Österreich geht Sonderweg – Werner Faymann beschließt Obergrenze

Im Westen nichts Neues, in Österreich schon. Die Alpenrepublik geht auf Distanz zur deutschen Flüchtlingspolitik. Während in Wildbad Kreuth über eine Begrenzung der Flüchtlingszahlen, der berühmten Obergrenze, gestritten wurde, Merkel der CSU aber erneut eine Absage erteilte, hat Österreich als erstes EU-Land eine Obergrenze beschlossen. 2016 sollen nur 37.500 Asylbewerber und bis Ende 2019 maximal 127.500 aufgenommen werden, was 1,5 Prozent der Landesbevölkerung entspricht.

Für Bundespräsident Gauck ist eine Begrenzung nicht unethisch

Auch der deutsche Bundespräsident Joachim Gauck ist auf dem Weltwirtschaftsgipfel in Davos auf Distanz zu Merkel gegangen. Zwar nahm er das Unwort „Obergrenze“ nicht in den Mund, äußerte aber deutlich, dass Deutschland nicht alle Flüchtlinge aufnehmen kann und eine Begrenzung „nicht per se unethisch“ sei. „Eine Begrenzungsstrategie kann moralisch und politisch sogar geboten sein, um die Handlungsfähigkeit des Staates zu erhalten. […] Man dürfe die Debatte nicht Populisten und Fremdenfeinden überlassen.“ Eine Einführung von Grenzkontrollen lehnte er wie Wolfgang Schäuble aber kategorisch ab.

Österreich geht einen Sonderweg

Die Regierungskoalition unter Bundeskanzler Werner Faymann von der SPÖ hatte am 19. Januar überraschend eine Obergrenze festgelegt. Lange hatte sich Faymann gegen jede Art von Deckelung gewehrt, dann aber dem Willen seines Volkes nachgegeben. Nach einer Studie des Marktforschungsinstituts market wollen 31 Prozent der Österreicher eine „Festung Europa“ – entsprechende Grenzsicherung inklusive, 91 Prozent der Bevölkerung unterstützen eine gerechtere Verteilung in der EU und 74 Prozent plädieren für ein Wiederaufbauprogramm für Syrien, damit Anreize für eine Rückkehr geschaffen werden.
Die aktuelle Entscheidung hat Faymann als Notlösung und als Plan B bezeichnet. Er will ein deutliches Zeichen setzen und die EU aufrütteln, endlich in der Flüchtlingsfrage aktiv zu werden. Indirekt erhofft sich die Regierung in Wien dadurch,dass viele Länder entlang der Balkanroute ihre Grenzen schließen, weil sie einen Flüchtlingsrückstau befürchten. Genau dies ist das dieser Entscheidung zugrundeliegende Kalkül Österreichs, um den „Leidensdruck“ für eine gesamteuropäische Lösung dadurch zu erhöhen
Wegweisend bei der Entscheidung aus Wien war die konservative ÖVP, die in der Koalition sowohl den Außenminister, die Innenministerin und den Vizekanzler des Landes stellt. Zwar bleibt es nach wie vor unklar, wie die Obergrenze faktisch und rechtlich durchgesetzt werden soll. Im Gegensatz zur Bundesrepublik aber, die auf Zeit in Sachen Flüchtlingspolitik spielt, auf eine europäische Lösung setzt, und die auf die verstärkte Hilfe aus der Türkei hofft, sind die Österreicher weitaus pragmatischer. Täglich wird das Land mit Flüchtlingen aus Syrien, Irak und Afghanistan überrollt. Doch der unbegrenzten und unkontrollierten Einreise wurde mit dem Grenzübergang in Spielfeld ein Riegel vorgeschoben. An der Übergangsstelle werden täglich bis zu 7000 Menschen„abgefertigt“ und nach Sprachen registriert. Die Registrierung soll nur „sechs bis sieben Minuten dauern“.

