Laut einer neuen Schätzung leben 2017 in der BRD, in einem der reichsten Länder der Welt, 860.000 Menschen ohne Wohnung. Unter den Leidtragenden sind Zehntausende Kinder, die in ihrem Leben nie etwas anderes kennengelernt haben. Trotz relativ milder Winter sind dutzende Obdachlose an Kälte gestorben oder wurden von Sozialdarwinisten und Nazis ermordet (Wismar, Ahlbeck usw.)
Ein exemplarischer Fall
Dieses Schicksal ist Dominique Bloh erspart geblieben: Mit 16 wurde er von seiner psychisch kranken Mutter aus der Wohnung geworfen und als 2004 seine Großmutter starb, wurde er obdachlos und lebte von nun an 11 Jahre auf den Straßen Hamburgs. Dank verschiedener Unterstützung fand den Mut, sein Leben zu ändern. Er fand eine kleine Wohnung, einen Job an einer Schule für verhaltensauffällige Kinder und half Flüchtlingen in Hamburg ehrenamtlich.
Seine Lebensgeschichte hat er nun mit 29 Jahren aufgeschrieben:
Dominik Bloh: Unter Palmen aus Stahl. Die Geschichte eines Strassenjungen, Ankerherz Verlag, Hollenstedt 2017, ISBN: 978-3-945-87721-0
Er schildert darin die Gründe für seine Obdachlosigkeit, das harte Leben auf der Straße ohne Bezugsperson, sein Überlebenskampf im Rotlicht von St. Pauli, sein Umgang mit dem Leben ganz unten, seine Fehler und Schwächen und den Weg raus aus diesem Teufelskreis. Er will anderen Betroffenen Mut machen und gleichzeitig das Thema Obdachlosigkeit nicht nur in Hamburg zur Sprache bringen: „Nehmt Euch ein Beispiel an meiner Geschichte. Steht wieder auf!“ (S. 190)
Manchmal schonungslos zu sich selbst berichtet er kritisch von seinen Fehlern im Rückblick auf sein Leben. Nicht nur andere waren Schuld an seinem Schicksal, sondern auch er selbst. Diese Offenheit beeindruckt, genauso wie er sein Leben umgekrempelt hat.
Die Politik muss den sozialen Kitt überwinden
Dennoch macht die Geschichte mit Happy End auch wütend. In keiner anderen Stadt in der BRD ist wohl die Kluft zwischen Reich und Arm so groß wie dort. Während einige es sich am Wochenende am Jungfernstieg gut gehen lassen, wühlen Obdachlose in Mülltonnen. Zwischen dem Luxusleben an der Elbchaussee bis hin in die Elendsquartiere auf St. Pauli sind es nur ein paar Kilometer. Dass die Proteste gegen den G20-Gipfel in Hamburg so eskaliert sind, hat auch mit dem speziellen sozialen Gegensatz in der Stadt selbst zu tun.
Diesen Zustand einzudämmen, haben die politischen Parteien in Hamburg in den letzten Jahrzehnten versäumt. Stiftungen oder Wohltätigkeitsorganisationen können nicht das Versagen des Staates ersetzen, eine Stadt für alle zu schaffen. Ausgrenzung, Wohnungsnot und fehlende Anlaufstellen müssen beendet werden und die Rahmenbedingungen dafür geschaffen werden, dass niemand mehr auf der Straße wohnen und schlafen muss. Denn: Niemand lebt aus freien Stücken auf der Straße.