Bis vor wenigen Tagen haben beinahe sämtliche Nahost-Experten einem unmittelbar bevorstehenden militärischen Angriff der USA auf Syrien vorhergesagt. Beinahe sämtliche Nahost-Experten haben sich geirrt.
Am 31. August 2013 hat Präsident Obama, Oberbefehlshaber aller US-Streitkräfte, in einer weltweit ausgestrahlten Rede verkündet, dass nicht er, sondern der amerikanische Kongress über einen Angriff auf Syrien das letzte Wort haben wird. Wie auch immer der Kongress entscheiden mag, zeigt die Ankündigung, dass der Präsident vor einem Angriff auf Syrien zurückschreckt.
Weltweit können oder wollen Experten, Journalisten und Politiker immer noch nicht begreifen, dass der US-amerikanische Angriff auf Syrien bis zum nächsten medialen Ereignis abgeblasen wird. Die anstehende Frage lautet, wie Obamas Entscheidung, in naher Zukunft nicht in Syrien zu intervenieren, sich auf den Nahen Osten auswirken wird.
Obama spricht von einem zeitlich und örtlich begrenzten Militärschlag. Ein solcher Eingriff der USA mit einigen wenigen Verbündeten im Schlepptau wird den Verlauf der weiteren Ereignisse in Syrien und den angrenzenden Ländern nicht merklich beeinflussen. Nach diesem brutalen Krieg ist eine Aussöhnung zwischen den einzelnen, seit Generationen verfeindeten Gruppen nicht vorstellbar. Syrien ist aus der Zerfallmasse des Osmanischen Reiches entstanden, welches nach dem Ersten Weltkrieg aufgehört hat zu existieren. Die Siegermächte des Ersten Weltkrieges und Kolonialherren Großbritannien und Frankreich haben unter sich die Grenzen der neuen Staaten mit uralten Namen aufgeteilt. Sie haben wenig Rücksicht auf Völker, Religionen und Sprachen gelegt. Die Folge sind Vertreibungen oder Unterdrückungen von Minderheiten gewesen, die sich am besten mit Diktaturen realisieren lassen. Während Saudi-Arabien keine Menschen mit fremder Volkszugehörigkeit, Religion und Sprache als Staatsbürger zugelassen hat und bis heute alles Fremde im Namen der Religion verbietet, hat sich Syrien zu einer multikulturellen Gesellschaft entwickelt, die man tolerant hätte nennen können, wenn es nicht der Diktatur bedurft hätte, die Gruppen davon abzuhalten, sich gegenseitig zu vernichten.
Es ist dem Arabischen Frühling anzulasten, dass sich Syrer plötzlich nach Freiheit gesehnt haben, welche den Bürgerkrieg erzwungen hat. Der böse Geist wird nicht freiwillig in die entkorkte Flasche zurückkehren. Auch wenn irgendeine der vielen Kriegsparteien siegen sollte, wird Syrien an seinen offenen inneren Widersprüchen zerbrechen. Syrien wird zerfallen.
Neben einem von Sunniten bewohnten Staat wird sich entlang der Mittelmeerküste zwischen der Türkei und dem Libanon ein Staat der Assad treuen Alawiten, die zu den Schiiten gezählt werden, etablieren. Russland wird sich mit den Veränderungen abfinden, da es seinen Hafen am Mittemeer behalten darf. Die Kurden im Norden werden ein unabhängiges Kurdistan anstreben, welches an der Türkei angrenzt. Sollte es zu dem Zusammenschluss mit dem irakischen Kurdistan kommen, so wird die türkische Zentralmacht sich Unruhen in den türkischen Kurdengebieten gegenübersehen, die sie nicht unter Kontrolle halten wird. Auch die Türkei kann zerfallen. Die iranische Zentralgewalt wird alles unternehmen, die Unabhängigkeitsvorstellungen ihrer Kurden im Keim zu ersticken.
Die heute in Syrien auf allen Seiten kämpfenden ausländischen Gruppen werden mit der Konsolidierung der Teilstaaten das Land mehr oder weniger freiwillig verlassen. Die meisten syrischen Flüchtlinge werden zurückkehren, wenn auch nicht notwendigerweise in ihre bisherige Heimat.
Bis zur Befriedung des Landes wird die Zahl der Kriegstoten sich verdoppelt bis verdreifacht haben. Deutschland wird sicherlich mehr als 5.000 syrischen Flüchtlingen die Einreise genehmigen. Sollten die USA nicht militärisch eingegriffen haben, so wird die Zukunft Syriens dieselbe sein. Das Vertrauen in die letzte Weltmacht wird weltweit schwinden, im Nahen Osten wird sie durch Verachtung ersetzt werden.
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