Riexinger: „Bankrotterklärung europäischer Solidarität“

Die Festlegung Österreichs auf eine Obergrenze für Flüchtlinge ist bei den großen Fraktionen im Europaparlament auf Kritik gestoßen. Die innenpolitische Sprecherin der Sozialdemokraten im Europaparlament, Birgit Sippel, bezeichnete die Entscheidung als eine „populistische, ja ängstliche Reaktion auf rechte Parolen und einen „zynischen Versuch, eigene Verantwortung auf andere abzuschieben. Auch der Vorsitzende der Links-Partei, Bernd Riexinger, erklärte auf Twitter, dass es sich hier um eine „Bankrotterklärung europäischer Solidarität“ handelt. Damit geht ein Riß quer durch die Partei der Linken, denn Sahra Wagenknecht, die mit Dietmar Bartsch die Doppelspitze der Bundestagsfraktion der Linken bildet, forderte Kapazitätsgrenzen nach den Übergriffen von Köln.
Kritik kam auch von Seiten der Menschenrechtsorganisation Pro Asyl. Deren Geschäftsführer, Günter Burkhardt, befürchtet einen von Österreich ausgehenden Dominoeffekt und betonte: „Wir werden ein Europa der Zäune erleben, in dem jeder die Verantwortung an den Nachbarn abschiebt.“ Dieser Prozeß würde nicht in einer neuen Solidarität münden, wie sie auch Gauck in Davos forderte und die nichtvorhandene Solidarität der Osteuropäer im Kampf gegen die Flüchtlingskrise beklagte, sondern im schlimmsten Fall dazu führen, dass das ohnehin wirtschaftlich und innenpolitisch schwer angeschlagene Griechenland zum „Auffanglager Europas“ wird. Wenn Griechenland dann auch die Grenzen schließt, kommt es zu einer fatalen Kettenreaktion, die bis in die Kriegsgebiete wie Syrien zurückreicht.„Ein Europa, das Zäune baut, gefährdet die europäische Wirtschafts- und Wertegemeinschaft.
Die Bundesregierung hat sich zum Beschluß aus Österreich relativ wortkarg gegeben. Weder wollte sich Regierungssprecher Steffen Seibert äußern noch der Flüchtlingskoordinator der Bundesregierung und Kanzleramtschef Peter Altmaier. Man will weiter eine gemeinsame europäische Lösung vorantreiben, die in erster Linie bei den Fluchtursachen ansetzt, „um die Zahl der Flüchtlinge spürbar und nachhaltig zu reduzieren.“ Vielleicht erinnert sich dort keiner mehr an den legendären Satz, den der einstige Kremlchef bei seinem Besuch 1989 in der DDR sagte und der die Geschichte und die Welt veränderte. „Ich glaube, Gefahren lauern nur auf jene, die nicht auf das Leben reagieren.“ „Das Leben verlangt mutige Entscheidungen. Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben“ hatte Gorbatschow in seinen Memoiren geschrieben. Österreich hatte den Mut!

Zuerst erschienen im „The European“ www.theeuropean.de

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Über Stefan Groß-Lobkowicz 2155 Artikel
Dr. Dr. Stefan Groß-Lobkowicz, Magister und DEA-Master (* 5. Februar 1972 in Jena) ist ein deutscher Philosoph, Journalist, Publizist und Herausgeber. Er war von 2017 bis 2022 Chefredakteur des Debattenmagazins The European. Davor war er stellvertretender Chefredakteur und bis 2022 Chefredakteur des Kulturmagazins „Die Gazette“. Davor arbeitete er als Chef vom Dienst für die WEIMER MEDIA GROUP. Groß studierte Philosophie, Theologie und Kunstgeschichte in Jena und München. Seit 1992 ist er Chefredakteur, Herausgeber und Publizist der von ihm mitbegründeten TABVLA RASA, Jenenser Zeitschrift für kritisches Denken. An der Friedrich-Schiller-Universität Jena arbeitete und dozierte er ab 1993 zunächst in Praktischer und ab 2002 in Antiker Philosophie. Dort promovierte er 2002 mit einer Arbeit zu Karl Christian Friedrich Krause (erschienen 2002 und 2007), in der Groß das Verhältnis von Metaphysik und Transzendentalphilosophie kritisch konstruiert. Eine zweite Promotion folgte an der "Universidad Pontificia Comillas" in Madrid. Groß ist Stiftungsrat und Pressesprecher der Joseph Ratzinger Papst Benedikt XVI.-Stiftung. Er ist Mitglied der Europäischen Bewegung Deutschland Bayerns, Geschäftsführer und Pressesprecher. Er war Pressesprecher des Zentrums für Arbeitnehmerfragen in Bayern (EZAB Bayern). Seit November 2021 ist er Mitglied der Päpstlichen Stiftung Centesimus Annus Pro Pontifice. Ein Teil seiner Aufsätze beschäftigt sich mit kunstästhetischen Reflexionen und einer epistemologischen Bezugnahme auf Wolfgang Cramers rationalistische Metaphysik. Von August 2005 bis September 2006 war er Ressortleiter für Cicero. Groß-Lobkowicz ist Autor mehrerer Bücher und schreibt u.a. für den "Focus", die "Tagespost".

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