Kreis der Anspruchsberechtigten nach Art Italiens festlegen wollte, auch die Trentiner – wie die Südtiroler zuvor Staatsbürger Österreich(-Ungarn)s – ein Anrecht auf „Wiedererlangung der österreichischen Staatsbürgerschaft“.  Die Trentiner Autonomistenpartei PATT mahnte bereits, Wien möge  „die im Trentino lebenden Nachkommen ehemaliger Bürger der k.u.k.-Monarchie nicht vergessen. Auch unsere Vorfahren waren Bürger von Österreich-Ungarn; auch unsere Großväter sind im Ersten Weltkrieg zu Tausenden in den Reihen des Heeres Kaiser Franz Josefs gestorben“. Darüber hinaus wäre es nur folgerichtig, auch die Ladiner der Gemeinden Cortina d’Ampezzo, Colle Santa Lucia und Livinallongo del Col di Lana  in den Kreis der Anspruchsberechtigten aufzunehmen, deren unbestreitbare Tiroler Geschichte in nichts von jener der Kommunen Südtirols abweicht – außer dass sie unter Mussolini  gegen ihren Willen der Provinz Belluno zugeschlagen  wurden.

 

Würden  letztgenannte Personenkreise Berücksichtigung finden – was nach Koalitionsvorgabe sowie aus der Strategie-Gruppe durchgesickerten  Informationen auszuschließen ist  – so wäre unter dem von Regierungsseite bekundeten Aspekt unbedingter Einvernahme mit (dem ohnedies abweisenden) Italien das Vorhaben überfrachtet und wahrscheinlich chancenlos. Angesichts all dessen fragt man sich unwillkürlich, wieso niemand den Schneid besitzt, dem italienischen Gegenüber (und der internationalen Öffentlichkeit) nicht nur dessen eigenes Verhalten in Staatsbürgerschaftsangelegenheiten vorzuhalten, sondern auch  auf das alleinige Recht des souveränen Österreich hinweisend zu bestehen, seine Staatsbürgerschaft zu verleihen wem immer es will. Es gibt  im nachbarschaftlichen Verhältnis wie in der internationalen Politik nicht nur Partner, sondern auch (nationale) Interessen. Wien hat es nicht nötig, in Rom zu antichambrieren. Außenministerin Kneissl sollte sich daher beim Wort nehmen und ihre  zutreffende Sentenz, welche sie unlängst – auf die Außen- und Energiepolitik der EU gemünzt – verwandte, als österreichische Handlungsmaxime vorgeben: Es sei „hoch an der Zeit“ für „eine von eigenen Interessen geleitete Politik“, schrieb sie unlängst in der „Presse“.  In der „Causa Staatsbürgerschaft für Südtiroler“  ist sie, wie die gesamte Bundesregierung, daran zu messen.

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Über Reinhardt Olt 33 Artikel
Prof. Dr. Dr. h.c. Reinhard Olt war seit 1. November 1985 politischer Redakteur der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und seit 1. September 1994 bis zu seinem Ausscheiden am 31. August 2012 mit Sitz in Wien deren politischer Korrespondent für Österreich, Ungarn, Slowenien, zeitweise auch für die Slowakei. In der FAZ hat er die meiste Zeit seines beruflichen Wirkens zugebracht; daneben nahm er Lehraufträge an deutschen und österreichischen Hochschulen sowie in Budapest wahr. Seit 1990 ist er Träger des Tiroler Adler-Ordens, seit 2013 des Großen Adler-Ordens. 1993 erhielt er den Medienpreis des Bundes der Vertriebenen. 2003 zeichnete ihn der österreichische Bundeskanzler mit dem Leopold-Kunschak-Preis aus, und der Bundespräsident verlieh ihm im gleichen Jahr den Titel Professor. 2004 wurde er als erster von diesem mit dem "Otto-von-Habsburg-Journalistenpreis für Minderheitenschutz und kulturelle Vielfalt geehrt"; ebenfalls 2004 wurde ihm das Goldene Ehrenzeichen der Steiermark verliehen. 2012 ernannte ihn die Eötvös-Loránt-Universität in Budapest zum Ehrendoktor (Dr. h.c.) sowie Professor, und 2013 verlieh ihm der österreichische Bundespräsident das Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst. Geboren wurde Olt 1952 als Sohn eines Bauern im Odenwald. Sein Abitur bestand er 1971 in Michelstadt. Nach Ableistung des Wehrdienstes studierte er Germanistik, Volkskunde, osteuropäische Geschichte und Politikwissenschaft in Mainz, Freiburg und Gießen bis zur Promotion 1980. Es folgte an der Universität Gießen eine Assistententätigkeit. Dann begann 1985 seine Zeit in der FAZ.